Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel die durch Unterbietung so gefährliche Produktion zu stören. Nur der Osten von 2. Als August Stein seine jahrzehntelange, unheilvolle Tätigkeit als Berliner "Bleibt in der Welt der Eindruck bestehen, baß der heutige deutsche Staat eine Schein¬ Reichsspiegel die durch Unterbietung so gefährliche Produktion zu stören. Nur der Osten von 2. Als August Stein seine jahrzehntelange, unheilvolle Tätigkeit als Berliner „Bleibt in der Welt der Eindruck bestehen, baß der heutige deutsche Staat eine Schein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338520"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_269" prev="#ID_268"> die durch Unterbietung so gefährliche Produktion zu stören. Nur der Osten von<lb/> Rußland bis Indien und China dürfte in fernerer Zukunft eine so breite Grund¬<lb/> lage für den deutschen Warenaustausch bilden, daß unser volkswirtschaftliches<lb/> Dasein wieder sicher aufgebaut werden kann. Aber das ist noch keine Lösung für<lb/> 1921 oder die folgenden Jahre. Es geht dem Nathenauschen Stein der Weisen<lb/> wie allen Rezepten derart: je einfacher sie sind, desto weniger bedeuten sie<lb/> innerhalb der Vielspciltigkeit von Ursache und Wirkung. Daß gearbeitet<lb/> werden muß, um zu leben, ist heute wieder in Deutschland eine allgemein<lb/> erfaßte Wahrheit. Es ist aber gefährlich, wenn man sich und dem<lb/> Volk vorspiegelt, daß durch vermehrte Arbeit ein Ausweg gefunden werden<lb/> kann. Besonders gefährlich ist es, wenn dieses Allheilmittel dazu benutzt<lb/> wird, um die Bekämpfung des Schuldenmachens und der Inflation als<lb/> eine ganz unwesentliche Nebensache erscheinen zu lassen. Vielmehr ist die<lb/> Steigerung der Produktion — dieses nachgerade fast unleidlich gewordene Schlag¬<lb/> wort — ebenso wie die notwendige Deflation unumgänglich, aber für sich allein<lb/> wirkungslos, solange nicht die „Offene Tür" hinzukommt, und die ist für ein<lb/> Volk in unserer Lage nicht zu finden ohne Neubildung von Macht. Das ver¬<lb/> gessen die Weisen der „Bossischen Zeitung" einschließlich Herrn Rathenaus so gern,<lb/> und sie tun ihr möglichstes, die Ansätze neuer Machtbildung durch zwar friedlichen,<lb/> aber einigen Nationalwillen niederzuhalten. Ein Stück Macht, freilich nicht das<lb/> einzige und letzte, aber in unserer derzeitigen Lage eins der wichtigsten, ist das<lb/> selbständige, kapitalkräftige Unternehmertum, das sich jeder Weltlage rasch zum<lb/> wirtschaftlichen Nutzen der ganzen Nation anzupassen vermag. Auch dieses<lb/> Unternehmertum wird von den Leuten um den Sozialisierungsromantiker Rathenau<lb/> tunlichst mißverstanden und gehemmt, denn es hat ja wirkliche schöpferische Ideen<lb/> statt bloßen Schlagworten, es bietet dem Volk Brot anstatt eines funkelnden<lb/> Steines der Weisen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 2.</head><lb/> <p xml:id="ID_270"> Als August Stein seine jahrzehntelange, unheilvolle Tätigkeit als Berliner<lb/> Vertreter der „Frankfurter Zeitung" abschloß, fand sich als sein Nachfolger der<lb/> frühere Londoner Vertreter der „Frankfurter Zeitung", Herr Bernhard Gutimann.<lb/> An gespreizter Selbstgefälligkeit seinem Vorgänger ebenbürtig, unterscheidet sich<lb/> Guttmann, dem es in Berlin viel weniger gut gefällt als seinerzeit in London,<lb/> von dem witzelnden Schauspieler Stein durch den tiefen, säuerlichen Ernst seiner<lb/> demokratischen Lyrik. Nicht ohne Grund sind ihm unsere deutschen Professoren<lb/> mit ihren vielen menschlichen und politischen Schwächen ein besonders beliebter<lb/> Gegenstand lakonischer Unwillens. Ist er doch selber, seit wir ihn in Berlin<lb/> an manchem Donnerstag abend „bei der Zigarre" genießen durften, als der<lb/> Inbegriff eines Kathederpriesters, als der eigentliche Uberprofessor erschienen.