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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Federstriche

Federstriche
Der starke Mann

Wenn die Franzosen vor bedeutungsvollen Verhandlungen mit ausländischen
Staaten stehen, so werfen sie alle inneren Streitigkeiten beiseite und nehmen sich
den stärksten Mann als Generalvertreter. So wurde jetzt vor den Verhandlungen
mit England und Deutschland Lcygues nur gestürzt, um einem Triumvirat der
starken 'Männer, Briand, Loucheur und Barthou Platz zu machen. Wenn aber
die Deutschen einmal einen starken Mann haben, so suchen sie ihn erstens zu
unterdrücken und sein Bild durch Nörgeleien und Verdächtigungen jedermann zu
verleiden, und zweitens stellen sie ihn im Augenblick der Gefahr möglichst beiseite,
und wenn er sich trotzdem durchsetzt, so fallen sie ihm drittens während der Krisis
in den Rücken und zeigen triumphierend dem In- und Ausland: er ist ja gar
kein starker Mann! Siehe Stinnes in Spa, nach Spa, vor Brüssel und -- ver¬
mutlich auch in den bevorstehenden Brüsseler Verhandlungen. Nicht einmal der
Tod rettet in Deutschland einen starken Mann vor der selbstmörderischen Wut
gewisser Volksgenossen. Als Protest gegen den starken M"um, der uns vor fünfzig
Jahren um soviel wohlhabender gemacht hat wie Bethmann-Hollweg und vie
Reichstagsmehrheit ärmer, haben sozialdemokratische Elternbeiräte am 18. Januar
in Halle einen Schülerstreik beschlossen. Ist es nicht falsch, daß das Werk
Bismarcks, das in kürzer denn fünfzig Jahren durch schwache Männer wieder
abgetragen worden ist, überhaupt noch vor der Jugend erwähnt wird, die doch
wohl eher zur Dankbarkeit für die Reden und Mehrheitsbeschlüsse unseres Parla¬
ments erzogen werden sollte! Der deutsche Dichterfürst der Gegenwart, Casimir
Edschmid, der während des Krieges nicht im Schmutz des Schützengrabens
seine Kraft ausgegeben, sondern so erfolgreich die sexuelle Widerwärtigkeit der
deutschen Frau gegenüber allen Ausländerinnen dargestellt hat, mußte jetzt
angesichts des bei uns aufkeimenden Heroenkults sich auf das politische Gebiet
begeben. Er hat Hindenburg sehr glücklich eine Mittelmäßigkeit genannt und
festgestellt, daß der Feldmarschall es im Frieden wohl höchstens zum "Schalter¬
beamten in Oberen" gebracht haben würde. Die Helden des November 1918,
die nur an den Augenblick, an die Persönliche Ungebundenheit, den Ungehorsam,
die Verhöhnung der Autorität, an Weiber, Spiel und Tanz dachten, verlangen
kein geschichtliches Gedächtnis. Sie sind die Helden des ewigen Heute und Hier.
Sie verlangen nichts weiter, als daß jeder Mann im Volk ihres eigenen Geistes
sei und das; alles, was stark und rein und damit wirklich zur Führung berufen
,se, mit der trübseligen Mittelmäßigkeit in einen Topf geworfen werde. Sowie
eine Kraft in Deutschland bemerkbar wird, haben die Franzosen und Engländer
auch schon die deutschen Unterwühler dieser Kraft zur Hand. Wir registrieren,
daß "deutsche" Zeitungen durch irgendwelche, sich der deutschen Sprache bedienenden
Schreiber die Reichsgründung von 1871 im Jahre 1921 als verwerflichen Gewalt¬
streich brandmarken.' Solche Staatsverneinung haben sich zur Zeit Metternichs
freie Gazettenschreiber angewöhnt, und sie können auch unter Ebert den Haß
gegen Friedrich den Großen und Bismarck sich nicht mehr abgewöhnen.


Späte Erkenntnis

Die deutsche Schuld am Kriege vermindert sich in demselben Verhältnis,
als sich die Erwartungen der Engländer auf deutsche KriegsentschädiglingSzahlungen
herabmindern. Lloyd George, der jetzt so, wenig wie zur Zeit der Versailler
Friedensberatungen geschichtliche Studien treibt, hat bei der Eröffnung des Völker¬
bundes im November 1920 die Entdeckung preisgegeben, daß eigentlich niemand,
also auch Deutschland nicht, am Ausbruch des Krieges schuld wäre. Und was
vielleicht noch stärker für Deutschlands Unschuld spricht als Lloyd Georges Revision
seiner früheren Geschichtslügen, ist die Erklärung des Professors Quitte gegen


