Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine Winterreise nach dem Westen

heute kaum mehr laut singen. Man hat gelernt, man ist still geworden und vor¬
sichtiger. Es hilft ja doch nichts. Fünfzehn Jahre wird die Besatzung bleiben,
fünfzehn Jahre lang werden die Bergleute Kohlen für Frankreich graben, fünfzehn
Jahre lang werden wir die Besatzung bezahlen, und unsere Wohnungen mit Fremden
teilen, die unser kleines Land überschwemmt haben.

Daß man hier unten nach fünfzehn Jahren freiwillig französisch wird, diesen
Glauben haben die weitsichtigen, klugen Franzosen allmählich aufgegeben. Es
war nicht das Land, das Herr Maurice Barros geschildert hat, es war ein
fremder Stamm, der die Franzosen empfing in schweigender Trauer, und die
Paraden mit Fackelzügen, die erst jeden Samstag über die Brücken zogen, haben
sehr bald aufgehört wegen Mangels an Zuschauern. Diesen Samstag Fackelzug
zu Ehren Bismarcks, am nächsten Samstag einen für Fons. -- Man kann so
rasch nicht umlernen, nicht in einem so kerndeutsch und national empfindenden
Land wie an der Saar.

Die Franzosen äußern sich entzückt über die Saarlandschaft und ihre Städte/
wie schön, wie reich, wie sauber... O nein, es war schön und reich und
sauber, aber jetzt ist alles mit einer schwarzen Schmutzkruste überzogen, als gäbe
es.keine Straßenreinigung mehr, die Städte machen einen verkommenen Eindruck
für den, der sie früher in ihrem schmucken Kleid gekannt. Die "neuen Reichen"
haben von den Patrizierhäusern Besitz genommen und die alten Familien ver¬
drängt. Die Möglichkeit, auf die merkwürdigsten Arten über Nacht reich zu
werden, war an der Grenze immer groß, aber vielleicht nie so wie heute. Man
kann reich werden von einem Waggon Seide, den man herübcrschmuggelt, von
einem Paket Salvarsan, dem Verkauf einer Baracke oder eines gestempelten
Frachtscheins, der sehr begehrt ist ... Andere leben von der Ausgabe von
Pässen, der Vermittlung geheimer Abschlüsse, die Seife, Fett und Maschinen
betreffen, kurz, jeder versucht zu leben.

Das Saargebiet ist abhängig von Kohle und Erz. Der Erzbesitz in
Lothringen ist verloren gegangen, alles deutsche Eigentum ist dort sequestriert
und liquidiert worden. Man muß aber Lothringens Erze haben und man
bekommt sie auch weiter von dort. Aber man muß das Enz jetzt in Franken
bezahlen, das ist der Unterschied. Man muß sich erst mit dem französischen
Besitzer einigen, ob er es überhaupt den deutschen Werken abgibt. Dadurch, daß
jetzt fast durchschnittlich 60 v. H. französisches Kapital in die deutschen Werke ge¬
flossen ist, wird dieser Handel ermöglicht und erleichtert.


Das neue Metz

Ich sah es zum erstenmal im Frühjahr 1920 wieder. Es war damals
schwer, einen Paß nach Lothringen zu bekommen nach den Märztagen. Der
"Sarreois" war im Kurs gesunken, und man konnte mit seiner roten Saarkarte
keinen Staat mehr machen, aber ich kam doch hin. Ich sah das stille Lothringen
Mit seinen ausgestorbenen kleinen Garnisonen, den leeren Straßen, die alte
Festung kam mir wie ein Kirchhof vor mit ihren leeren Denkmalssockeln, und der
leeren Markthalle, in der, obwohl alle Schätze eines reichen Landes darin auf¬
gehäuft waren, ich fast die einzige Käuferin war. Die alte Kathedrale stand
unversehrt in ihrem leuchtend gelben Sandstein. Der steinernen Figur


Eine Winterreise nach dem Westen

heute kaum mehr laut singen. Man hat gelernt, man ist still geworden und vor¬
sichtiger. Es hilft ja doch nichts. Fünfzehn Jahre wird die Besatzung bleiben,
fünfzehn Jahre lang werden die Bergleute Kohlen für Frankreich graben, fünfzehn
Jahre lang werden wir die Besatzung bezahlen, und unsere Wohnungen mit Fremden
teilen, die unser kleines Land überschwemmt haben.