<lb/> Sein Stein der Weisen liegt nicht in vermehrter Produktion,' er findet, daß wir<lb/> immer noch zu viel Militarismus haben. Ein Weihnachtsartikel des Blattes,<lb/> das dazu verurteilt ist, mit den Rhapsodien dieses wenig deutschen Schriftstellers<lb/> der Entente als Nachtlicht auf ihren dunklen Pfaden gegen Deutschland zu leuchten,<lb/> enthält folgende freundliche Einladung an Rottet und Fons:</p><lb/> <p xml:id="ID_271" next="#ID_272"> „Bleibt in der Welt der Eindruck bestehen, baß der heutige deutsche Staat eine Schein¬<lb/> demokratie und bloß das Produkt eines äußeren Zwanges ist, so wolle man sich acht darüber<lb/> wundern, daß die andern den Zwang verlängern. Die deutschen Reaktionäre tun alles ehren<lb/> Mögliche, um diesen Eindruck zu verstärken. Wenn sie aber sagen: „Was geht uns denn<lb/> eure Republik an? Sie ist uns widerwärtig!" so mögen sie sich wenigstens acht noch beklagen,<lb/> daß diese Republik keine befriedigenden auswärtigen Beziehungen herzustellen weiß, Eine gute<lb/> Politik kann allerdings unter fortwährendem äußeren Druck nicht zustand- kommen, und dieser<lb/> harte Druck wird niemals enden, solange sich die Militaristen der Entente auf die MUUarchen<lb/> Deutschlands b-rusen können...... So lange Republik und Demokrat,» von höchst einflu߬<lb/> reichen Klassen wütend bekämpft, von andern mürrisch hingenommen werden wie das schlechte<lb/> Wetter, gewinnen wir keine Freunde; den preußischen Gendarmen in allen Graden und-<lb/> Uniformen will man nun einmal partout nicht mehr haben. Strahlt erst einmal vom Herzen<lb/> Europas die Wärme freiheitlicher Gesinnung und echten Willens zum Verein der Völker aus»</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
Reichsspiegel
die durch Unterbietung so gefährliche Produktion zu stören. Nur der Osten von
Rußland bis Indien und China dürfte in fernerer Zukunft eine so breite Grund¬
lage für den deutschen Warenaustausch bilden, daß unser volkswirtschaftliches
Dasein wieder sicher aufgebaut werden kann. Aber das ist noch keine Lösung für
1921 oder die folgenden Jahre. Es geht dem Nathenauschen Stein der Weisen
wie allen Rezepten derart: je einfacher sie sind, desto weniger bedeuten sie
innerhalb der Vielspciltigkeit von Ursache und Wirkung. Daß gearbeitet
werden muß, um zu leben, ist heute wieder in Deutschland eine allgemein
erfaßte Wahrheit. Es ist aber gefährlich, wenn man sich und dem
Volk vorspiegelt, daß durch vermehrte Arbeit ein Ausweg gefunden werden
kann. Besonders gefährlich ist es, wenn dieses Allheilmittel dazu benutzt
wird, um die Bekämpfung des Schuldenmachens und der Inflation als
eine ganz unwesentliche Nebensache erscheinen zu lassen. Vielmehr ist die
Steigerung der Produktion — dieses nachgerade fast unleidlich gewordene Schlag¬
wort — ebenso wie die notwendige Deflation unumgänglich, aber für sich allein
wirkungslos, solange nicht die „Offene Tür" hinzukommt, und die ist für ein
Volk in unserer Lage nicht zu finden ohne Neubildung von Macht. Das ver¬
gessen die Weisen der „Bossischen Zeitung" einschließlich Herrn Rathenaus so gern,
und sie tun ihr möglichstes, die Ansätze neuer Machtbildung durch zwar friedlichen,
aber einigen Nationalwillen niederzuhalten. Ein Stück Macht, freilich nicht das
einzige und letzte, aber in unserer derzeitigen Lage eins der wichtigsten, ist das
selbständige, kapitalkräftige Unternehmertum, das sich jeder Weltlage rasch zum
wirtschaftlichen Nutzen der ganzen Nation anzupassen vermag. Auch dieses
Unternehmertum wird von den Leuten um den Sozialisierungsromantiker Rathenau
tunlichst mißverstanden und gehemmt, denn es hat ja wirkliche schöpferische Ideen
statt bloßen Schlagworten, es bietet dem Volk Brot anstatt eines funkelnden
Steines der Weisen.
