Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Materialien zur ostdeutschen Frage Wie schon erwähnt, macht der deutsche Gegenvorschlag einen grundsätzlichen Lehnt die Regierung für die vorerwähnten Gebiete jede Abtretung von vorn- Daß diese Vorschläge dem berechtigten Wunsch des Ostmark-Deutschtums Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Auch heute gilt die gleiche Parole Es folgt nunmehr der Wortlaut: Allgemeine Bemerkungen Andererseits ist es mit der Idee der nationalen Selbstbestimmung unver¬ Materialien zur ostdeutschen Frage Wie schon erwähnt, macht der deutsche Gegenvorschlag einen grundsätzlichen Lehnt die Regierung für die vorerwähnten Gebiete jede Abtretung von vorn- Daß diese Vorschläge dem berechtigten Wunsch des Ostmark-Deutschtums Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Auch heute gilt die gleiche Parole Es folgt nunmehr der Wortlaut: Allgemeine Bemerkungen Andererseits ist es mit der Idee der nationalen Selbstbestimmung unver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335680"/> <fw type="header" place="top"> Materialien zur ostdeutschen Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1127"> Wie schon erwähnt, macht der deutsche Gegenvorschlag einen grundsätzlichen<lb/> Unterschied zwischen solchen Gebieten, die unter bestimmten Voraussetzungen ab¬<lb/> getreten werden können und solchen, die es nicht können. Zu den letzteren ge¬<lb/> hören Gebiete, wie Oberschlesien, sämtliche nach den Bedingungen der Entente<lb/> abzutretenden Teile Ostpreußens, die unzweifelhaft deutschen Teile Posens und<lb/> Westpreußens, bei Westpreußen insbesondere alle Gebiete, die zur Bewahrung<lb/> des territorialen Zusammenhanges zwischen Ostpreußen und dem Reich exforder¬<lb/> lich sind. Leider kommt der Standpunkt der Unabtretbarkeit bei Oberschlesien<lb/> stärker zum Ausdruck als bei den übrigen Gebieten. Und es kann dadurch leicht<lb/> der Eindruck entstehen, als bewerte die Negierung die einzelnen Landesteile ver¬<lb/> schieden. Es muß demgegenüber mit aller Schärfe hervorgehoben werden, daß<lb/> eine unterschiedliche Bewertung unzweifelhaft deutschen Gebietes aus dem Ge¬<lb/> sichtspunkt der größeren oder geringerm wirtschaftlichen Bedeutung des betreffenden<lb/> Gebietes für das deutsche Reich von den Ostmarkdentschen auf daS Schärfste<lb/> zurückgewiesen werden muß. Es darf aber angenommen werden, daß dieser<lb/> Anschein nur durch die Art der Redaktion des deutschen Gegenvorschlages entsteht,<lb/> und daß er nicht der Ausdruck einer in der Regierung bestehenden Auffassung ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1128"> Lehnt die Regierung für die vorerwähnten Gebiete jede Abtretung von vorn-<lb/> herein ab, so erklärt sie sich bereit, in anderen Teilen der Provinz Posen und West¬<lb/> preußen in eine Abtretung grundsätzlich einzuwilligen, soweit diese Gebiete unbestreit¬<lb/> bar polnischen Charakter tragen. In diesen Gebieten soll dann aber eine gemeindeweise<lb/> Volksabstimmung entscheiden, ob das betreffende Gebiet beim deutschen Reich<lb/> bleibt, oder ob es an Polen abgetreten wird. Bei der Grenzfestsetzung soll darauf<lb/> Bedacht genommen werden, daß aus dem Abstimmungsgebiet nicht mehr Deutsche<lb/> unter die Herrschaft Polens kommen, als Polen unter deutsche Herrschaft. Enklaven<lb/> sollen gegeneinander ausgetauscht werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1129"> Daß diese Vorschläge dem berechtigten Wunsch des Ostmark-Deutschtums<lb/> voll gerecht werden, kann man nicht sagen. Man wird zum mindesten eine<lb/> Forderung an die Negierung richten müssen: Diese Zugeständnisse sind das äußeiste<lb/> Maß, das von der Grundlage der vierzehn Punkte Wilsons zugebilligt werden<lb/> kann. Ein Handeln über diese Grenze hinaus muß grundsätzlich zurückgewiesen<lb/> werden. Geht die Entente auf dieses äußerste Maß vou Zugeständnissen nicht<lb/> ein, dann hat sie damit endgültig die Rechtsgrundlagen, die die deutsche Regierung<lb/> bisher noch als gegeben annimmt, verlassen. Dann müßten auch wir diese Grund¬<lb/> lage verlassen und das Problem der Ostmark so lösen, wie es allein gelöst<lb/> werden kann, nämlich als das Problem eines einheitlichen, unteilbaren, durch<lb/> die Art seiner gemischten Bevölkerung nur in besonderer Weise zu behandelnden<lb/> Landes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1130"> Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Auch heute gilt die gleiche Parole<lb/> wie bei Bekanntwerden der Friedensbedingungen: Mit klarem Kopf und hartem<lb/> Willen die Entwicklung verfolgen und zu allem bereit sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1131"> Es folgt nunmehr der Wortlaut:</p><lb/> <div n="4"> <head> Allgemeine Bemerkungen</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1132" next="#ID_1133"> Andererseits ist es mit der Idee der nationalen Selbstbestimmung unver¬<lb/> einbar, wenn 2Vü Millionen Deutsche gegen ihren Willen von ihrem Heimatstaate<lb/> losgerissen werden. Durch die beabsichtigte