Daß man hier unten nach fünfzehn Jahren freiwillig französisch wird, diesen
Glauben haben die weitsichtigen, klugen Franzosen allmählich aufgegeben. Es
war nicht das Land, das Herr Maurice Barros geschildert hat, es war ein
fremder Stamm, der die Franzosen empfing in schweigender Trauer, und die
Paraden mit Fackelzügen, die erst jeden Samstag über die Brücken zogen, haben
sehr bald aufgehört wegen Mangels an Zuschauern. Diesen Samstag Fackelzug
zu Ehren Bismarcks, am nächsten Samstag einen für Fons. — Man kann so
rasch nicht umlernen, nicht in einem so kerndeutsch und national empfindenden
Land wie an der Saar.

Die Franzosen äußern sich entzückt über die Saarlandschaft und ihre Städte/
wie schön, wie reich, wie sauber... O nein, es war schön und reich und
sauber, aber jetzt ist alles mit einer schwarzen Schmutzkruste überzogen, als gäbe
es.keine Straßenreinigung mehr, die Städte machen einen verkommenen Eindruck
für den, der sie früher in ihrem schmucken Kleid gekannt. Die „neuen Reichen"
haben von den Patrizierhäusern Besitz genommen und die alten Familien ver¬
drängt. Die Möglichkeit, auf die merkwürdigsten Arten über Nacht reich zu
werden, war an der Grenze immer groß, aber vielleicht nie so wie heute. Man
kann reich werden von einem Waggon Seide, den man herübcrschmuggelt, von
einem Paket Salvarsan, dem Verkauf einer Baracke oder eines gestempelten
Frachtscheins, der sehr begehrt ist ... Andere leben von der Ausgabe von
Pässen, der Vermittlung geheimer Abschlüsse, die Seife, Fett und Maschinen
betreffen, kurz, jeder versucht zu leben.

Das Saargebiet ist abhängig von Kohle und Erz. Der Erzbesitz in
Lothringen ist verloren gegangen, alles deutsche Eigentum ist dort sequestriert
und liquidiert worden. Man muß aber Lothringens Erze haben und man
bekommt sie auch weiter von dort. Aber man muß das Enz jetzt in Franken
bezahlen, das ist der Unterschied. Man muß sich erst mit dem französischen
Besitzer einigen, ob er es überhaupt den deutschen Werken abgibt. Dadurch, daß
jetzt fast durchschnittlich 60 v. H. französisches Kapital in die deutschen Werke ge¬
flossen ist, wird dieser Handel ermöglicht und erleichtert.


