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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Nervenkrankheiten.
häufig, doch nicht gerade immer, nachweisen; sie kündigt sich
oft, ausser den oben aufgeführten Erscheinungen, durch leichtes
Entstehen von Delirien, schon bei mässigen acuten Erkrankungen an.
Bei dergleichen Individuen kann denn nun auch, entschiedenermassen,
jede bedeutendere körperliche Erkrankung durch secundäre Gehirn-
affection Anlass zum Irresein werden; umgekehrt aber wirken die
somatischen Ursachen nicht nur in dieser Weise Krankheits-erregend
bei schon anderweitig Disponirten, sondern durch sie selbst werden
auch wieder Dispositionen erzeugt, die dann oft erst durch psychische
Ursachen in die Krankheit selbst übergehen.

Diese somatischen Ursachen bestehen theils in noch physiologi-
schen Zuständen, welche überhaupt eine leichtere Erkrankbarkeit setzen
(z. B. Wochenbett), theils schon ausgebildeten, acuten, oder mehr
noch chronischen Krankheitszuständen (z. B. Tuberculose), theils in
gewissen äusseren Beeinträchtigungen und Schädlichkeiten (z. B. Kopf-
verletzung). Wir beginnen ihre Aufzählung mit denen, welche direct
vom Nervensystem aus wirken.

§. 82.

1) Entstehung des Irreseins durch andere Nervenkrank-
heiten
. Alle Erkrankungen des Gehirns, auch wenn sie anfangs
durchaus nicht den Character der Geisteskrankheiten haben, können
im weiteren Verlaufe zu solchen werden. Die acute Meningitis
darf sich nur als chronische, d. h. in dem Liegenbleiben, den Meta-
morphosen und weiteren Folgen ihrer Exsudate, festsetzen, um un-
mittelbar als Geisteskrankheit zu erscheinen. Die verschiedenen Er-
krankungen des Gehirns, welche der Epilepsie zu Grunde liegen,
sind theils von Anbeginn an mit entschiedenster Geistesstörung ver-
bunden -- intermittirende Anfälle der letzteren können sogar den inter-
mittirenden Convulsionen vorangehen -- theils kann das Fortschreiten
jener Krankheitsprocesse (entweder so, dass sich die ursprünglich im
Innern gelegene Affection, z. B. die chronische Entzündung, nach
den Oberflächen ausdehnt, oder durch consecutive Atrophie des Ge-
hirns etc.) ein, erst nach langem Bestehen der Epilepsie beginnendes
Irresein erzeugen *) Aehnlich verhält es sich mit den apoplecti-
schen Heerden:
sie können neben den Lähmungen etc. ein Irresein
(fast immer in der Form des Blödsinns, doch auch der Manie) theils
primär, von Anbeginn an, theils erst durch jene secundären Degenera-

*) Vgl. unten die besondere Erörterung der Epilepsie als Complication.

Nervenkrankheiten.
häufig, doch nicht gerade immer, nachweisen; sie kündigt sich
oft, ausser den oben aufgeführten Erscheinungen, durch leichtes
Entstehen von Delirien, schon bei mässigen acuten Erkrankungen an.
Bei dergleichen Individuen kann denn nun auch, entschiedenermassen,
jede bedeutendere körperliche Erkrankung durch secundäre Gehirn-
affection Anlass zum Irresein werden; umgekehrt aber wirken die
somatischen Ursachen nicht nur in dieser Weise Krankheits-erregend
bei schon anderweitig Disponirten, sondern durch sie selbst werden
auch wieder Dispositionen erzeugt, die dann oft erst durch psychische
Ursachen in die Krankheit selbst übergehen.

Diese somatischen Ursachen bestehen theils in noch physiologi-
schen Zuständen, welche überhaupt eine leichtere Erkrankbarkeit setzen
(z. B. Wochenbett), theils schon ausgebildeten, acuten, oder mehr
noch chronischen Krankheitszuständen (z. B. Tuberculose), theils in
gewissen äusseren Beeinträchtigungen und Schädlichkeiten (z. B. Kopf-
verletzung). Wir beginnen ihre Aufzählung mit denen, welche direct
vom Nervensystem aus wirken.

§. 82.

