Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Die Revolution, die wir brciuchtcn listischen Reaktion, im Süden arbeitet er mit den dumpfen bojuwarischcn Instinkten Die Partei, die noch gestern sich mit Leib und Seele für den Parlamen¬ IV. Warum fehlen die neuen Ideen? Weil die neuen Kräfte fehlen. In allen Die Revolution, die wir brciuchtcn listischen Reaktion, im Süden arbeitet er mit den dumpfen bojuwarischcn Instinkten Die Partei, die noch gestern sich mit Leib und Seele für den Parlamen¬ IV. Warum fehlen die neuen Ideen? Weil die neuen Kräfte fehlen. In allen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335194"/> <fw type="header" place="top"> Die Revolution, die wir brciuchtcn</fw><lb/> <p xml:id="ID_14" prev="#ID_13"> listischen Reaktion, im Süden arbeitet er mit den dumpfen bojuwarischcn Instinkten<lb/> unter der Regie eines geschickten Literaten. In Berlin aber kämpft man gegen<lb/> den Anarchismus von links und hofft im übrigen auf den rettenden pense^<lb/> nmclnna, die Nationalversammlung, wo dem deutschen Volk das Gottesgeschenk<lb/> einer idealen inneren Neuorgauisation in den Schoß fallen soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_15"> Die Partei, die noch gestern sich mit Leib und Seele für den Parlamen¬<lb/> tarismus einsetzte, sieht heute der Verdrängung der Parlamente ruhigen Blutes<lb/> zu. Dje fanatischen Gegner eines berufsständischen Wahlrechts schaffen in den<lb/> Arbeiter- und Soldatenräten nach treulich kopierten russischen Muster eine neue<lb/> berufsständische Vertretungsorganisativn. Die überzeugten Verfechter des diretmi<lb/> Wahlrechts bringen in diesem VeUretinigssystem ein höchst verwickeltes indirektes<lb/> Wahlrecht zur Geltung. Wo ist in alledem Klarheit und Bewußtsein, wo ist<lb/> die Idee, die um sich weiß, und aus diesem Wissen den starken Antrieb und die<lb/> große Gebärde findet? Die Idee fehlt. Das Alte arbeitet nach einem Gesetz<lb/> historischer Trägheit einstweilen noch weiter, wie der Leib einer Natter noch<lb/> eine Weile zappelt, nachdem man ihr den Kopf abgeschlagen bat. Neu ist die<lb/> Verwirrung und die Ratlosigkeit, oder vielmehr: denk an den oberen Stellen ist<lb/> auch sie nicht neu. Das ganze Schauspiel wäre zum Lachen, wenn es nicht jun<lb/> Heulen wäre.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> IV.</head><lb/> <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Warum fehlen die neuen Ideen? Weil die neuen Kräfte fehlen. In allen<lb/> Parteien, von der äußersten Rechten bis zur radikalen Linken, sind auch heute die-<lb/> alten Männer am Steuer. Die Schifflein sind neu angestrichen, tragen vor vilen<lb/> neue Namen, die sich an Demokratismus zu überbieten suchen, auch die ReName-<lb/> plakate der Parteiprogramme zeigen zeitgemäße Retouchen, wobei die schöne Ehr¬<lb/> lichkeit angenehm auffällt, mit der die Jnternationalliberc-im um Theodor Wolff,<lb/> die gestern noch ach so Kaisertreuen, sich nunmehr aus tiefster Überzeugung zum<lb/> Republikanismus bekennen. Also die Fassade ist allenthalben neu aufgemacht,<lb/> aber hinter den Fensterscheiben sieht man all die leider nur zu wohl bekannten<lb/> Gesichter. Wenn sie nicht mit einer politischen Vergangenheit „behaftet" sind, in<lb/> der Zuversicht zum deutschn: Sieg, Vertrauen in die deutsche Kraft und ähnliche<lb/> heute ausgestorbene oder verfehmte Tugenden eine Rolle spielten, dann haben sie<lb/> eben Glück gehabt. Aber auch die