Das neue Metz

Ich sah es zum erstenmal im Frühjahr 1920 wieder. Es war damals
schwer, einen Paß nach Lothringen zu bekommen nach den Märztagen. Der
„Sarreois" war im Kurs gesunken, und man konnte mit seiner roten Saarkarte
keinen Staat mehr machen, aber ich kam doch hin. Ich sah das stille Lothringen
Mit seinen ausgestorbenen kleinen Garnisonen, den leeren Straßen, die alte
Festung kam mir wie ein Kirchhof vor mit ihren leeren Denkmalssockeln, und der
leeren Markthalle, in der, obwohl alle Schätze eines reichen Landes darin auf¬
gehäuft waren, ich fast die einzige Käuferin war. Die alte Kathedrale stand
unversehrt in ihrem leuchtend gelben Sandstein. Der steinernen Figur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338786"/>
            <fw type="header" place="top"> Eine Winterreise nach dem Westen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1309" prev="#ID_1308"> heute kaum mehr laut singen. Man hat gelernt, man ist still geworden und vor¬<lb/>
sichtiger. Es hilft ja doch nichts. Fünfzehn Jahre wird die Besatzung bleiben,<lb/>
fünfzehn Jahre lang werden die Bergleute Kohlen für Frankreich graben, fünfzehn<lb/>
Jahre lang werden wir die Besatzung bezahlen, und unsere Wohnungen mit Fremden<lb/>
teilen, die unser kleines Land überschwemmt haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1310"> Daß man hier unten nach fünfzehn Jahren freiwillig französisch wird, diesen<lb/>
Glauben haben die weitsichtigen, klugen Franzosen allmählich aufgegeben. Es<lb/>
war nicht das Land, das Herr Maurice Barros geschildert hat, es war ein<lb/>
fremder Stamm, der die Franzosen empfing in schweigender Trauer, und die<lb/>
Paraden mit Fackelzügen, die erst jeden Samstag über die Brücken zogen, haben<lb/>
sehr bald aufgehört wegen Mangels an Zuschauern. Diesen Samstag Fackelzug<lb/>
zu Ehren Bismarcks, am nächsten Samstag einen für Fons. &#x2014; Man kann so<lb/>
rasch nicht umlernen, nicht in einem so kerndeutsch und national empfindenden<lb/>
Land wie an der Saar.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1311"> Die Franzosen äußern sich entzückt über die Saarlandschaft und ihre Städte/<lb/>
wie schön, wie reich, wie sauber... O nein, es war schön und reich und<lb/>
sauber, aber jetzt ist alles mit einer schwarzen Schmutzkruste überzogen, als gäbe<lb/>
es.keine Straßenreinigung mehr, die Städte machen einen verkommenen Eindruck<lb/>
für den, der sie früher in ihrem schmucken Kleid gekannt. Die &#x201E;neuen Reichen"<lb/>
haben von den Patrizierhäusern Besitz genommen und die alten Familien ver¬<lb/>
drängt. Die Möglichkeit, auf die merkwürdigsten Arten über Nacht reich zu<lb/>
werden, war an der Grenze immer groß, aber vielleicht nie so wie heute. Man<lb/>
kann reich werden von einem Waggon Seide, den man herübcrschmuggelt, von<lb/>
einem Paket Salvarsan, dem Verkauf einer Baracke oder eines gestempelten<lb/>
Frachtscheins, der sehr begehrt ist ... Andere leben von der Ausgabe von<lb/>
Pässen, der Vermittlung geheimer Abschlüsse, die Seife, Fett und Maschinen<lb/>
betreffen, kurz, jeder versucht zu leben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1312"> Das Saargebiet ist abhängig von Kohle und Erz. Der Erzbesitz in<lb/>
Lothringen ist verloren gegangen, alles deutsche Eigentum ist dort sequestriert<lb/>
und liquidiert worden. Man muß aber Lothringens Erze haben und man<lb/>
bekommt sie auch weiter von dort. Aber man muß das Enz jetzt in Franken<lb/>
bezahlen, das ist der Unterschied. Man muß sich erst mit dem französischen<lb/>
Besitzer einigen, ob er es überhaupt den deutschen Werken abgibt. Dadurch, daß<lb/>
jetzt fast durchschnittlich 60 v. H. französisches Kapital in die deutschen Werke ge¬<lb/>
flossen ist, wird dieser Handel ermöglicht und erleichtert.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Das neue Metz</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1313" next="#ID_1314"> Ich sah es zum erstenmal im Frühjahr 1920 wieder. Es war damals<lb/>
