Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Der Katholizismus und das deutsche Geistesleben Fritz Härtung von Professor Dr. e gefährdeter unser politisches Dasein wird, desto wichtiger wird In erschreckender Weise zeigt dies Buch, wie ablehnend ein großer Teil o 2) G. v. Hertling, Erinnerungen aus meinen Leben (Kempten und München 1919, 884 S.). Grenzboten IV 1919 7
Der Katholizismus und das deutsche Geistesleben Fritz Härtung von Professor Dr. e gefährdeter unser politisches Dasein wird, desto wichtiger wird In erschreckender Weise zeigt dies Buch, wie ablehnend ein großer Teil o 2) G. v. Hertling, Erinnerungen aus meinen Leben (Kempten und München 1919, 884 S.). Grenzboten IV 1919 7
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[Abbildung]
Der Katholizismus und das deutsche Geistesleben
Fritz Härtung von Professor Dr.
e gefährdeter unser politisches Dasein wird, desto wichtiger wird
für uns die Aufgabe, unsere geistige Einheit zu bewahren und
zu entwickeln. Freilich schon beim Niederschreiben dieses Satzes
erhebt sich die Frage, ob wir denn überhaupt eine geistige Ein¬
heit besitzen. Es find die Erinnerungen des Grafen Hertling^),
die diesen Zweifel in mir geweckt haben. Das Buch ist eine recht
unerquickliche Lektüre. Hertling zeigt sich darin als ein kleinlicher Geist von
übergroßer persönlicher Empfindlichkeit, von eng begrenztem Interessenkreis, von
sehr oberflächlichem Urteil. Es bezeichnet die innere Dürftigkeit seines Buches,
daß wir über den Kulturkampf, den er an einem seiner Brennpunkte als Dozent
an der Universität Bonn erlebt hat, überhaupt nichts Neues erfahren, weder
neue Tatsachen, noch eine neue Beleuchtung der Dinge. Daß ihm durch den
Konflikt zwischen Staat und Kirche der Aufstieg zu einer Professur erschwert
worden ist. das erscheint in Hertlings Darstellung fast als die Hauptsache.
Hertling ist eben ein unfreier Mensch gewesen, der den Dingen nicht selbständig
gegenüber gestanden hat. Das wird auch durch die Art, wie er über Menschen
spricht, bewiesen. Er ist ganz unfähig, das Wesen anderer Menschen unbefangen
Zu beurteilen; ihre Stellung zur Kirche gibt allein den Ausschlag. Die leicht
gekränkte Eitelkeit verstärkt den unangenehmen Eindruck dieser Lebenserinnerungen.
Man wird natürlich den zweiten Band abwarten müssen, bis man ein end¬
gültiges Urteil fällen darf. Einstweilen ist es unbegreiflich, wie ein solcher
Mann Führer der Zentrumspartei, Ministerpräsident des zweitgrößten deutschen
Bundesstaates und in kritischster Zeit sogar deutscher Reichskanzler hat werden
rönnen.
In erschreckender Weise zeigt dies Buch, wie ablehnend ein großer Teil
der deutschen Katholiken schon 'lange vor dem Kulturkampf dem deutschen
Geistesleben gegenüber gestanden hat. Es ist kein offener Kampf, hinter dem
wenigstens Leben und Kraft stecken würde. So weit läßt man es nicht kommen.
Man ignoriert, man sperrt sich ab. In dem Hertlingschen Hause, das durch
die Mutter mit den Brentanos, mit Goethes Jugendfreundin Maximiliane La
o 2) G. v. Hertling, Erinnerungen aus meinen Leben (Kempten und München 1919,
884 S.).
Grenzboten IV 1919 7
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