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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Die elsässische Frage als Kulturproblem

Rußland, wobei sich Deutschland die deutsch-österreichischen Gebiete, Nußland
Galizien angliedern konnte, lag durchaus innerhalb der Grenzen der politischen
Möglichkeit. Hielten unsere Staatsmänner diesen Plan aber nicht für durchführbar,
so mußten sie mit der Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit Nußland rechnen
und mußten sich den Weg nach England offen halten. Die englischen Bündnis¬
angebote der Jahre 1898/1901 durften sie dann in keinem Falle verschleppen.
Wir hatten nur die Wahl zwischen einer Anlehnung im Osten oder im Westen.
Daß wir nicht den Mut hatten, zu wählen, ist die tiefste Ursache unseres Un¬
glücks. Wenn der Versuch einer Erneuerung des deutsch-russischen Rückversicherungs-
vertrages in den Jahren 1904/08 gescheitert ist, so hat dies außer in der Nichbe-
rücksichtigung obiger Gesichtspunkte auch noch darin seinen Grund, daß er viel zu
spät unternommen wurde, nämlich erst nach dem Zustandekommen der englisch¬
französischen Annäherung im Frühjahr 1904.

Eine Politik im obigen Sinne hätte auch den Haß der Panslawisten gegen
Deutschland beseitigt oder abgeschwächt; denn dieser wurde immer von neuem
geschürt durch die Vorstellung, daß Deutschland die Erfüllung der Träume des
russischen Volkes, die Aufpflanzung des Kreuzes auf der Hagia Sophia und die
Befreiung Galiziens und der serbischen Brüder, verhindere. Der Kardinalfehler
der deutschen Außenpolitik nach Bismarcks Sturze war, daß wir niemals einen
Gedanken klar und folgerichtig zu Ende dachten. Leider begehen wir diesen Fehler
auch jetzt immer wieder. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß wir erst die
Londoner Forderungen der Entente für unannehmbar erklärt hätten, ohne uns zu
zu überlegen, ob wir die Folgen einer solchen Erklärung auch auf uns nehmen
könnten, und daß wir später, als wir die Folgen erkannten, wieder umfielen.
Eine solche Gedankenlosigkeit führt mit Sicherheit ins Verderben.




Die elsässische Frage als Rulturproblem
einem Altelsässor von

enden Frankreich seine Hand auf das deutsche Elsaß gelegt, ist
dessen kulturelle Entwicklung problematisch geworden. Zwar
hundert Jahre lang konnte sich die bodenständig deutsche Kultur
unangefochten im Lande behaupten und die Zusammenhänge mit
der deutschen Gesamtkultur ungehindert Pflegen, -- war doch seine
Universität in Straßburg ihrem ganzen Wesen, ihrer ganzen Lehrkörperzusammen-
setzung nach eine deutsche Universität -- das vorrevolutionäre Frankreich war
weder national noch kulturpolitisch so anspruchsvoll, daß es die beiden deutschen
Provinzen nicht im großen und ganzen nach ihrer eigenen Fasson leben ließ.
Die Revolutionsregiernng hat mit diesem Geist der Duldung, des Gewähren-
lassens endgültig gebrochen: das Elsaß mußte national wie kulturell völlig in


Die elsässische Frage als Kulturproblem

Rußland, wobei sich Deutschland die deutsch-österreichischen Gebiete, Nußland
Galizien angliedern konnte, lag durchaus innerhalb der Grenzen der politischen
Möglichkeit. Hielten unsere Staatsmänner diesen Plan aber nicht für durchführbar,
so mußten sie mit der Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit Nußland rechnen
und mußten sich den Weg nach England offen halten. Die englischen Bündnis¬
angebote der Jahre 1898/1901 durften sie dann in keinem Falle verschleppen.
Wir hatten nur die Wahl zwischen einer Anlehnung im Osten oder im Westen.
Daß wir nicht den Mut hatten, zu wählen, ist die tiefste Ursache unseres Un¬
glücks. Wenn der Versuch einer Erneuerung des deutsch-russischen Rückversicherungs-
vertrages in den Jahren 1904/08 gescheitert ist, so hat dies außer in der Nichbe-
rücksichtigung obiger Gesichtspunkte auch noch darin seinen Grund, daß er viel zu
spät unternommen wurde, nämlich erst nach dem Zustandekommen der englisch¬
französischen Annäherung im Frühjahr 1904.