schwer, einen Paß nach Lothringen zu bekommen nach den Märztagen. Der<lb/>
&#x201E;Sarreois" war im Kurs gesunken, und man konnte mit seiner roten Saarkarte<lb/>
keinen Staat mehr machen, aber ich kam doch hin. Ich sah das stille Lothringen<lb/>
Mit seinen ausgestorbenen kleinen Garnisonen, den leeren Straßen, die alte<lb/>
Festung kam mir wie ein Kirchhof vor mit ihren leeren Denkmalssockeln, und der<lb/>
leeren Markthalle, in der, obwohl alle Schätze eines reichen Landes darin auf¬<lb/>
gehäuft waren, ich fast die einzige Käuferin war. Die alte Kathedrale stand<lb/>
unversehrt  in  ihrem  leuchtend gelben Sandstein.  Der steinernen Figur</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] Eine Winterreise nach dem Westen heute kaum mehr laut singen. Man hat gelernt, man ist still geworden und vor¬ sichtiger. Es hilft ja doch nichts. Fünfzehn Jahre wird die Besatzung bleiben, fünfzehn Jahre lang werden die Bergleute Kohlen für Frankreich graben, fünfzehn Jahre lang werden wir die Besatzung bezahlen, und unsere Wohnungen mit Fremden teilen, die unser kleines Land überschwemmt haben. Daß man hier unten nach fünfzehn Jahren freiwillig französisch wird, diesen Glauben haben die weitsichtigen, klugen Franzosen allmählich aufgegeben. Es war nicht das Land, das Herr Maurice Barros geschildert hat, es war ein fremder Stamm, der die Franzosen empfing in schweigender Trauer, und die Paraden mit Fackelzügen, die erst jeden Samstag über die Brücken zogen, haben sehr bald aufgehört wegen Mangels an Zuschauern. Diesen Samstag Fackelzug zu Ehren Bismarcks, am nächsten Samstag einen für Fons. — Man kann so rasch nicht umlernen, nicht in einem so kerndeutsch und national empfindenden Land wie an der Saar. Die Franzosen äußern sich entzückt über die Saarlandschaft und ihre Städte/ wie schön, wie reich, wie sauber... O nein, es war schön und reich und sauber, aber jetzt ist alles mit einer schwarzen Schmutzkruste überzogen, als gäbe es.keine Straßenreinigung mehr, die Städte machen einen verkommenen Eindruck für den, der sie früher in ihrem schmucken Kleid gekannt. Die „neuen Reichen" haben von den Patrizierhäusern Besitz genommen und die alten Familien ver¬ drängt. Die Möglichkeit, auf die merkwürdigsten Arten über Nacht reich zu werden, war an der Grenze immer groß, aber vielleicht nie so wie heute. Man kann reich werden von einem Waggon Seide, den man herübcrschmuggelt, von einem Paket Salvarsan, dem Verkauf einer Baracke oder eines gestempelten Frachtscheins, der sehr begehrt ist ... Andere leben von der Ausgabe von Pässen, der Vermittlung geheimer Abschlüsse, die Seife, Fett und Maschinen betreffen, kurz, jeder versucht zu leben. Das Saargebiet ist abhängig von Kohle und Erz. Der Erzbesitz in Lothringen ist verloren gegangen, alles deutsche Eigentum ist dort sequestriert und liquidiert worden. Man muß aber Lothringens Erze haben und man bekommt sie auch weiter von dort. Aber man muß das Enz jetzt in Franken bezahlen, das ist der Unterschied. Man muß sich erst mit dem französischen Besitzer einigen, ob er es überhaupt den deutschen Werken abgibt. Dadurch, daß jetzt fast durchschnittlich 60 v. H. französisches Kapital in die deutschen Werke ge¬ flossen ist, wird dieser Handel ermöglicht und erleichtert. Das neue Metz Ich sah es zum erstenmal im Frühjahr 1920 wieder. Es war damals schwer, einen Paß nach Lothringen zu bekommen nach den Märztagen. Der „Sarreois" war im Kurs gesunken, und man konnte mit seiner roten Saarkarte keinen Staat mehr machen, aber ich kam doch hin. Ich sah das stille Lothringen Mit seinen ausgestorbenen kleinen Garnisonen, den leeren Straßen, die alte Festung kam mir wie ein Kirchhof vor mit ihren leeren Denkmalssockeln, und der leeren Markthalle, in der, obwohl alle Schätze eines reichen Landes darin auf¬ gehäuft waren, ich fast die einzige Käuferin war. Die alte Kathedrale stand unversehrt in ihrem leuchtend gelben Sandstein. Der steinernen Figur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/353>, abgerufen am 27.06.2024.