Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die neue Wendung der polnischen Frage

des Programms Mitteleuropa, der wirtschaftlichen Expansion hauptsächlich nach
Osten und Südosten und dem Erwerb einer großen Kolonialherrschaft in Afrika.

Bis zu welchem Grade für die Durchsetzung dieser Kriegsziele Belgien als
Faustpfand verwertet werden darf, suchte dieser Aufsatz anzudeuten. Belgien ist
für uns nicht Selbstzweck, wir wollen es nicht behalten. Aber es darf auch nicht
bloß Mittel zu dem Zwecke sein, auf kolonialen Gebiete Ziele durchzusetzen. Es
gibt eine Grenze der Zugeständnisse, die wir für die Wiederherstellung der bel¬
gischen Unabhängigkeit machen dürfen. In früheren Aufsätzen habe ich die belgische
Frage für sich behandelt, diesmal galt es, ihre ungefähre Stellung in der Gesamt¬
heit unserer Kriegszielfragen darzulegen. Es geht um die politische und wirt¬
schaftliche Sicherung unseres Vaterlandes und die Erhaltung der Staatenordnung,
die der Krieg in Europa geschaffen hat und die der Friede bestätigen wird. Dazu
ist Belgien in unsere Hand gegeben, daß wir den Besitz für die Durchführung
unserer Gesamtkriegsziele zu benutzen wissen, aber doch auch nicht übersehen, daß
viele von diesen Zielen ohne Berücksichtigung Belgiens erreichbar sind, und daß
wir für das übrige auf keinen Fall jedes beliebige Zugeständnis an die Unab¬
hängigkeit Belgiens machen dürfen. Der Ausgang des Krieges wird endgültig
entscheiden, ob wir es überhaupt nötig haben, bis an diese Grenze zu gehen!




Die neue Wendung der polnischen Frage
Professor Raimund Friedrich Raindl von(Schluß)

nfangS November vorigen Jahres verbreitete sich die Nachricht, daß
die Absicht bestehen soll: Polen mit Galizien unter dein
M^ZM-°^W Kaiser von Österreich als polnischen König zu vereinigen und dafür
xNk^M^ " Preußen mit Kurland und Litauen zu verbinden. Die Nachricht
MMSAW-iM wurde zwar sofort dementiert: die Verhandlungen seien noch nicht
abgeschlossen, und was die Blätter über die angebliche Lösung gebracht haben,
beruhe auf Vermutungen. Diese Erklärung machte um so geringeren Eindruck,
als Graf Czernin dem ruthenischen Klub am 1. November nur versichert hatte,
die polnische und ruthenische Frage werde vor dem Friedensschluß nicht entschieden
("Ukrainische Korrespondenz" Ur. 42/43 S. 5) und auch Ministerpräsident von Seidler
im österreichischen Abgeordnetenhause am 9. November wieder nur ausführte, man
könne noch nicht davon sprechen, daß die polnische Frage gelöst sei; es hätten nur


Die neue Wendung der polnischen Frage

des Programms Mitteleuropa, der wirtschaftlichen Expansion hauptsächlich nach
Osten und Südosten und dem Erwerb einer großen Kolonialherrschaft in Afrika.

Bis zu welchem Grade für die Durchsetzung dieser Kriegsziele Belgien als
Faustpfand verwertet werden darf, suchte dieser Aufsatz anzudeuten. Belgien ist
für uns nicht Selbstzweck, wir wollen es nicht behalten. Aber es darf auch nicht
bloß Mittel zu dem Zwecke sein, auf kolonialen Gebiete Ziele durchzusetzen. Es
gibt eine Grenze der Zugeständnisse, die wir für die Wiederherstellung der bel¬
gischen Unabhängigkeit machen dürfen. In früheren Aufsätzen habe ich die belgische
Frage für sich behandelt, diesmal galt es, ihre ungefähre Stellung in der Gesamt¬
heit unserer Kriegszielfragen darzulegen. Es geht um die politische und wirt¬
schaftliche Sicherung unseres Vaterlandes und die Erhaltung der Staatenordnung,
die der Krieg in Europa geschaffen hat und die der Friede bestätigen wird. Dazu
ist Belgien in unsere Hand gegeben, daß wir den Besitz für die Durchführung
unserer Gesamtkriegsziele zu benutzen wissen, aber doch auch nicht übersehen, daß
viele von diesen Zielen ohne Berücksichtigung Belgiens erreichbar sind, und daß
wir für das übrige auf keinen Fall jedes beliebige Zugeständnis an die Unab¬
hängigkeit Belgiens machen dürfen. Der Ausgang des Krieges wird endgültig
entscheiden, ob wir es überhaupt nötig haben, bis an diese Grenze zu gehen!




