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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Die neue Wendung der polnischen Frage

manche ohnehin Mißvergnügte den "Zusammenbruch" des amtlichen Gefüges
herannahen sehen. In welcher Beziehung der Zusammenbruch stattfinden soll, ist
allerdings nichts weniger als deutlich erkennbar. Die öffentliche Bewirtschaftung
kann, wie bereits dargelegt, überhaupt nicht preisgegeben werden, ohne daß eine
wüste Anarchie auf den Lebensmittelmärkten platzgreift. Also kann es sich immer
nur um Korrekturen handeln, sei es, daß der Zwang zur Ablieferung der den
gesetzmäßigen Ordnungen entzogenen Waren durch verschärfte Kontrolle wirksamer
gemacht wird, sei es, daß nunmehr der Fachhandel zur Heranziehung und Ver¬
teilung der vom Markt verschwundenen Lebensmittel in erweitertem Maße wiederum
eingeschaltet wird, was aber nur geschehen könnte, wenn auf die Verpflichtung
zur Befolgung der Höchstpreise verzichtet wird. Die Meinungen der Kritiker
unserer Ernährungspolitik, die entweder der einen oder anderen Richtung zuneigen,
entsprechen ziemlich genau den gegensätzlichen Interessen zwischen Produzenten
und Konsumenten, Staatssozialismus und Wirtschaftsliberalismus, Bedarf und
Verbrauch, Stadt und Land.

Das für die Bewährung des staatlichen Versorgungswesens Verantwortliche
Äriegsernährungsamt kann gegenüber den Anfechtungen von rechts und links nur
auf der bisher eingenommenen mittleren Linie beharren und den Zusammenbruchs,
idem seiner Kritiker mit planmäßiger Fortsetzung seiner Arbeiten begegnen. Die
objektive Beurteilung der zweifellos vorhandenen, teilweise kaum erträglichen Er¬
nährungsschwierigkeiten, sowie der strafwürdiger, in manchen Stücken aber auch
entschuldbaren Verfehlungen gegen die obrigkeitlichen Verfügungen muß ihm den
Weg zeigen, um den die Allgemeinheit schädigenden Mißständen zu Leibe zugehen,
ohne die Erwerbsinteressen ganz an die Wand zu drücken. Was hierzu geschehen
nutz, mag der wirtschaftliche Generalstab des Herrn von Waldow feststellen. *)




Die neue Wendung der polnischen Frage
v Professor Raimund Friedrich Kciindl on

n unseren früheren Aufsätzen**) wurde gezeigt, daß die Proklamation
vom 5. November 1916 niemanden befriedigt hatte. In Polen ging
es keinen Schritt vorwärts. Den Ausbau der Sonderstellung Galiziens
nahm niemand ernst; denn selbst die gemäßigten Polen gaben die
Hoffnung auf den Anfall dieses Landes an Polen nicht auf. Die
Ententestaaten wurden durch die Konzessionen der Zentralmächte an die Polen




*) "Vierzig neue Bekämpfungsmöglichkeiten des Kriegswuchers" bietet Dr. jur. Andreas
Thomson, Professor des Strafrechts in Münster i. W,, Beiratsmitglied des Preußischen
Kriegswucheramts, in einer kürzlich erschienenen Schrift. (Helwingsche Verlagsbuchhandlung
,
Die Schriftleitung. Hannover 19t7. Geheftet 1 Mark).
Vgl. "Grenzboten" 1916 Ur. 39 und 60, und 1917 Ur. 29 und 42.
Die neue Wendung der polnischen Frage

manche ohnehin Mißvergnügte den „Zusammenbruch" des amtlichen Gefüges
herannahen sehen. In welcher Beziehung der Zusammenbruch stattfinden soll, ist
allerdings nichts weniger als deutlich erkennbar. Die öffentliche Bewirtschaftung
kann, wie bereits dargelegt, überhaupt nicht preisgegeben werden, ohne daß eine
wüste Anarchie auf den Lebensmittelmärkten platzgreift. Also kann es sich immer
nur um Korrekturen handeln, sei es, daß der Zwang zur Ablieferung der den
gesetzmäßigen Ordnungen entzogenen Waren durch verschärfte Kontrolle wirksamer
gemacht wird, sei es, daß nunmehr der Fachhandel zur Heranziehung und Ver¬
teilung der vom Markt verschwundenen Lebensmittel in erweitertem Maße wiederum
eingeschaltet wird, was aber nur geschehen könnte, wenn auf die Verpflichtung
zur Befolgung der Höchstpreise verzichtet wird. Die Meinungen der Kritiker
unserer Ernährungspolitik, die entweder der einen oder anderen Richtung zuneigen,
entsprechen ziemlich genau den gegensätzlichen Interessen zwischen Produzenten
und Konsumenten, Staatssozialismus und Wirtschaftsliberalismus, Bedarf und
Verbrauch, Stadt und Land.