Grenzführung wird über rein deutsche<lb/> Territorien zugunsten der polnischen Nachbarn verfügt. So sollen von den mittel-<lb/> schlesischen Kreisen Guhrau und Militsch Teile abgerissen werden, in denen neben<lb/> 44900 Deutschen höchstens 3700 Polen wohnen. Dasselbe gilt von den Städten<lb/> Schneidemühl und Bromberg, von denen die letztere höchstens 18 Prozent polnische<lb/> Einwohner hat, während im Landkreise Vromberg die Polen auch noch nicht<lb/> 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Von dem jetzt Polen zugewiesenen<lb/> Netzedistrikt hat Wilson in seinem Buche „1"ne Ltats, element3 ok InZtorioal ana<lb/> praLtical politics" in Kapitel 7: l'us (ZovernmentL c>r (Zermanx, Seite W3,<lb/> ausdrücklich anerkannt, daß es sich um ein durchaus deutsches Gebiet handle.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Materialien zur ostdeutschen Frage
Wie schon erwähnt, macht der deutsche Gegenvorschlag einen grundsätzlichen
Unterschied zwischen solchen Gebieten, die unter bestimmten Voraussetzungen ab¬
getreten werden können und solchen, die es nicht können. Zu den letzteren ge¬
hören Gebiete, wie Oberschlesien, sämtliche nach den Bedingungen der Entente
abzutretenden Teile Ostpreußens, die unzweifelhaft deutschen Teile Posens und
Westpreußens, bei Westpreußen insbesondere alle Gebiete, die zur Bewahrung
des territorialen Zusammenhanges zwischen Ostpreußen und dem Reich exforder¬
lich sind. Leider kommt der Standpunkt der Unabtretbarkeit bei Oberschlesien
stärker zum Ausdruck als bei den übrigen Gebieten. Und es kann dadurch leicht
der Eindruck entstehen, als bewerte die Negierung die einzelnen Landesteile ver¬
schieden. Es muß demgegenüber mit aller Schärfe hervorgehoben werden, daß
eine unterschiedliche Bewertung unzweifelhaft deutschen Gebietes aus dem Ge¬
sichtspunkt der größeren oder geringerm wirtschaftlichen Bedeutung des betreffenden
Gebietes für das deutsche Reich von den Ostmarkdentschen auf daS Schärfste
zurückgewiesen werden muß. Es darf aber angenommen werden, daß dieser
Anschein nur durch die Art der Redaktion des deutschen Gegenvorschlages entsteht,
und daß er nicht der Ausdruck einer in der Regierung bestehenden Auffassung ist.
Lehnt die Regierung für die vorerwähnten Gebiete jede Abtretung von vorn-
herein ab, so erklärt sie sich bereit, in anderen Teilen der Provinz Posen und West¬
preußen in eine Abtretung grundsätzlich einzuwilligen, soweit diese Gebiete unbestreit¬
bar polnischen Charakter tragen. In diesen Gebieten soll dann aber eine gemeindeweise
Volksabstimmung entscheiden, ob das betreffende Gebiet beim deutschen Reich
bleibt, oder ob es an Polen abgetreten wird. Bei der Grenzfestsetzung soll darauf
Bedacht genommen werden, daß aus dem Abstimmungsgebiet nicht mehr Deutsche
unter die Herrschaft Polens kommen, als Polen unter deutsche Herrschaft. Enklaven
sollen gegeneinander ausgetauscht werden.
Daß diese Vorschläge dem berechtigten Wunsch des Ostmark-Deutschtums
voll gerecht werden, kann man nicht sagen. Man wird zum mindesten eine
Forderung an die Negierung richten müssen: Diese Zugeständnisse sind das äußeiste
Maß, das von der Grundlage der vierzehn Punkte Wilsons zugebilligt werden
kann. Ein Handeln über diese Grenze hinaus muß grundsätzlich zurückgewiesen
werden. Geht die Entente auf dieses äußerste Maß vou Zugeständnissen nicht
ein, dann hat sie damit endgültig die Rechtsgrundlagen, die die deutsche Regierung
bisher noch als gegeben annimmt, verlassen. Dann müßten auch wir diese Grund¬
lage verlassen und das Problem der Ostmark so lösen, wie es allein gelöst
werden kann, nämlich als das Problem eines einheitlichen, unteilbaren, durch
die Art seiner gemischten Bevölkerung nur in besonderer Weise zu behandelnden
Landes.
Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Auch heute gilt die gleiche Parole
wie bei Bekanntwerden der Friedensbedingungen: Mit klarem Kopf und hartem
Willen die Entwicklung verfolgen und zu allem bereit sein.
Es folgt nunmehr der Wortlaut:
Allgemeine Bemerkungen
Andererseits ist es mit der Idee der nationalen Selbstbestimmung unver¬
einbar, wenn 2Vü Millionen Deutsche gegen ihren Willen von ihrem Heimatstaate
losgerissen werden. Durch die beabsichtigte Grenzführung wird über rein deutsche
Territorien zugunsten der polnischen Nachbarn verfügt. So sollen von den mittel-
schlesischen Kreisen Guhrau und Militsch Teile abgerissen werden, in denen neben
44900 Deutschen höchstens 3700 Polen wohnen. Dasselbe gilt von den Städten
Schneidemühl und Bromberg, von denen die letztere höchstens 18 Prozent polnische
Einwohner hat, während im Landkreise Vromberg die Polen auch noch nicht
40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Von dem jetzt Polen zugewiesenen
Netzedistrikt hat Wilson in seinem Buche „1"ne Ltats, element3 ok InZtorioal ana
praLtical politics" in Kapitel 7: l'us (ZovernmentL c>r (Zermanx, Seite W3,
ausdrücklich anerkannt, daß es sich um ein durchaus deutsches Gebiet handle.
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