Die neue Wendung der polnischen Frage
Professor Raimund Friedrich Raindl von(Schluß)

nfangS November vorigen Jahres verbreitete sich die Nachricht, daß
die Absicht bestehen soll: Polen mit Galizien unter dein
M^ZM-°^W Kaiser von Österreich als polnischen König zu vereinigen und dafür
xNk^M^ » Preußen mit Kurland und Litauen zu verbinden. Die Nachricht
MMSAW-iM wurde zwar sofort dementiert: die Verhandlungen seien noch nicht
abgeschlossen, und was die Blätter über die angebliche Lösung gebracht haben,
beruhe auf Vermutungen. Diese Erklärung machte um so geringeren Eindruck,
als Graf Czernin dem ruthenischen Klub am 1. November nur versichert hatte,
die polnische und ruthenische Frage werde vor dem Friedensschluß nicht entschieden
(„Ukrainische Korrespondenz" Ur. 42/43 S. 5) und auch Ministerpräsident von Seidler
im österreichischen Abgeordnetenhause am 9. November wieder nur ausführte, man
könne noch nicht davon sprechen, daß die polnische Frage gelöst sei; es hätten nur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333177"/>
          <fw type="header" place="top"> Die neue Wendung der polnischen Frage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_255" prev="#ID_254"> des Programms Mitteleuropa, der wirtschaftlichen Expansion hauptsächlich nach<lb/>
Osten und Südosten und dem Erwerb einer großen Kolonialherrschaft in Afrika.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_256"> Bis zu welchem Grade für die Durchsetzung dieser Kriegsziele Belgien als<lb/>
Faustpfand verwertet werden darf, suchte dieser Aufsatz anzudeuten. Belgien ist<lb/>
für uns nicht Selbstzweck, wir wollen es nicht behalten. Aber es darf auch nicht<lb/>
bloß Mittel zu dem Zwecke sein, auf kolonialen Gebiete Ziele durchzusetzen. Es<lb/>
gibt eine Grenze der Zugeständnisse, die wir für die Wiederherstellung der bel¬<lb/>
gischen Unabhängigkeit machen dürfen. In früheren Aufsätzen habe ich die belgische<lb/>
Frage für sich behandelt, diesmal galt es, ihre ungefähre Stellung in der Gesamt¬<lb/>
heit unserer Kriegszielfragen darzulegen. Es geht um die politische und wirt¬<lb/>
schaftliche Sicherung unseres Vaterlandes und die Erhaltung der Staatenordnung,<lb/>
die der Krieg in Europa geschaffen hat und die der Friede bestätigen wird. Dazu<lb/>
ist Belgien in unsere Hand gegeben, daß wir den Besitz für die Durchführung<lb/>
unserer Gesamtkriegsziele zu benutzen wissen, aber doch auch nicht übersehen, daß<lb/>
viele von diesen Zielen ohne Berücksichtigung Belgiens erreichbar sind, und daß<lb/>
wir für das übrige auf keinen Fall jedes beliebige Zugeständnis an die Unab¬<lb/>
hängigkeit Belgiens machen dürfen. Der Ausgang des Krieges wird endgültig<lb/>
entscheiden, ob wir es überhaupt nötig haben, bis an diese Grenze zu gehen!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die neue Wendung der polnischen Frage<lb/><lb/>
<note type="byline"> Professor Raimund Friedrich Raindl</note> von(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_257" next="#ID_258"> nfangS November vorigen Jahres verbreitete sich die Nachricht, daß<lb/>
die Absicht bestehen soll: Polen mit Galizien unter dein<lb/>
M^ZM-°^W Kaiser von Österreich als polnischen König zu vereinigen und dafür<lb/>
xNk^M^ » Preußen mit Kurland und Litauen zu verbinden. Die Nachricht<lb/>