Lauer und Flaumacher von gestern und vor¬<lb/> gestern, denen die Stunde Recht zu geben scheint, obgleich sie ihnen im tiefsten<lb/> Unrecht gibt, sollen sich das eine gesagt sein lassen: auch sie sind viel zu eng mit<lb/> den Zuständen und Einrichtungen verbunden, an deren Überwindung die kommende<lb/> Revolution arbeiten muß. Die eigentlichen Drahtzieher und deren klägliche Mit¬<lb/> läufer nicht nur, auch die schwächlichen und vor allem die feigen, verlogenen<lb/> Opponenten der Wilhelminischen Armee, die Exmonarchisten mit dem frisch aus<lb/> der Taufe gehobenen Republikanertum sind gleich belastet. Was kommen nutz,<lb/> ist eine neue, eine guerschichtige Revolution in allen Parteien und allen Behenden.<lb/> Wir müssen heute alle wieder in die Schule gehen, die Konservativen sogut wie<lb/> die Liberalen und die Sozialisten. Wer sich innerlich allzusehr festgelegt stete,<lb/> wem Gicht oder Arterienverkalkung die jugendliche Gelenkigkeit des Denkens und<lb/> Wollens geraubt hat, für den ist kein Raum im neuen Deutschland. Sein Alten¬<lb/> teil in Ehren soll jedem gegönnt sein, der redlich sein Wirken und Wollen für<lb/> eine Politik eingesetzt hat, die heute Schiffbruch erlitten hat. Was wir brauchen<lb/> ist die politische Bluterneuerung, die nur durch neue Mäuner, durch jüngere Kräfte<lb/> in unser öffentliches Leben kommen kann. Insbesondere sind es die bürgerlichen<lb/> Parteien sich schuldig, schon bei der Aufstellung der Kandidatenwahl für die<lb/> Nationalversammlung zu bedenken, was sie der Zukunft des bürgerlichen Gedankens<lb/> schuldig sind. Es bestehen leider Anzeichen genug, daß die bürgerlichen Parteien<lb/> aus den Ereignissen nichts gelernt haben. Ich fürchte, daß gerade die Rechts¬<lb/> parteien noch viel Lehrgeld werden zahlen müssen, bis sich bei ihnen die Ein¬<lb/> sicht durchgerungen hat, daß nicht durch ein Flicken, Ausbessern und Moderni-<lb/> - allea 'Parteiprogramme dem Gebote der Stunde Genüge geschieht,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Die Revolution, die wir brciuchtcn
listischen Reaktion, im Süden arbeitet er mit den dumpfen bojuwarischcn Instinkten
unter der Regie eines geschickten Literaten. In Berlin aber kämpft man gegen
den Anarchismus von links und hofft im übrigen auf den rettenden pense^
nmclnna, die Nationalversammlung, wo dem deutschen Volk das Gottesgeschenk
einer idealen inneren Neuorgauisation in den Schoß fallen soll.
Die Partei, die noch gestern sich mit Leib und Seele für den Parlamen¬
tarismus einsetzte, sieht heute der Verdrängung der Parlamente ruhigen Blutes
zu. Dje fanatischen Gegner eines berufsständischen Wahlrechts schaffen in den
Arbeiter- und Soldatenräten nach treulich kopierten russischen Muster eine neue
berufsständische Vertretungsorganisativn. Die überzeugten Verfechter des diretmi
Wahlrechts bringen in diesem VeUretinigssystem ein höchst verwickeltes indirektes
Wahlrecht zur Geltung. Wo ist in alledem Klarheit und Bewußtsein, wo ist
die Idee, die um sich weiß, und aus diesem Wissen den starken Antrieb und die
große Gebärde findet? Die Idee fehlt. Das Alte arbeitet nach einem Gesetz
historischer Trägheit einstweilen noch weiter, wie der Leib einer Natter noch
eine Weile zappelt, nachdem man ihr den Kopf abgeschlagen bat. Neu ist die
Verwirrung und die Ratlosigkeit, oder vielmehr: denk an den oberen Stellen ist
auch sie nicht neu. Das ganze Schauspiel wäre zum Lachen, wenn es nicht jun
Heulen wäre.
