die gewissenhafte Prüfung der pathologisch-anatomischen Thatsachen den Fortschritt zu Schlüssen umfassenderer Art gestatten wird, ob sich nicht gewisse Grundthatsachen herausstellen werden, welche ein grösseres Licht auf die innere Natur, auf das Wesen dieser Krank- heiten, wie auf die ganze Physiologie und Pathologie des Gehirns zu werfen vermöchten. Täuschen wir uns nicht, so ist dieser Theil unserer Untersuchung nicht ganz ohne Resultate geblieben.
Erster Abschnitt. Pathologische Anatomie des Gehirns und seiner Hüllen.
§. 136.
Die anatomischen Veränderungen, welche dem Irresein selbst entsprechen, d. h. welche während des Lebens die psychischen Ano- malieen geben, darf man natürlich nirgends anders als am Kopfe, im Gehirn und seinen Hüllen suchen. -- Nach den gegenwärtig vor- liegenden Daten ist es nun ein constatirtes Factum, dass man in manchen Leichen irregewesener Personen keine Anomalie in diesen Theilen findet. Wenn man die grosse Menge unzuverlässiger Berichte und die Fälle eliminirt, wo vor dem Tode das Irresein wieder aufhörte, so bleibt eine Anzahl von Fällen, sorgfältigen Special- Beobachtern (z. B. Parchappe) angehörig, übrig, wo die Kopfhöhle und ihr ganzer Inhalt überall die normalen Verhältnisse zeigte.
Wir sind der pathologischen Anatomie ebenso dankbar für die Constatirung dieser Thatsache, wie für die Auffindung anatomischer Störungen. Denn da wir dennoch in allen Fällen von Irresein eine Erkrankung des Gehirns anzunehmen haben, *) so wird uns durch diese negativen Befunde einerseits die wichtige Analogie von Gehirn- Störungen ohne anatomische Veränderung mit den gleichfalls ohne anatomische Läsion des Gewebes einhergehenden Spinalirritationen und peripherischen Nerven-Affectionen an die Hand gegeben, andrer- seits werden damit der Prognose und Therapie tröstliche Voraus- setzungen gewonnen.
Um aber aus diesen Fällen, wo anatomische Alterationen fehlen, keine irrigen Schlüsse zu ziehen, muss man sich vor Allem erinnern,
*) Vgl. Erstes Buch. Erster Abschnitt.
Ueber die An- und Abwesenheit
die gewissenhafte Prüfung der pathologisch-anatomischen Thatsachen den Fortschritt zu Schlüssen umfassenderer Art gestatten wird, ob sich nicht gewisse Grundthatsachen herausstellen werden, welche ein grösseres Licht auf die innere Natur, auf das Wesen dieser Krank- heiten, wie auf die ganze Physiologie und Pathologie des Gehirns zu werfen vermöchten. Täuschen wir uns nicht, so ist dieser Theil unserer Untersuchung nicht ganz ohne Resultate geblieben.
Erster Abschnitt. Pathologische Anatomie des Gehirns und seiner Hüllen.
§. 136.
Die anatomischen Veränderungen, welche dem Irresein selbst entsprechen, d. h. welche während des Lebens die psychischen Ano- malieen geben, darf man natürlich nirgends anders als am Kopfe, im Gehirn und seinen Hüllen suchen. — Nach den gegenwärtig vor- liegenden Daten ist es nun ein constatirtes Factum, dass man in manchen Leichen irregewesener Personen keine Anomalie in diesen Theilen findet. Wenn man die grosse Menge unzuverlässiger Berichte und die Fälle eliminirt, wo vor dem Tode das Irresein wieder aufhörte, so bleibt eine Anzahl von Fällen, sorgfältigen Special- Beobachtern (z. B. Parchappe) angehörig, übrig, wo die Kopfhöhle und ihr ganzer Inhalt überall die normalen Verhältnisse zeigte.
Wir sind der pathologischen Anatomie ebenso dankbar für die Constatirung dieser Thatsache, wie für die Auffindung anatomischer Störungen. Denn da wir dennoch in allen Fällen von Irresein eine Erkrankung des Gehirns anzunehmen haben, *) so wird uns durch diese negativen Befunde einerseits die wichtige Analogie von Gehirn- Störungen ohne anatomische Veränderung mit den gleichfalls ohne anatomische Läsion des Gewebes einhergehenden Spinalirritationen und peripherischen Nerven-Affectionen an die Hand gegeben, andrer- seits werden damit der Prognose und Therapie tröstliche Voraus- setzungen gewonnen.
Um aber aus diesen Fällen, wo anatomische Alterationen fehlen, keine irrigen Schlüsse zu ziehen, muss man sich vor Allem erinnern,
*) Vgl. Erstes Buch. Erster Abschnitt.
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[292/0306]
Ueber die An- und Abwesenheit
die gewissenhafte Prüfung der pathologisch-anatomischen Thatsachen
den Fortschritt zu Schlüssen umfassenderer Art gestatten wird, ob sich
nicht gewisse Grundthatsachen herausstellen werden, welche ein
grösseres Licht auf die innere Natur, auf das Wesen dieser Krank-
heiten, wie auf die ganze Physiologie und Pathologie des Gehirns
zu werfen vermöchten. Täuschen wir uns nicht, so ist dieser Theil
unserer Untersuchung nicht ganz ohne Resultate geblieben.
Erster Abschnitt.
Pathologische Anatomie des Gehirns und seiner Hüllen.
§. 136.
Die anatomischen Veränderungen, welche dem Irresein selbst
entsprechen, d. h. welche während des Lebens die psychischen Ano-
malieen geben, darf man natürlich nirgends anders als am Kopfe,
im Gehirn und seinen Hüllen suchen. — Nach den gegenwärtig vor-
liegenden Daten ist es nun ein constatirtes Factum, dass man in
manchen Leichen irregewesener Personen keine Anomalie in diesen
Theilen findet. Wenn man die grosse Menge unzuverlässiger
Berichte und die Fälle eliminirt, wo vor dem Tode das Irresein wieder
aufhörte, so bleibt eine Anzahl von Fällen, sorgfältigen Special-
Beobachtern (z. B. Parchappe) angehörig, übrig, wo die Kopfhöhle
und ihr ganzer Inhalt überall die normalen Verhältnisse zeigte.
Wir sind der pathologischen Anatomie ebenso dankbar für die
Constatirung dieser Thatsache, wie für die Auffindung anatomischer
Störungen. Denn da wir dennoch in allen Fällen von Irresein eine
Erkrankung des Gehirns anzunehmen haben, *) so wird uns durch
diese negativen Befunde einerseits die wichtige Analogie von Gehirn-
Störungen ohne anatomische Veränderung mit den gleichfalls ohne
anatomische Läsion des Gewebes einhergehenden Spinalirritationen
und peripherischen Nerven-Affectionen an die Hand gegeben, andrer-
seits werden damit der Prognose und Therapie tröstliche Voraus-
setzungen gewonnen.
Um aber aus diesen Fällen, wo anatomische Alterationen fehlen,
keine irrigen Schlüsse zu ziehen, muss man sich vor Allem erinnern,
*) Vgl. Erstes Buch. Erster Abschnitt.
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/306>, abgerufen am 03.03.2025.
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