Federstriche

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Der starke Mann

Wenn die Franzosen vor bedeutungsvollen Verhandlungen mit ausländischen
Staaten stehen, so werfen sie alle inneren Streitigkeiten beiseite und nehmen sich
den stärksten Mann als Generalvertreter. So wurde jetzt vor den Verhandlungen
mit England und Deutschland Lcygues nur gestürzt, um einem Triumvirat der
starken 'Männer, Briand, Loucheur und Barthou Platz zu machen. Wenn aber
die Deutschen einmal einen starken Mann haben, so suchen sie ihn erstens zu
unterdrücken und sein Bild durch Nörgeleien und Verdächtigungen jedermann zu
verleiden, und zweitens stellen sie ihn im Augenblick der Gefahr möglichst beiseite,
und wenn er sich trotzdem durchsetzt, so fallen sie ihm drittens während der Krisis
in den Rücken und zeigen triumphierend dem In- und Ausland: er ist ja gar
kein starker Mann! Siehe Stinnes in Spa, nach Spa, vor Brüssel und — ver¬
mutlich auch in den bevorstehenden Brüsseler Verhandlungen. Nicht einmal der
Tod rettet in Deutschland einen starken Mann vor der selbstmörderischen Wut
gewisser Volksgenossen. Als Protest gegen den starken M«um, der uns vor fünfzig
Jahren um soviel wohlhabender gemacht hat wie Bethmann-Hollweg und vie
Reichstagsmehrheit ärmer, haben sozialdemokratische Elternbeiräte am 18. Januar
in Halle einen Schülerstreik beschlossen. Ist es nicht falsch, daß das Werk
Bismarcks, das in kürzer denn fünfzig Jahren durch schwache Männer wieder
abgetragen worden ist, überhaupt noch vor der Jugend erwähnt wird, die doch
wohl eher zur Dankbarkeit für die Reden und Mehrheitsbeschlüsse unseres Parla¬
ments erzogen werden sollte! Der deutsche Dichterfürst der Gegenwart, Casimir
Edschmid, der während des Krieges nicht im Schmutz des Schützengrabens
seine Kraft ausgegeben, sondern so erfolgreich die sexuelle Widerwärtigkeit der
deutschen Frau gegenüber allen Ausländerinnen dargestellt hat, mußte jetzt
angesichts des bei uns aufkeimenden Heroenkults sich auf das politische Gebiet
begeben. Er hat Hindenburg sehr glücklich eine Mittelmäßigkeit genannt und
festgestellt, daß der Feldmarschall es im Frieden wohl höchstens zum „Schalter¬
beamten in Oberen" gebracht haben würde. Die Helden des November 1918,
die nur an den Augenblick, an die Persönliche Ungebundenheit, den Ungehorsam,
die Verhöhnung der Autorität, an Weiber, Spiel und Tanz dachten, verlangen
kein geschichtliches Gedächtnis. Sie sind die Helden des ewigen Heute und Hier.
Sie verlangen nichts weiter, als daß jeder Mann im Volk ihres eigenen Geistes
sei und das; alles, was stark und rein und damit wirklich zur Führung berufen
,se, mit der trübseligen Mittelmäßigkeit in einen Topf geworfen werde. Sowie
eine Kraft in Deutschland bemerkbar wird, haben die Franzosen und Engländer
auch schon die deutschen Unterwühler dieser Kraft zur Hand. Wir registrieren,
daß „deutsche" Zeitungen durch irgendwelche, sich der deutschen Sprache bedienenden
Schreiber die Reichsgründung von 1871 im Jahre 1921 als verwerflichen Gewalt¬
streich brandmarken.' Solche Staatsverneinung haben sich zur Zeit Metternichs
freie Gazettenschreiber angewöhnt, und sie können auch unter Ebert den Haß
gegen Friedrich den Großen und Bismarck sich nicht mehr abgewöhnen.


Späte Erkenntnis

Die deutsche Schuld am Kriege vermindert sich in demselben Verhältnis,
als sich die Erwartungen der Engländer auf deutsche KriegsentschädiglingSzahlungen
herabmindern. Lloyd George, der jetzt so, wenig wie zur Zeit der Versailler
Friedensberatungen geschichtliche Studien treibt, hat bei der Eröffnung des Völker¬
bundes im November 1920 die Entdeckung preisgegeben, daß eigentlich niemand,
also auch Deutschland nicht, am Ausbruch des Krieges schuld wäre. Und was
vielleicht noch stärker für Deutschlands Unschuld spricht als Lloyd Georges Revision
seiner früheren Geschichtslügen, ist die Erklärung des Professors Quitte gegen


