Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum Staatsvertrag zwischen Danzig und Polen

Wünscht. Wenn wir lernen wollen, wie ein großes Volk sich auch aus schwerem
Unglück wieder erhebt, so brauchen wir uns nur die Geschichte Frankreichs nach
seiner Niederlage von 1870 ins Gedächtnis zu rufen. Man lese die Reden von
Victor Hugo und Thiers in der Nationalversammlung von Bordeaux vor der
Annahme des Friedensvertrages mit Deutschland, die Reden von Gambetta während
der 70 er Jahre. Erinnern wir uns, wie der französische Geist, ungebrochen in
seiner Spannkraft und in seinem Stolz, von dem,"Augenblick an, wo Thiers mit
Hilfe der Frankreich verbliebenen Armee den Kommuneaufstand niedergeworfen
und damit Ordnung und nationale Einheit gerettet hatte, trotz aller inneren
Parteikämpfe das Wohl, die Sicherheit und die Größe Frankreichs über jede
andere Erwägung stellte. Solange der Geist der Arbeitsfreudi,Me und des zähen
Fleißes, der Deutschlands wirtschaftlichen Aufstieg bedingte, im deutschen Volk nicht
wieder lebendig wird, solange unser öffentliches Leben sich nicht zu Würde und
berechtigtem nationalen Empfinden zurückfindet, wäre es ein verhängnisvoller
Optimismus, zu glauben, Deutschland werde von irgendeinem Lande der Welt als
beachtenswerter Faktor in die politische Rechnung eingestellt.

Beurteile die öffentliche Meinung Deutschlands das Problem der künftigen
Beziehungen zwischen Deutschland und Italien im Geist nüchterner Selbsterkenntnis
und in verständnisvoller Würdigung der innen- und außenpolitischen Schwierig¬
keiten, mit denen Italien zu kämpfen hat, dann wird sie das Ihre dazu beitragen
können, das Heranreifen eines auf gewissen gemeinsamen Interessen ausgebauten
wirtschaftlichen Verhältnisses zu fördern. Jedes Mehr an Wünschen und Be¬
mühungen wäre vom Übel- "Surtout pas trox as Dieses klassische Wort,
das einer der Meister diplomatischer Staatskunst, Talleyrand, seinen Mitarbeitern
als politische Richtschnur empfahl, muß Italien gegenüber, sowohl für die Politik
wie für die öffentliche Meinung Deutschlands, als Losungswort gelten.




Zum Staatsverträge zwischen Danzig und Polen
Dr. Sontag von Kammergerichtsrat

gegenwärtig weilen die Vertreter der Freien Stadt Danzig und der
Republik Polen in Paris, um vor dem Obersten Rat der Entente
über das im Art. 104 des Versailler Friedensvertrages (V. F. V.)
vorgesehene Abkommen zu verhandeln. Beide Teile haben Entwürfe
für dieses Abkommen aufgestellt, die als Unterlage ihrer Verhand¬
lungen dienen sollen. Wenn der polnische Entwurf in der deutschen Presse nicht
die ihm bei seiner Gefährlichkeit gebührende Beachtung gefunden hat, so liegt dies
daran, daß die Polen -- ein Zeichen ebenso ihrer politischen Klugheit wie ihres
schlechten Gewissens -- ihren Entwurf für geheim erklärt haben, und die Danziger
dieses Geheimhaltungsverlangen respektiert haben. So habe ich weder durch das
preußische Justizministerium, noch durch die Danziger juristischen Behörden, noch
durch Abgeordnete Danzigs ein Exemplar dieses polnischen Entwurfs erhaltenW


Zum Staatsvertrag zwischen Danzig und Polen

Wünscht. Wenn wir lernen wollen, wie ein großes Volk sich auch aus schwerem
Unglück wieder erhebt, so brauchen wir uns nur die Geschichte Frankreichs nach
seiner Niederlage von 1870 ins Gedächtnis zu rufen. Man lese die Reden von
Victor Hugo und Thiers in der Nationalversammlung von Bordeaux vor der
Annahme des Friedensvertrages mit Deutschland, die Reden von Gambetta während
der 70 er Jahre. Erinnern wir uns, wie der französische Geist, ungebrochen in
seiner Spannkraft und in seinem Stolz, von dem,„Augenblick an, wo Thiers mit
Hilfe der Frankreich verbliebenen Armee den Kommuneaufstand niedergeworfen
und damit Ordnung und nationale Einheit gerettet hatte, trotz aller inneren
Parteikämpfe das Wohl, die Sicherheit und die Größe Frankreichs über jede
andere Erwägung stellte. Solange der Geist der Arbeitsfreudi,Me und des zähen
Fleißes, der Deutschlands wirtschaftlichen Aufstieg bedingte, im deutschen Volk nicht
wieder lebendig wird, solange unser öffentliches Leben sich nicht zu Würde und
berechtigtem nationalen Empfinden zurückfindet, wäre es ein verhängnisvoller
Optimismus, zu glauben, Deutschland werde von irgendeinem Lande der Welt als
beachtenswerter Faktor in die politische Rechnung eingestellt.