IV.
Warum fehlen die neuen Ideen? Weil die neuen Kräfte fehlen. In allen
Parteien, von der äußersten Rechten bis zur radikalen Linken, sind auch heute die-
alten Männer am Steuer. Die Schifflein sind neu angestrichen, tragen vor vilen
neue Namen, die sich an Demokratismus zu überbieten suchen, auch die ReName-
plakate der Parteiprogramme zeigen zeitgemäße Retouchen, wobei die schöne Ehr¬
lichkeit angenehm auffällt, mit der die Jnternationalliberc-im um Theodor Wolff,
die gestern noch ach so Kaisertreuen, sich nunmehr aus tiefster Überzeugung zum
Republikanismus bekennen. Also die Fassade ist allenthalben neu aufgemacht,
aber hinter den Fensterscheiben sieht man all die leider nur zu wohl bekannten
Gesichter. Wenn sie nicht mit einer politischen Vergangenheit „behaftet" sind, in
der Zuversicht zum deutschn: Sieg, Vertrauen in die deutsche Kraft und ähnliche
heute ausgestorbene oder verfehmte Tugenden eine Rolle spielten, dann haben sie
eben Glück gehabt. Aber auch die Lauer und Flaumacher von gestern und vor¬
gestern, denen die Stunde Recht zu geben scheint, obgleich sie ihnen im tiefsten
Unrecht gibt, sollen sich das eine gesagt sein lassen: auch sie sind viel zu eng mit
den Zuständen und Einrichtungen verbunden, an deren Überwindung die kommende
Revolution arbeiten muß. Die eigentlichen Drahtzieher und deren klägliche Mit¬
läufer nicht nur, auch die schwächlichen und vor allem die feigen, verlogenen
Opponenten der Wilhelminischen Armee, die Exmonarchisten mit dem frisch aus
der Taufe gehobenen Republikanertum sind gleich belastet. Was kommen nutz,
ist eine neue, eine guerschichtige Revolution in allen Parteien und allen Behenden.
Wir müssen heute alle wieder in die Schule gehen, die Konservativen sogut wie
die Liberalen und die Sozialisten. Wer sich innerlich allzusehr festgelegt stete,
wem Gicht oder Arterienverkalkung die jugendliche Gelenkigkeit des Denkens und
Wollens geraubt hat, für den ist kein Raum im neuen Deutschland. Sein Alten¬
teil in Ehren soll jedem gegönnt sein, der redlich sein Wirken und Wollen für
eine Politik eingesetzt hat, die heute Schiffbruch erlitten hat. Was wir brauchen
ist die politische Bluterneuerung, die nur durch neue Mäuner, durch jüngere Kräfte
in unser öffentliches Leben kommen kann. Insbesondere sind es die bürgerlichen
Parteien sich schuldig, schon bei der Aufstellung der Kandidatenwahl für die
Nationalversammlung zu bedenken, was sie der Zukunft des bürgerlichen Gedankens
schuldig sind. Es bestehen leider Anzeichen genug, daß die bürgerlichen Parteien
aus den Ereignissen nichts gelernt haben. Ich fürchte, daß gerade die Rechts¬
parteien noch viel Lehrgeld werden zahlen müssen, bis sich bei ihnen die Ein¬
sicht durchgerungen hat, daß nicht durch ein Flicken, Ausbessern und Moderni-
- allea 'Parteiprogramme dem Gebote der Stunde Genüge geschieht,
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