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[0139] Federstriche Federstriche Der starke Mann Wenn die Franzosen vor bedeutungsvollen Verhandlungen mit ausländischen Staaten stehen, so werfen sie alle inneren Streitigkeiten beiseite und nehmen sich den stärksten Mann als Generalvertreter. So wurde jetzt vor den Verhandlungen mit England und Deutschland Lcygues nur gestürzt, um einem Triumvirat der starken 'Männer, Briand, Loucheur und Barthou Platz zu machen. Wenn aber die Deutschen einmal einen starken Mann haben, so suchen sie ihn erstens zu unterdrücken und sein Bild durch Nörgeleien und Verdächtigungen jedermann zu verleiden, und zweitens stellen sie ihn im Augenblick der Gefahr möglichst beiseite, und wenn er sich trotzdem durchsetzt, so fallen sie ihm drittens während der Krisis in den Rücken und zeigen triumphierend dem In- und Ausland: er ist ja gar kein starker Mann! Siehe Stinnes in Spa, nach Spa, vor Brüssel und — ver¬ mutlich auch in den bevorstehenden Brüsseler Verhandlungen. Nicht einmal der Tod rettet in Deutschland einen starken Mann vor der selbstmörderischen Wut gewisser Volksgenossen. Als Protest gegen den starken M«um, der uns vor fünfzig Jahren um soviel wohlhabender gemacht hat wie Bethmann-Hollweg und vie Reichstagsmehrheit ärmer, haben sozialdemokratische Elternbeiräte am 18. Januar in Halle einen Schülerstreik beschlossen. Ist es nicht falsch, daß das Werk Bismarcks, das in kürzer denn fünfzig Jahren durch schwache Männer wieder abgetragen worden ist, überhaupt noch vor der Jugend erwähnt wird, die doch wohl eher zur Dankbarkeit für die Reden und Mehrheitsbeschlüsse unseres Parla¬ ments erzogen werden sollte! Der deutsche Dichterfürst der Gegenwart, Casimir Edschmid, der während des Krieges nicht im Schmutz des Schützengrabens seine Kraft ausgegeben, sondern so erfolgreich die sexuelle Widerwärtigkeit der deutschen Frau gegenüber allen Ausländerinnen dargestellt hat, mußte jetzt angesichts des bei uns aufkeimenden Heroenkults sich auf das politische Gebiet begeben. Er hat Hindenburg sehr glücklich eine Mittelmäßigkeit genannt und festgestellt, daß der Feldmarschall es im Frieden wohl höchstens zum „Schalter¬ beamten in Oberen" gebracht haben würde. Die Helden des November 1918, die nur an den Augenblick, an die Persönliche Ungebundenheit, den Ungehorsam, die Verhöhnung der Autorität, an Weiber, Spiel und Tanz dachten, verlangen kein geschichtliches Gedächtnis. Sie sind die Helden des ewigen Heute und Hier. Sie verlangen nichts weiter, als daß jeder Mann im Volk ihres eigenen Geistes sei und das; alles, was stark und rein und damit wirklich zur Führung berufen ,se, mit der trübseligen Mittelmäßigkeit in einen Topf geworfen werde. Sowie eine Kraft in Deutschland bemerkbar wird, haben die Franzosen und Engländer auch schon die deutschen Unterwühler dieser Kraft zur Hand. Wir registrieren, daß „deutsche" Zeitungen durch irgendwelche, sich der deutschen Sprache bedienenden Schreiber die Reichsgründung von 1871 im Jahre 1921 als verwerflichen Gewalt¬ streich brandmarken.' Solche Staatsverneinung haben sich zur Zeit Metternichs freie Gazettenschreiber angewöhnt, und sie können auch unter Ebert den Haß gegen Friedrich den Großen und Bismarck sich nicht mehr abgewöhnen. Späte Erkenntnis Die deutsche Schuld am Kriege vermindert sich in demselben Verhältnis, als sich die Erwartungen der Engländer auf deutsche KriegsentschädiglingSzahlungen herabmindern. Lloyd George, der jetzt so, wenig wie zur Zeit der Versailler Friedensberatungen geschichtliche Studien treibt, hat bei der Eröffnung des Völker¬ bundes im November 1920 die Entdeckung preisgegeben, daß eigentlich niemand, also auch Deutschland nicht, am Ausbruch des Krieges schuld wäre. Und was vielleicht noch stärker für Deutschlands Unschuld spricht als Lloyd Georges Revision seiner früheren Geschichtslügen, ist die Erklärung des Professors Quitte gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/139>, abgerufen am 27.12.2024.