Beurteile die öffentliche Meinung Deutschlands das Problem der künftigen
Beziehungen zwischen Deutschland und Italien im Geist nüchterner Selbsterkenntnis
und in verständnisvoller Würdigung der innen- und außenpolitischen Schwierig¬
keiten, mit denen Italien zu kämpfen hat, dann wird sie das Ihre dazu beitragen
können, das Heranreifen eines auf gewissen gemeinsamen Interessen ausgebauten
wirtschaftlichen Verhältnisses zu fördern. Jedes Mehr an Wünschen und Be¬
mühungen wäre vom Übel- „Surtout pas trox as Dieses klassische Wort,
das einer der Meister diplomatischer Staatskunst, Talleyrand, seinen Mitarbeitern
als politische Richtschnur empfahl, muß Italien gegenüber, sowohl für die Politik
wie für die öffentliche Meinung Deutschlands, als Losungswort gelten.




Zum Staatsverträge zwischen Danzig und Polen
Dr. Sontag von Kammergerichtsrat

gegenwärtig weilen die Vertreter der Freien Stadt Danzig und der
Republik Polen in Paris, um vor dem Obersten Rat der Entente
über das im Art. 104 des Versailler Friedensvertrages (V. F. V.)
vorgesehene Abkommen zu verhandeln. Beide Teile haben Entwürfe
für dieses Abkommen aufgestellt, die als Unterlage ihrer Verhand¬
lungen dienen sollen. Wenn der polnische Entwurf in der deutschen Presse nicht
die ihm bei seiner Gefährlichkeit gebührende Beachtung gefunden hat, so liegt dies
daran, daß die Polen — ein Zeichen ebenso ihrer politischen Klugheit wie ihres
schlechten Gewissens — ihren Entwurf für geheim erklärt haben, und die Danziger
dieses Geheimhaltungsverlangen respektiert haben. So habe ich weder durch das
preußische Justizministerium, noch durch die Danziger juristischen Behörden, noch
durch Abgeordnete Danzigs ein Exemplar dieses polnischen Entwurfs erhaltenW