1) Entstehung des Irreseins durch andere Nervenkrank-
heiten
. Alle Erkrankungen des Gehirns, auch wenn sie anfangs
durchaus nicht den Character der Geisteskrankheiten haben, können
im weiteren Verlaufe zu solchen werden. Die acute Meningitis
darf sich nur als chronische, d. h. in dem Liegenbleiben, den Meta-
morphosen und weiteren Folgen ihrer Exsudate, festsetzen, um un-
mittelbar als Geisteskrankheit zu erscheinen. Die verschiedenen Er-
krankungen des Gehirns, welche der Epilepsie zu Grunde liegen,
sind theils von Anbeginn an mit entschiedenster Geistesstörung ver-
bunden — intermittirende Anfälle der letzteren können sogar den inter-
mittirenden Convulsionen vorangehen — theils kann das Fortschreiten
jener Krankheitsprocesse (entweder so, dass sich die ursprünglich im
Innern gelegene Affection, z. B. die chronische Entzündung, nach
den Oberflächen ausdehnt, oder durch consecutive Atrophie des Ge-
hirns etc.) ein, erst nach langem Bestehen der Epilepsie beginnendes
Irresein erzeugen *) Aehnlich verhält es sich mit den apoplecti-
schen Heerden:
sie können neben den Lähmungen etc. ein Irresein
(fast immer in der Form des Blödsinns, doch auch der Manie) theils
primär, von Anbeginn an, theils erst durch jene secundären Degenera-

*) Vgl. unten die besondere Erörterung der Epilepsie als Complication.
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[135/0149] Nervenkrankheiten. häufig, doch nicht gerade immer, nachweisen; sie kündigt sich oft, ausser den oben aufgeführten Erscheinungen, durch leichtes Entstehen von Delirien, schon bei mässigen acuten Erkrankungen an. Bei dergleichen Individuen kann denn nun auch, entschiedenermassen, jede bedeutendere körperliche Erkrankung durch secundäre Gehirn- affection Anlass zum Irresein werden; umgekehrt aber wirken die somatischen Ursachen nicht nur in dieser Weise Krankheits-erregend bei schon anderweitig Disponirten, sondern durch sie selbst werden auch wieder Dispositionen erzeugt, die dann oft erst durch psychische Ursachen in die Krankheit selbst übergehen. Diese somatischen Ursachen bestehen theils in noch physiologi- schen Zuständen, welche überhaupt eine leichtere Erkrankbarkeit setzen (z. B. Wochenbett), theils schon ausgebildeten, acuten, oder mehr noch chronischen Krankheitszuständen (z. B. Tuberculose), theils in gewissen äusseren Beeinträchtigungen und Schädlichkeiten (z. B. Kopf- verletzung). Wir beginnen ihre Aufzählung mit denen, welche direct vom Nervensystem aus wirken. §. 82. 1) Entstehung des Irreseins durch andere Nervenkrank- heiten. Alle Erkrankungen des Gehirns, auch wenn sie anfangs durchaus nicht den Character der Geisteskrankheiten haben, können im weiteren Verlaufe zu solchen werden. Die acute Meningitis darf sich nur als chronische, d. h. in dem Liegenbleiben, den Meta- morphosen und weiteren Folgen ihrer Exsudate, festsetzen, um un- mittelbar als Geisteskrankheit zu erscheinen. Die verschiedenen Er- krankungen des Gehirns, welche der Epilepsie zu Grunde liegen, sind theils von Anbeginn an mit entschiedenster Geistesstörung ver- bunden — intermittirende Anfälle der letzteren können sogar den inter- mittirenden Convulsionen vorangehen — theils kann das Fortschreiten jener Krankheitsprocesse (entweder so, dass sich die ursprünglich im Innern gelegene Affection, z. B. die chronische Entzündung, nach den Oberflächen ausdehnt, oder durch consecutive Atrophie des Ge- hirns etc.) ein, erst nach langem Bestehen der Epilepsie beginnendes Irresein erzeugen *) Aehnlich verhält es sich mit den apoplecti- schen Heerden: sie können neben den Lähmungen etc. ein Irresein (fast immer in der Form des Blödsinns, doch auch der Manie) theils primär, von Anbeginn an, theils erst durch jene secundären Degenera- *) Vgl. unten die besondere Erörterung der Epilepsie als Complication.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/149>, abgerufen am 21.11.2024.