2.
Als August Stein seine jahrzehntelange, unheilvolle Tätigkeit als Berliner
Vertreter der „Frankfurter Zeitung" abschloß, fand sich als sein Nachfolger der
frühere Londoner Vertreter der „Frankfurter Zeitung", Herr Bernhard Gutimann.
An gespreizter Selbstgefälligkeit seinem Vorgänger ebenbürtig, unterscheidet sich
Guttmann, dem es in Berlin viel weniger gut gefällt als seinerzeit in London,
von dem witzelnden Schauspieler Stein durch den tiefen, säuerlichen Ernst seiner
demokratischen Lyrik. Nicht ohne Grund sind ihm unsere deutschen Professoren
mit ihren vielen menschlichen und politischen Schwächen ein besonders beliebter
Gegenstand lakonischer Unwillens. Ist er doch selber, seit wir ihn in Berlin
an manchem Donnerstag abend „bei der Zigarre" genießen durften, als der
Inbegriff eines Kathederpriesters, als der eigentliche Uberprofessor erschienen.
Sein Stein der Weisen liegt nicht in vermehrter Produktion,' er findet, daß wir
immer noch zu viel Militarismus haben. Ein Weihnachtsartikel des Blattes,
das dazu verurteilt ist, mit den Rhapsodien dieses wenig deutschen Schriftstellers
der Entente als Nachtlicht auf ihren dunklen Pfaden gegen Deutschland zu leuchten,
enthält folgende freundliche Einladung an Rottet und Fons:
„Bleibt in der Welt der Eindruck bestehen, baß der heutige deutsche Staat eine Schein¬
demokratie und bloß das Produkt eines äußeren Zwanges ist, so wolle man sich acht darüber
wundern, daß die andern den Zwang verlängern. Die deutschen Reaktionäre tun alles ehren
Mögliche, um diesen Eindruck zu verstärken. Wenn sie aber sagen: „Was geht uns denn
eure Republik an? Sie ist uns widerwärtig!" so mögen sie sich wenigstens acht noch beklagen,
daß diese Republik keine befriedigenden auswärtigen Beziehungen herzustellen weiß, Eine gute
Politik kann allerdings unter fortwährendem äußeren Druck nicht zustand- kommen, und dieser
harte Druck wird niemals enden, solange sich die Militaristen der Entente auf die MUUarchen
Deutschlands b-rusen können...... So lange Republik und Demokrat,» von höchst einflu߬
reichen Klassen wütend bekämpft, von andern mürrisch hingenommen werden wie das schlechte
Wetter, gewinnen wir keine Freunde; den preußischen Gendarmen in allen Graden und-
Uniformen will man nun einmal partout nicht mehr haben. Strahlt erst einmal vom Herzen
Europas die Wärme freiheitlicher Gesinnung und echten Willens zum Verein der Völker aus»
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