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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Rückblicke und Ausblicke der chemischen Industrie

frei zu machen. Aber ach, welche Kraft kann eine platonische Resolution über den
Friedensvertrag, für die doch nicht etwa wie in der Frage der östlichen Neutralität
die vollen Machtmittel des Proletariats eingesetzt werden, in einem Augenblick haben,
wo der geeinigte Sozialismus eine der weittragendsten, in ihren Konsequenzen die
dauernde Schuldknechtschaft der deutschen Arbeiterschaft festlegenden Bestimmungen
des Friedensvertrages gleichsam noch einmal unterstrichen hat! Nur zu sehr zu
fürchten ist, daß die Genfer Resolutionen von übler Vorbedeutung sein werden für
die Wiedergutmachungskonferenz, die in demselben Genf in Kürze zusammen¬
treten soll.

Eins aber ist gewiß: In der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie wird der
Gang nach Canossa, den sie mit der Genfer Resolution angetreten hat, kein Ruhmes¬
blatt sein.




Rückblicke und Ausblicke der chemischen Industrie
Gscar Neuß, Chemiker von

lie Früchte gewaltiger, technisch vorzüglich durchgearbeiteter Probleme
Iber deutschen chemischen Industrie standen bei Beginn des Krieges,
Ibegünstigt von der Sonne einer 40jährigen Friedensära, in panse-
! voller Reise.

Durch zahlreiche, mühevolle, langwierige Einzelarbeiten war von
deutschen Chemikern das einstige Neuland der synthetischen Farbstofsherstellung
derart durchgeackert, daß die Anilinfarbe aus der deutschen Fabrik eine Machtstellung
auf dem Handelsmarkte der Welt darstellte; Hunderte von deutschen pharmazeutischen
Präparaten brachten Segen und Heilung in zwei ganze Welten. An Präparate,
wie Salvarsan, Aspirin, Antipyrin und unzählige andere sei hier nur erinnert.
Das gewaltige Problem der Stickstoffgewinnung aus Luft hatte die Periode der
üblichen technischen Kinderkrankheiten überstanden und war genügend vervoll¬
kommnet, um in den Großbetrieb übergeleitet zu werden. Eine große Anzahl
weiterer ähnlich erfolgreicher chemischer Errungenschaften waren erzielt.

Über diese äußerlich weithin sichtbaren Erfolge hinaus waren uns durch
Arbeiten großer Chemiker, wie Emil Fischers, Ehrlichs u. a. Testamente des Geistes
vermacht worden, die es uns, hätte nicht die Brandfackel des Weltkrieges die Chemie
auf andere Arbeitsgebiete verwiesen, ermöglicht hätten, zum Segen der Welt und
Nutzen unseres Vaterlandes in den folgenden fünf Jahren gewaltige Friedensarlmt
zu vollbringen.

Da kam der Weltkrieg. Das große Rädergetriebe der rein wissenschaftlichen
Forschung, die da um ihrer selbst willen ist und arbeitet, stand mit einem Nuck sti^-
Die Begeisterung zog die jungen Chemiker hinaus an die Front, die älteren wurde"
hierdurch ihrer Mitarbeiter beraubt, und an sie und die wenigen Zurückgebliebenen
trat die Aufgabe heran, eine Kriegschemie ins Leben zu rufen, deren letztes Ziel
und letzter Zweck es war, einzig der Verteidigung des Vaterlandes zu dienen.

Von diesem Gesichtswinkel aus wollen die technischen Erfolge beurteilt werden,
welche die Chemie des Weltkrieges ihr eigen nennt. Denn ex 905t, lediglich


Rückblicke und Ausblicke der chemischen Industrie

frei zu machen. Aber ach, welche Kraft kann eine platonische Resolution über den
Friedensvertrag, für die doch nicht etwa wie in der Frage der östlichen Neutralität
die vollen Machtmittel des Proletariats eingesetzt werden, in einem Augenblick haben,
wo der geeinigte Sozialismus eine der weittragendsten, in ihren Konsequenzen die
dauernde Schuldknechtschaft der deutschen Arbeiterschaft festlegenden Bestimmungen
des Friedensvertrages gleichsam noch einmal unterstrichen hat! Nur zu sehr zu
fürchten ist, daß die Genfer Resolutionen von übler Vorbedeutung sein werden für
die Wiedergutmachungskonferenz, die in demselben Genf in Kürze zusammen¬
treten soll.

Eins aber ist gewiß: In der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie wird der
Gang nach Canossa, den sie mit der Genfer Resolution angetreten hat, kein Ruhmes¬
blatt sein.




Rückblicke und Ausblicke der chemischen Industrie
Gscar Neuß, Chemiker von

lie Früchte gewaltiger, technisch vorzüglich durchgearbeiteter Probleme
Iber deutschen chemischen Industrie standen bei Beginn des Krieges,
Ibegünstigt von der Sonne einer 40jährigen Friedensära, in panse-
! voller Reise.