Das für die Bewährung des staatlichen Versorgungswesens Verantwortliche
Äriegsernährungsamt kann gegenüber den Anfechtungen von rechts und links nur
auf der bisher eingenommenen mittleren Linie beharren und den Zusammenbruchs,
idem seiner Kritiker mit planmäßiger Fortsetzung seiner Arbeiten begegnen. Die
objektive Beurteilung der zweifellos vorhandenen, teilweise kaum erträglichen Er¬
nährungsschwierigkeiten, sowie der strafwürdiger, in manchen Stücken aber auch
entschuldbaren Verfehlungen gegen die obrigkeitlichen Verfügungen muß ihm den
Weg zeigen, um den die Allgemeinheit schädigenden Mißständen zu Leibe zugehen,
ohne die Erwerbsinteressen ganz an die Wand zu drücken. Was hierzu geschehen
nutz, mag der wirtschaftliche Generalstab des Herrn von Waldow feststellen. *)




Die neue Wendung der polnischen Frage
v Professor Raimund Friedrich Kciindl on

n unseren früheren Aufsätzen**) wurde gezeigt, daß die Proklamation
vom 5. November 1916 niemanden befriedigt hatte. In Polen ging
es keinen Schritt vorwärts. Den Ausbau der Sonderstellung Galiziens
nahm niemand ernst; denn selbst die gemäßigten Polen gaben die
Hoffnung auf den Anfall dieses Landes an Polen nicht auf. Die
Ententestaaten wurden durch die Konzessionen der Zentralmächte an die Polen




*) „Vierzig neue Bekämpfungsmöglichkeiten des Kriegswuchers" bietet Dr. jur. Andreas
Thomson, Professor des Strafrechts in Münster i. W,, Beiratsmitglied des Preußischen
Kriegswucheramts, in einer kürzlich erschienenen Schrift. (Helwingsche Verlagsbuchhandlung
,
Die Schriftleitung. Hannover 19t7. Geheftet 1 Mark).
Vgl. „Grenzboten" 1916 Ur. 39 und 60, und 1917 Ur. 29 und 42.
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[0059] Die neue Wendung der polnischen Frage manche ohnehin Mißvergnügte den „Zusammenbruch" des amtlichen Gefüges herannahen sehen. In welcher Beziehung der Zusammenbruch stattfinden soll, ist allerdings nichts weniger als deutlich erkennbar. Die öffentliche Bewirtschaftung kann, wie bereits dargelegt, überhaupt nicht preisgegeben werden, ohne daß eine wüste Anarchie auf den Lebensmittelmärkten platzgreift. Also kann es sich immer nur um Korrekturen handeln, sei es, daß der Zwang zur Ablieferung der den gesetzmäßigen Ordnungen entzogenen Waren durch verschärfte Kontrolle wirksamer gemacht wird, sei es, daß nunmehr der Fachhandel zur Heranziehung und Ver¬ teilung der vom Markt verschwundenen Lebensmittel in erweitertem Maße wiederum eingeschaltet wird, was aber nur geschehen könnte, wenn auf die Verpflichtung zur Befolgung der Höchstpreise verzichtet wird. Die Meinungen der Kritiker unserer Ernährungspolitik, die entweder der einen oder anderen Richtung zuneigen, entsprechen ziemlich genau den gegensätzlichen Interessen zwischen Produzenten und Konsumenten, Staatssozialismus und Wirtschaftsliberalismus, Bedarf und Verbrauch, Stadt und Land. Das für die Bewährung des staatlichen Versorgungswesens Verantwortliche Äriegsernährungsamt kann gegenüber den Anfechtungen von rechts und links nur auf der bisher eingenommenen mittleren Linie beharren und den Zusammenbruchs, idem seiner Kritiker mit planmäßiger Fortsetzung seiner Arbeiten begegnen. Die objektive Beurteilung der zweifellos vorhandenen, teilweise kaum erträglichen Er¬ nährungsschwierigkeiten, sowie der strafwürdiger, in manchen Stücken aber auch entschuldbaren Verfehlungen gegen die obrigkeitlichen Verfügungen muß ihm den Weg zeigen, um den die Allgemeinheit schädigenden Mißständen zu Leibe zugehen, ohne die Erwerbsinteressen ganz an die Wand zu drücken. Was hierzu geschehen nutz, mag der wirtschaftliche Generalstab des Herrn von Waldow feststellen. *) Die neue Wendung der polnischen Frage v Professor Raimund Friedrich Kciindl on n unseren früheren Aufsätzen**) wurde gezeigt, daß die Proklamation vom 5. November 1916 niemanden befriedigt hatte. In Polen ging es keinen Schritt vorwärts. Den Ausbau der Sonderstellung Galiziens nahm niemand ernst; denn selbst die gemäßigten Polen gaben die Hoffnung auf den Anfall dieses Landes an Polen nicht auf. Die Ententestaaten wurden durch die Konzessionen der Zentralmächte an die Polen *) „Vierzig neue Bekämpfungsmöglichkeiten des Kriegswuchers" bietet Dr. jur. Andreas Thomson, Professor des Strafrechts in Münster i. W,, Beiratsmitglied des Preußischen Kriegswucheramts, in einer kürzlich erschienenen Schrift. (Helwingsche Verlagsbuchhandlung , Die Schriftleitung. Hannover 19t7. Geheftet 1 Mark). Vgl. „Grenzboten" 1916 Ur. 39 und 60, und 1917 Ur. 29 und 42.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/59>, abgerufen am 22.07.2024.