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338099"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum Staatsvertrag zwischen Danzig und Polen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_244" prev="#ID_243"> Wünscht. Wenn wir lernen wollen, wie ein großes Volk sich auch aus schwerem<lb/>
Unglück wieder erhebt, so brauchen wir uns nur die Geschichte Frankreichs nach<lb/>
seiner Niederlage von 1870 ins Gedächtnis zu rufen. Man lese die Reden von<lb/>
Victor Hugo und Thiers in der Nationalversammlung von Bordeaux vor der<lb/>
Annahme des Friedensvertrages mit Deutschland, die Reden von Gambetta während<lb/>
der 70 er Jahre. Erinnern wir uns, wie der französische Geist, ungebrochen in<lb/>
seiner Spannkraft und in seinem Stolz, von dem,&#x201E;Augenblick an, wo Thiers mit<lb/>
Hilfe der Frankreich verbliebenen Armee den Kommuneaufstand niedergeworfen<lb/>
und damit Ordnung und nationale Einheit gerettet hatte, trotz aller inneren<lb/>
Parteikämpfe das Wohl, die Sicherheit und die Größe Frankreichs über jede<lb/>
andere Erwägung stellte. Solange der Geist der Arbeitsfreudi,Me und des zähen<lb/>
Fleißes, der Deutschlands wirtschaftlichen Aufstieg bedingte, im deutschen Volk nicht<lb/>
wieder lebendig wird, solange unser öffentliches Leben sich nicht zu Würde und<lb/>
berechtigtem nationalen Empfinden zurückfindet, wäre es ein verhängnisvoller<lb/>
Optimismus, zu glauben, Deutschland werde von irgendeinem Lande der Welt als<lb/>
beachtenswerter Faktor in die politische Rechnung eingestellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245"> Beurteile die öffentliche Meinung Deutschlands das Problem der künftigen<lb/>
Beziehungen zwischen Deutschland und Italien im Geist nüchterner Selbsterkenntnis<lb/>
und in verständnisvoller Würdigung der innen- und außenpolitischen Schwierig¬<lb/>
keiten, mit denen Italien zu kämpfen hat, dann wird sie das Ihre dazu beitragen<lb/>
können, das Heranreifen eines auf gewissen gemeinsamen Interessen ausgebauten<lb/>
wirtschaftlichen Verhältnisses zu fördern. Jedes Mehr an Wünschen und Be¬<lb/>
mühungen wäre vom Übel- &#x201E;Surtout pas trox as Dieses klassische Wort,<lb/>
das einer der Meister diplomatischer Staatskunst, Talleyrand, seinen Mitarbeitern<lb/>
als politische Richtschnur empfahl, muß Italien gegenüber, sowohl für die Politik<lb/>
wie für die öffentliche Meinung Deutschlands, als Losungswort gelten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zum Staatsverträge zwischen Danzig und Polen<lb/><note type="byline"> Dr. Sontag</note> von Kammergerichtsrat </head><lb/>
          <p xml:id="ID_246" next="#ID_247"> gegenwärtig weilen die Vertreter der Freien Stadt Danzig und der<lb/>
Republik Polen in Paris, um vor dem Obersten Rat der Entente<lb/>
über das im Art. 104 des Versailler Friedensvertrages (V. F. V.)<lb/>
vorgesehene Abkommen zu verhandeln. Beide Teile haben Entwürfe<lb/>
für dieses Abkommen aufgestellt, die als Unterlage ihrer Verhand¬<lb/>
lungen dienen sollen. Wenn der polnische Entwurf in der deutschen Presse nicht<lb/>
die ihm bei seiner Gefährlichkeit gebührende Beachtung gefunden hat, so liegt dies<lb/>
daran, daß die Polen &#x2014; ein Zeichen ebenso ihrer politischen Klugheit wie ihres<lb/>
schlechten Gewissens &#x2014; ihren Entwurf für geheim erklärt haben, und die Danziger<lb/>
dieses Geheimhaltungsverlangen respektiert haben. So habe ich weder durch das<lb/>
preußische Justizministerium, noch durch die Danziger juristischen Behörden, noch<lb/>
durch Abgeordnete Danzigs ein Exemplar dieses polnischen Entwurfs erhaltenW</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0076] Zum Staatsvertrag zwischen Danzig und Polen Wünscht. Wenn wir lernen wollen, wie ein großes Volk sich auch aus schwerem Unglück wieder erhebt, so brauchen wir uns nur die Geschichte Frankreichs nach seiner Niederlage von 1870 ins Gedächtnis zu rufen. Man lese die Reden von Victor Hugo und Thiers in der Nationalversammlung von Bordeaux vor der Annahme des Friedensvertrages mit Deutschland, die Reden von Gambetta während der 70 er Jahre. Erinnern wir uns, wie der französische Geist, ungebrochen in seiner Spannkraft und in seinem Stolz, von dem,„Augenblick an, wo Thiers mit Hilfe der Frankreich verbliebenen Armee den Kommuneaufstand niedergeworfen und damit Ordnung und nationale Einheit gerettet hatte, trotz aller inneren Parteikämpfe das Wohl, die Sicherheit und die Größe Frankreichs über jede andere Erwägung stellte. Solange der Geist der Arbeitsfreudi,Me und des zähen Fleißes, der Deutschlands wirtschaftlichen Aufstieg bedingte, im deutschen Volk nicht wieder lebendig wird, solange unser öffentliches Leben sich nicht zu Würde und berechtigtem nationalen Empfinden zurückfindet, wäre es ein verhängnisvoller Optimismus, zu glauben, Deutschland werde von irgendeinem Lande der Welt als beachtenswerter Faktor in die politische Rechnung eingestellt. Beurteile die öffentliche Meinung Deutschlands das Problem der künftigen Beziehungen zwischen Deutschland und Italien im Geist nüchterner Selbsterkenntnis und in verständnisvoller Würdigung der innen- und außenpolitischen Schwierig¬ keiten, mit denen Italien zu kämpfen hat, dann wird sie das Ihre dazu beitragen können, das Heranreifen eines auf gewissen gemeinsamen Interessen ausgebauten wirtschaftlichen Verhältnisses zu fördern. Jedes Mehr an Wünschen und Be¬ mühungen wäre vom Übel- „Surtout pas trox as Dieses klassische Wort, das einer der Meister diplomatischer Staatskunst, Talleyrand, seinen Mitarbeitern als politische Richtschnur empfahl, muß Italien gegenüber, sowohl für die Politik wie für die öffentliche Meinung Deutschlands, als Losungswort gelten. Zum Staatsverträge zwischen Danzig und Polen Dr. Sontag von Kammergerichtsrat gegenwärtig weilen die Vertreter der Freien Stadt Danzig und der Republik Polen in Paris, um vor dem Obersten Rat der Entente über das im Art. 104 des Versailler Friedensvertrages (V. F. V.) vorgesehene Abkommen zu verhandeln. Beide Teile haben Entwürfe für dieses Abkommen aufgestellt, die als Unterlage ihrer Verhand¬ lungen dienen sollen. Wenn der polnische Entwurf in der deutschen Presse nicht die ihm bei seiner Gefährlichkeit gebührende Beachtung gefunden hat, so liegt dies daran, daß die Polen — ein Zeichen ebenso ihrer politischen Klugheit wie ihres schlechten Gewissens — ihren Entwurf für geheim erklärt haben, und die Danziger dieses Geheimhaltungsverlangen respektiert haben. So habe ich weder durch das preußische Justizministerium, noch durch die Danziger juristischen Behörden, noch durch Abgeordnete Danzigs ein Exemplar dieses polnischen Entwurfs erhaltenW

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/76
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/76>, abgerufen am 22.07.2024.