Durch zahlreiche, mühevolle, langwierige Einzelarbeiten war von
deutschen Chemikern das einstige Neuland der synthetischen Farbstofsherstellung
derart durchgeackert, daß die Anilinfarbe aus der deutschen Fabrik eine Machtstellung
auf dem Handelsmarkte der Welt darstellte; Hunderte von deutschen pharmazeutischen
Präparaten brachten Segen und Heilung in zwei ganze Welten. An Präparate,
wie Salvarsan, Aspirin, Antipyrin und unzählige andere sei hier nur erinnert.
Das gewaltige Problem der Stickstoffgewinnung aus Luft hatte die Periode der
üblichen technischen Kinderkrankheiten überstanden und war genügend vervoll¬
kommnet, um in den Großbetrieb übergeleitet zu werden. Eine große Anzahl
weiterer ähnlich erfolgreicher chemischer Errungenschaften waren erzielt.

Über diese äußerlich weithin sichtbaren Erfolge hinaus waren uns durch
Arbeiten großer Chemiker, wie Emil Fischers, Ehrlichs u. a. Testamente des Geistes
vermacht worden, die es uns, hätte nicht die Brandfackel des Weltkrieges die Chemie
auf andere Arbeitsgebiete verwiesen, ermöglicht hätten, zum Segen der Welt und
Nutzen unseres Vaterlandes in den folgenden fünf Jahren gewaltige Friedensarlmt
zu vollbringen.

Da kam der Weltkrieg. Das große Rädergetriebe der rein wissenschaftlichen
Forschung, die da um ihrer selbst willen ist und arbeitet, stand mit einem Nuck sti^-
Die Begeisterung zog die jungen Chemiker hinaus an die Front, die älteren wurde»
hierdurch ihrer Mitarbeiter beraubt, und an sie und die wenigen Zurückgebliebenen
trat die Aufgabe heran, eine Kriegschemie ins Leben zu rufen, deren letztes Ziel
und letzter Zweck es war, einzig der Verteidigung des Vaterlandes zu dienen.

Von diesem Gesichtswinkel aus wollen die technischen Erfolge beurteilt werden,
welche die Chemie des Weltkrieges ihr eigen nennt. Denn ex 905t, lediglich


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[0238] Rückblicke und Ausblicke der chemischen Industrie frei zu machen. Aber ach, welche Kraft kann eine platonische Resolution über den Friedensvertrag, für die doch nicht etwa wie in der Frage der östlichen Neutralität die vollen Machtmittel des Proletariats eingesetzt werden, in einem Augenblick haben, wo der geeinigte Sozialismus eine der weittragendsten, in ihren Konsequenzen die dauernde Schuldknechtschaft der deutschen Arbeiterschaft festlegenden Bestimmungen des Friedensvertrages gleichsam noch einmal unterstrichen hat! Nur zu sehr zu fürchten ist, daß die Genfer Resolutionen von übler Vorbedeutung sein werden für die Wiedergutmachungskonferenz, die in demselben Genf in Kürze zusammen¬ treten soll. Eins aber ist gewiß: In der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie wird der Gang nach Canossa, den sie mit der Genfer Resolution angetreten hat, kein Ruhmes¬ blatt sein. Rückblicke und Ausblicke der chemischen Industrie Gscar Neuß, Chemiker von lie Früchte gewaltiger, technisch vorzüglich durchgearbeiteter Probleme Iber deutschen chemischen Industrie standen bei Beginn des Krieges, Ibegünstigt von der Sonne einer 40jährigen Friedensära, in panse- ! voller Reise. Durch zahlreiche, mühevolle, langwierige Einzelarbeiten war von deutschen Chemikern das einstige Neuland der synthetischen Farbstofsherstellung derart durchgeackert, daß die Anilinfarbe aus der deutschen Fabrik eine Machtstellung auf dem Handelsmarkte der Welt darstellte; Hunderte von deutschen pharmazeutischen Präparaten brachten Segen und Heilung in zwei ganze Welten. An Präparate, wie Salvarsan, Aspirin, Antipyrin und unzählige andere sei hier nur erinnert. Das gewaltige Problem der Stickstoffgewinnung aus Luft hatte die Periode der üblichen technischen Kinderkrankheiten überstanden und war genügend vervoll¬ kommnet, um in den Großbetrieb übergeleitet zu werden. Eine große Anzahl weiterer ähnlich erfolgreicher chemischer Errungenschaften waren erzielt. Über diese äußerlich weithin sichtbaren Erfolge hinaus waren uns durch Arbeiten großer Chemiker, wie Emil Fischers, Ehrlichs u. a. Testamente des Geistes vermacht worden, die es uns, hätte nicht die Brandfackel des Weltkrieges die Chemie auf andere Arbeitsgebiete verwiesen, ermöglicht hätten, zum Segen der Welt und Nutzen unseres Vaterlandes in den folgenden fünf Jahren gewaltige Friedensarlmt zu vollbringen. Da kam der Weltkrieg. Das große Rädergetriebe der rein wissenschaftlichen Forschung, die da um ihrer selbst willen ist und arbeitet, stand mit einem Nuck sti^- Die Begeisterung zog die jungen Chemiker hinaus an die Front, die älteren wurde» hierdurch ihrer Mitarbeiter beraubt, und an sie und die wenigen Zurückgebliebenen trat die Aufgabe heran, eine Kriegschemie ins Leben zu rufen, deren letztes Ziel und letzter Zweck es war, einzig der Verteidigung des Vaterlandes zu dienen. Von diesem Gesichtswinkel aus wollen die technischen Erfolge beurteilt werden, welche die Chemie des Weltkrieges ihr eigen nennt. Denn ex 905t, lediglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/238>, abgerufen am 22.07.2024.