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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothrinKischen Frage

für seine tatsächliche Lage zwischen dem kaltherzigen englischen Ausbeuter und
dem zum äußersten gezwungenen deutschen Volke, das um sein Existenzminimum
kämpft, -- darin liegt das Geheimnis unserer Kraft -- zu erhalten.

Die große Hoffnung der Stunde liegt in der Frage, ob Frankreich sehend
wird, -- ihre Gefahr, daß Frankreich blind und unvernünftig sich vollends den
englischen Interessen opfert. Es ist schwer sich vorzustellen, daß Frankreich den
Weg zum Frieden findet, indem es sich von den Wegen Englands trennt. Eng¬
lische und amerikanische Truppen im eigenen Lande stellen eine größere Gefahr
dar, wie eine Revolution. Durch sie ist Frankreich gefesselt. Auch eine Volks¬
erhebung gegen die Regierung Cl6menceaus ist unter solchen Umständen kaum
denkbar. Es scheint, daß wir erst den Engländer und den Amerikaner vom Festlande
ins Meer werden werfen müssen, ehe Frankreich frei sein wird, wieder ein Eigen¬
leben für seine Wohlfahrt zu beginnen. Frankreich ist schon.zu schwach, um selb¬
ständig Frieden zu schließen, und England fühlt sich noch zu stark, um auf einen
Vergleichsfrieden einzugehen, der ihm die Preisgabe der unumschränkten Meer¬
beherrschung auferlegen würde, also eine Verkümmerung dessen, was es als sein
Existenzminimum ansieht. Frankreichs Schicksalsstunde schlägt: Paris kann nur
durch die deutschen Waffen gerettet werden. Damit sind wir an dem Höhepunkt
des Krieges herangekommen, aber erreichen und überwinden werden ihn Wohl die
Waffen müssen.




Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage
Dr. Paul wentzcke von '
2. Im Kampf um Kaiser und Reich

?ZVoMuf steilem, steinigem Pfade mußte die deutsche Einheitsbewegung
'^MI nach kurzem Aufschwung den Weg zur Höhe fortsetzen, den die
Nation in den Jahren 1813/15 so hoffnungsvoll betreten hatte.
Und gerade Ctraßburg und das Elsaß wurden fast alljährlich Zeugen
von neuen Übergriffen der Reaktion, die mit rauher Hand die
Blütenträume von Belle-Alliance zerstörte. Schon 1819 zwang
sie Josef Görres selbst zur Flucht ins "teutsche Franzosenland", wo er unter dem
Einfluß der jungen "katholischen" Bewegung des Elsaß die entscheidende Wand¬
lung zum schärfsten politischen Vorkämpfer der streitenden Kirche durchmachen
sollte. In zwei großen Wellen folgten ihm, zuerst 1819, dann 1830--1849,
eine große Anzahl politischer Flüchtlinge aus allen deutschen Staaten, die sich
zum Teil für längere Zeit im Elsaß aufhielten. Naturgemäß bestimmten gerade
ihre Erzählungen von der Unfreiheit, die in Deutschland herrsche, entscheidend die
Anschauungen, die sich Elsässer und Lothringer von deutscher Politik und staat¬
lichem Wesen bildeten. Wenn in letzter Zeit mit Recht darauf hingewiesen wurde,
wie schwer die zügellose Kritik der eigenen Landsleute das Ansehen Deutschlands
im Ausland geschädigt und sein geschichtliches Bild getrübt hat, so gilt dies Urteil
vor allem auch der Flüchtlingsüberlieferung im Elsaß. Daß weit jenseits der


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothrinKischen Frage

für seine tatsächliche Lage zwischen dem kaltherzigen englischen Ausbeuter und
dem zum äußersten gezwungenen deutschen Volke, das um sein Existenzminimum
kämpft, — darin liegt das Geheimnis unserer Kraft — zu erhalten.

Die große Hoffnung der Stunde liegt in der Frage, ob Frankreich sehend
wird, — ihre Gefahr, daß Frankreich blind und unvernünftig sich vollends den
englischen Interessen opfert. Es ist schwer sich vorzustellen, daß Frankreich den
Weg zum Frieden findet, indem es sich von den Wegen Englands trennt. Eng¬
lische und amerikanische Truppen im eigenen Lande stellen eine größere Gefahr
dar, wie eine Revolution. Durch sie ist Frankreich gefesselt. Auch eine Volks¬
erhebung gegen die Regierung Cl6menceaus ist unter solchen Umständen kaum
denkbar. Es scheint, daß wir erst den Engländer und den Amerikaner vom Festlande
ins Meer werden werfen müssen, ehe Frankreich frei sein wird, wieder ein Eigen¬
leben für seine Wohlfahrt zu beginnen. Frankreich ist schon.zu schwach, um selb¬
ständig Frieden zu schließen, und England fühlt sich noch zu stark, um auf einen
Vergleichsfrieden einzugehen, der ihm die Preisgabe der unumschränkten Meer¬
beherrschung auferlegen würde, also eine Verkümmerung dessen, was es als sein
Existenzminimum ansieht. Frankreichs Schicksalsstunde schlägt: Paris kann nur
durch die deutschen Waffen gerettet werden. Damit sind wir an dem Höhepunkt
des Krieges herangekommen, aber erreichen und überwinden werden ihn Wohl die
Waffen müssen.




Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage
Dr. Paul wentzcke von '
2. Im Kampf um Kaiser und Reich

?ZVoMuf steilem, steinigem Pfade mußte die deutsche Einheitsbewegung
'^MI nach kurzem Aufschwung den Weg zur Höhe fortsetzen, den die
Nation in den Jahren 1813/15 so hoffnungsvoll betreten hatte.
Und gerade Ctraßburg und das Elsaß wurden fast alljährlich Zeugen
von neuen Übergriffen der Reaktion, die mit rauher Hand die
Blütenträume von Belle-Alliance zerstörte. Schon 1819 zwang
sie Josef Görres selbst zur Flucht ins „teutsche Franzosenland", wo er unter dem
Einfluß der jungen „katholischen" Bewegung des Elsaß die entscheidende Wand¬
lung zum schärfsten politischen Vorkämpfer der streitenden Kirche durchmachen
sollte. In zwei großen Wellen folgten ihm, zuerst 1819, dann 1830—1849,
eine große Anzahl politischer Flüchtlinge aus allen deutschen Staaten, die sich
zum Teil für längere Zeit im Elsaß aufhielten. Naturgemäß bestimmten gerade
ihre Erzählungen von der Unfreiheit, die in Deutschland herrsche, entscheidend die
Anschauungen, die sich Elsässer und Lothringer von deutscher Politik und staat¬
lichem Wesen bildeten. Wenn in letzter Zeit mit Recht darauf hingewiesen wurde,
wie schwer die zügellose Kritik der eigenen Landsleute das Ansehen Deutschlands
im Ausland geschädigt und sein geschichtliches Bild getrübt hat, so gilt dies Urteil
vor allem auch der Flüchtlingsüberlieferung im Elsaß. Daß weit jenseits der


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[0338] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothrinKischen Frage für seine tatsächliche Lage zwischen dem kaltherzigen englischen Ausbeuter und dem zum äußersten gezwungenen deutschen Volke, das um sein Existenzminimum kämpft, — darin liegt das Geheimnis unserer Kraft — zu erhalten. Die große Hoffnung der Stunde liegt in der Frage, ob Frankreich sehend wird, — ihre Gefahr, daß Frankreich blind und unvernünftig sich vollends den englischen Interessen opfert. Es ist schwer sich vorzustellen, daß Frankreich den Weg zum Frieden findet, indem es sich von den Wegen Englands trennt. Eng¬ lische und amerikanische Truppen im eigenen Lande stellen eine größere Gefahr dar, wie eine Revolution. Durch sie ist Frankreich gefesselt. Auch eine Volks¬ erhebung gegen die Regierung Cl6menceaus ist unter solchen Umständen kaum denkbar. Es scheint, daß wir erst den Engländer und den Amerikaner vom Festlande ins Meer werden werfen müssen, ehe Frankreich frei sein wird, wieder ein Eigen¬ leben für seine Wohlfahrt zu beginnen. Frankreich ist schon.zu schwach, um selb¬ ständig Frieden zu schließen, und England fühlt sich noch zu stark, um auf einen Vergleichsfrieden einzugehen, der ihm die Preisgabe der unumschränkten Meer¬ beherrschung auferlegen würde, also eine Verkümmerung dessen, was es als sein Existenzminimum ansieht. Frankreichs Schicksalsstunde schlägt: Paris kann nur durch die deutschen Waffen gerettet werden. Damit sind wir an dem Höhepunkt des Krieges herangekommen, aber erreichen und überwinden werden ihn Wohl die Waffen müssen. Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage Dr. Paul wentzcke von ' 2. Im Kampf um Kaiser und Reich ?ZVoMuf steilem, steinigem Pfade mußte die deutsche Einheitsbewegung '^MI nach kurzem Aufschwung den Weg zur Höhe fortsetzen, den die Nation in den Jahren 1813/15 so hoffnungsvoll betreten hatte. Und gerade Ctraßburg und das Elsaß wurden fast alljährlich Zeugen von neuen Übergriffen der Reaktion, die mit rauher Hand die Blütenträume von Belle-Alliance zerstörte. Schon 1819 zwang sie Josef Görres selbst zur Flucht ins „teutsche Franzosenland", wo er unter dem Einfluß der jungen „katholischen" Bewegung des Elsaß die entscheidende Wand¬ lung zum schärfsten politischen Vorkämpfer der streitenden Kirche durchmachen sollte. In zwei großen Wellen folgten ihm, zuerst 1819, dann 1830—1849, eine große Anzahl politischer Flüchtlinge aus allen deutschen Staaten, die sich zum Teil für längere Zeit im Elsaß aufhielten. Naturgemäß bestimmten gerade ihre Erzählungen von der Unfreiheit, die in Deutschland herrsche, entscheidend die Anschauungen, die sich Elsässer und Lothringer von deutscher Politik und staat¬ lichem Wesen bildeten. Wenn in letzter Zeit mit Recht darauf hingewiesen wurde, wie schwer die zügellose Kritik der eigenen Landsleute das Ansehen Deutschlands im Ausland geschädigt und sein geschichtliches Bild getrübt hat, so gilt dies Urteil vor allem auch der Flüchtlingsüberlieferung im Elsaß. Daß weit jenseits der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/338>, abgerufen am 24.08.2024.