MMSAW-iM wurde zwar sofort dementiert: die Verhandlungen seien noch nicht<lb/>
abgeschlossen, und was die Blätter über die angebliche Lösung gebracht haben,<lb/>
beruhe auf Vermutungen. Diese Erklärung machte um so geringeren Eindruck,<lb/>
als Graf Czernin dem ruthenischen Klub am 1. November nur versichert hatte,<lb/>
die polnische und ruthenische Frage werde vor dem Friedensschluß nicht entschieden<lb/>
(&#x201E;Ukrainische Korrespondenz" Ur. 42/43 S. 5) und auch Ministerpräsident von Seidler<lb/>
im österreichischen Abgeordnetenhause am 9. November wieder nur ausführte, man<lb/>
könne noch nicht davon sprechen, daß die polnische Frage gelöst sei; es hätten nur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0080] Die neue Wendung der polnischen Frage des Programms Mitteleuropa, der wirtschaftlichen Expansion hauptsächlich nach Osten und Südosten und dem Erwerb einer großen Kolonialherrschaft in Afrika. Bis zu welchem Grade für die Durchsetzung dieser Kriegsziele Belgien als Faustpfand verwertet werden darf, suchte dieser Aufsatz anzudeuten. Belgien ist für uns nicht Selbstzweck, wir wollen es nicht behalten. Aber es darf auch nicht bloß Mittel zu dem Zwecke sein, auf kolonialen Gebiete Ziele durchzusetzen. Es gibt eine Grenze der Zugeständnisse, die wir für die Wiederherstellung der bel¬ gischen Unabhängigkeit machen dürfen. In früheren Aufsätzen habe ich die belgische Frage für sich behandelt, diesmal galt es, ihre ungefähre Stellung in der Gesamt¬ heit unserer Kriegszielfragen darzulegen. Es geht um die politische und wirt¬ schaftliche Sicherung unseres Vaterlandes und die Erhaltung der Staatenordnung, die der Krieg in Europa geschaffen hat und die der Friede bestätigen wird. Dazu ist Belgien in unsere Hand gegeben, daß wir den Besitz für die Durchführung unserer Gesamtkriegsziele zu benutzen wissen, aber doch auch nicht übersehen, daß viele von diesen Zielen ohne Berücksichtigung Belgiens erreichbar sind, und daß wir für das übrige auf keinen Fall jedes beliebige Zugeständnis an die Unab¬ hängigkeit Belgiens machen dürfen. Der Ausgang des Krieges wird endgültig entscheiden, ob wir es überhaupt nötig haben, bis an diese Grenze zu gehen! Die neue Wendung der polnischen Frage Professor Raimund Friedrich Raindl von(Schluß) nfangS November vorigen Jahres verbreitete sich die Nachricht, daß die Absicht bestehen soll: Polen mit Galizien unter dein M^ZM-°^W Kaiser von Österreich als polnischen König zu vereinigen und dafür xNk^M^ » Preußen mit Kurland und Litauen zu verbinden. Die Nachricht MMSAW-iM wurde zwar sofort dementiert: die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen, und was die Blätter über die angebliche Lösung gebracht haben, beruhe auf Vermutungen. Diese Erklärung machte um so geringeren Eindruck, als Graf Czernin dem ruthenischen Klub am 1. November nur versichert hatte, die polnische und ruthenische Frage werde vor dem Friedensschluß nicht entschieden („Ukrainische Korrespondenz" Ur. 42/43 S. 5) und auch Ministerpräsident von Seidler im österreichischen Abgeordnetenhause am 9. November wieder nur ausführte, man könne noch nicht davon sprechen, daß die polnische Frage gelöst sei; es hätten nur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/80
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/80>, abgerufen am 22.07.2024.