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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Der ^leg des Imperialismus
Dr. rvütschke von

ach dem Wortlaut des Friedensvertrages vom 28. Juni soll die
Welt nun befreit aufatmen können. Ist ihr doch ein Frieden
beschieden, der "die Verletzungen der Gerechtigkeit und des Völker¬
rechtes rächen soll" und der "als ein wahrer Frieden der
Gerechtigkeit" allen Völkern Europas die politischen Grundlagen
ihrer Freiheit sichern soll. Aber bei näherem Zusehen entpuppt
sich doch dieses Geschenk der Entente an die nach Frieden lechzende Welt als
eine seltsame Mißgeburt, als ein Geschöpf mit der Palme in der einen Hand
und der flammenden Kriegsfackel in der anderen. "Völkerbund" nennt man
das eine Mittel, unter dem die Welt für alle Zeit vor grausamen Selbst-
zerfleischungen bewahrt werden soll, Gewalt heißt das andere, mit dem die
Entente nunmehr der Welt gebietet; zwei Dinge, die sich praktisch nicht gut
vereinen lassen. Das hatte man wohl auch gefühlt, als man im amerikanischen
Senat auf eine Loslösung des Völkerbund Vertrages von dem eigentlichen
Friedensvertrag drängte. Daß sie nicht möglich war, beweist, daß die Kraft
der Gewalt stärker ist als die Kraft des alle Völker einigenden Bundes, daß
die Idee der Weltversöhnung, durch den Völkerbund verkörpert, eine Unmöglichkeit
ist. solange noch die reine Gewalt über Völker ihre Geißel schwingt. Alle
Völkerbundsgedanken, die dem Friedensverträge eingewebt oder angehängt sind,
können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie nur zur wohlanständigen Um-
kleidung und Verbrämung des nackten Gewaltimperialismus dienen sollen, der
aus jeder Zeile des Vertrages spricht. Er enthält nicht Vorschläge, nach
denen der Frieden der Welt sich gestalten kann, sondern nur Vorschläge, wie
der Machthunger der Diktierenden befriedigt werden kann. Er scheint nicht am
Ende einer Geschichtsperiode zu stehen, die den Krieg der Völker aus der
Welt schaffen und an seine Stelle den allmählich die Welt versöhnenden Völker¬
bund setzen soll, sondern am Anfang einer Zeit, in der rohe Gewalt über jede
freiere Regung der Schwachen triumphieren will. Die Weltmächte sehen das
Heil der Welt in einer Gewaltherrschaft, in einem Gewaltimperialismus, der
auf feiten Englands ausgesprochen wirtschaftlichen Erwägungen entspricht,
während er in Frankreich das Gesicht eines nach möglichst großer politischer
Macht drängenden Imperialismus trägt. Der amerikanische aber gründet sich


Grenzboten IV 1919 1


Der ^leg des Imperialismus
Dr. rvütschke von

ach dem Wortlaut des Friedensvertrages vom 28. Juni soll die
Welt nun befreit aufatmen können. Ist ihr doch ein Frieden
beschieden, der „die Verletzungen der Gerechtigkeit und des Völker¬
rechtes rächen soll" und der „als ein wahrer Frieden der
Gerechtigkeit" allen Völkern Europas die politischen Grundlagen
ihrer Freiheit sichern soll. Aber bei näherem Zusehen entpuppt
sich doch dieses Geschenk der Entente an die nach Frieden lechzende Welt als
eine seltsame Mißgeburt, als ein Geschöpf mit der Palme in der einen Hand
und der flammenden Kriegsfackel in der anderen. „Völkerbund" nennt man
das eine Mittel, unter dem die Welt für alle Zeit vor grausamen Selbst-
zerfleischungen bewahrt werden soll, Gewalt heißt das andere, mit dem die
Entente nunmehr der Welt gebietet; zwei Dinge, die sich praktisch nicht gut
vereinen lassen. Das hatte man wohl auch gefühlt, als man im amerikanischen
Senat auf eine Loslösung des Völkerbund Vertrages von dem eigentlichen
Friedensvertrag drängte. Daß sie nicht möglich war, beweist, daß die Kraft
der Gewalt stärker ist als die Kraft des alle Völker einigenden Bundes, daß
die Idee der Weltversöhnung, durch den Völkerbund verkörpert, eine Unmöglichkeit
ist. solange noch die reine Gewalt über Völker ihre Geißel schwingt. Alle
Völkerbundsgedanken, die dem Friedensverträge eingewebt oder angehängt sind,
können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie nur zur wohlanständigen Um-
kleidung und Verbrämung des nackten Gewaltimperialismus dienen sollen, der
aus jeder Zeile des Vertrages spricht. Er enthält nicht Vorschläge, nach
denen der Frieden der Welt sich gestalten kann, sondern nur Vorschläge, wie
der Machthunger der Diktierenden befriedigt werden kann. Er scheint nicht am
Ende einer Geschichtsperiode zu stehen, die den Krieg der Völker aus der
Welt schaffen und an seine Stelle den allmählich die Welt versöhnenden Völker¬
bund setzen soll, sondern am Anfang einer Zeit, in der rohe Gewalt über jede
freiere Regung der Schwachen triumphieren will. Die Weltmächte sehen das
Heil der Welt in einer Gewaltherrschaft, in einem Gewaltimperialismus, der
auf feiten Englands ausgesprochen wirtschaftlichen Erwägungen entspricht,
während er in Frankreich das Gesicht eines nach möglichst großer politischer
Macht drängenden Imperialismus trägt. Der amerikanische aber gründet sich


Grenzboten IV 1919 1
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/9>, abgerufen am 15.01.2025.