Eine Politik im obigen Sinne hätte auch den Haß der Panslawisten gegen
Deutschland beseitigt oder abgeschwächt; denn dieser wurde immer von neuem
geschürt durch die Vorstellung, daß Deutschland die Erfüllung der Träume des
russischen Volkes, die Aufpflanzung des Kreuzes auf der Hagia Sophia und die
Befreiung Galiziens und der serbischen Brüder, verhindere. Der Kardinalfehler
der deutschen Außenpolitik nach Bismarcks Sturze war, daß wir niemals einen
Gedanken klar und folgerichtig zu Ende dachten. Leider begehen wir diesen Fehler
auch jetzt immer wieder. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß wir erst die
Londoner Forderungen der Entente für unannehmbar erklärt hätten, ohne uns zu
zu überlegen, ob wir die Folgen einer solchen Erklärung auch auf uns nehmen
könnten, und daß wir später, als wir die Folgen erkannten, wieder umfielen.
Eine solche Gedankenlosigkeit führt mit Sicherheit ins Verderben.




Die elsässische Frage als Rulturproblem
einem Altelsässor von

enden Frankreich seine Hand auf das deutsche Elsaß gelegt, ist
dessen kulturelle Entwicklung problematisch geworden. Zwar
hundert Jahre lang konnte sich die bodenständig deutsche Kultur
unangefochten im Lande behaupten und die Zusammenhänge mit
der deutschen Gesamtkultur ungehindert Pflegen, — war doch seine
Universität in Straßburg ihrem ganzen Wesen, ihrer ganzen Lehrkörperzusammen-
setzung nach eine deutsche Universität — das vorrevolutionäre Frankreich war
weder national noch kulturpolitisch so anspruchsvoll, daß es die beiden deutschen
Provinzen nicht im großen und ganzen nach ihrer eigenen Fasson leben ließ.
Die Revolutionsregiernng hat mit diesem Geist der Duldung, des Gewähren-
lassens endgültig gebrochen: das Elsaß mußte national wie kulturell völlig in


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[0215] Die elsässische Frage als Kulturproblem Rußland, wobei sich Deutschland die deutsch-österreichischen Gebiete, Nußland Galizien angliedern konnte, lag durchaus innerhalb der Grenzen der politischen Möglichkeit. Hielten unsere Staatsmänner diesen Plan aber nicht für durchführbar, so mußten sie mit der Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit Nußland rechnen und mußten sich den Weg nach England offen halten. Die englischen Bündnis¬ angebote der Jahre 1898/1901 durften sie dann in keinem Falle verschleppen. Wir hatten nur die Wahl zwischen einer Anlehnung im Osten oder im Westen. Daß wir nicht den Mut hatten, zu wählen, ist die tiefste Ursache unseres Un¬ glücks. Wenn der Versuch einer Erneuerung des deutsch-russischen Rückversicherungs- vertrages in den Jahren 1904/08 gescheitert ist, so hat dies außer in der Nichbe- rücksichtigung obiger Gesichtspunkte auch noch darin seinen Grund, daß er viel zu spät unternommen wurde, nämlich erst nach dem Zustandekommen der englisch¬ französischen Annäherung im Frühjahr 1904. Eine Politik im obigen Sinne hätte auch den Haß der Panslawisten gegen Deutschland beseitigt oder abgeschwächt; denn dieser wurde immer von neuem geschürt durch die Vorstellung, daß Deutschland die Erfüllung der Träume des russischen Volkes, die Aufpflanzung des Kreuzes auf der Hagia Sophia und die Befreiung Galiziens und der serbischen Brüder, verhindere. Der Kardinalfehler der deutschen Außenpolitik nach Bismarcks Sturze war, daß wir niemals einen Gedanken klar und folgerichtig zu Ende dachten. Leider begehen wir diesen Fehler auch jetzt immer wieder. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß wir erst die Londoner Forderungen der Entente für unannehmbar erklärt hätten, ohne uns zu zu überlegen, ob wir die Folgen einer solchen Erklärung auch auf uns nehmen könnten, und daß wir später, als wir die Folgen erkannten, wieder umfielen. Eine solche Gedankenlosigkeit führt mit Sicherheit ins Verderben. Die elsässische Frage als Rulturproblem einem Altelsässor von enden Frankreich seine Hand auf das deutsche Elsaß gelegt, ist dessen kulturelle Entwicklung problematisch geworden. Zwar hundert Jahre lang konnte sich die bodenständig deutsche Kultur unangefochten im Lande behaupten und die Zusammenhänge mit der deutschen Gesamtkultur ungehindert Pflegen, — war doch seine Universität in Straßburg ihrem ganzen Wesen, ihrer ganzen Lehrkörperzusammen- setzung nach eine deutsche Universität — das vorrevolutionäre Frankreich war weder national noch kulturpolitisch so anspruchsvoll, daß es die beiden deutschen Provinzen nicht im großen und ganzen nach ihrer eigenen Fasson leben ließ. Die Revolutionsregiernng hat mit diesem Geist der Duldung, des Gewähren- lassens endgültig gebrochen: das Elsaß mußte national wie kulturell völlig in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/215>, abgerufen am 04.07.2024.