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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die Reform des preußischen Landtages

Es ist das eine ähnliche Aufgabe, wie sie schon nach Serbiens Niederwerfung mit
Bulgarien geleistet wurde. Damals wurde der feindliche Ring gegen den Orient ge¬
öffnet, -- heute heißt es eine größere Bresche nach Osten zu legen. Angesichts der
historischen Stellung Rußlands Deutschland gegenüber wird die Aufgabe damit
nicht erschöpft. Über die Wiederherstellung guter wirtschaftlicher Beziehungen zu Ru߬
land hinaus bedürfen wir, ohne die Rechte anderer uns freundlich gesinnten Nationen
dadurch schmälern zu müssen, Bewegungsfreiheit in kolonisatorischer Hinsicht, Sicher¬
heit unserer Grenzen gegen alle Möglichkeiten, wie sie noch in der Zeiten Schoße
schlummern mögen, -- Möglichkeiten, die auch in dem unfertigen Gährungs-
zustande Rußlands zu gewärtigen sind. Den allgemein menschlichen Idealen
werden unsere Diplomaten zweifellos am besten dadurch dienen, wenn sie den
starken moralischen Kräften freie Entwicklung sichern, die sich in dem Weltringen
so herrlich bewährt haben, nämlich den guten deutschen Eigenschaften. Die deutsche
Kultur soll weder durch Überwiegen der kosmopolitischen Händlerinteressen noch
durch den internationalen Sozialismus bedroht sein.




Die Reform des preußischen Landtages
Dr. Friedrich Thinae von

eit ich in Ur. 14 vom 4. April 1917 zum letztenmal in den "Grenz¬
boten" die Wahlrechtsfrage behandelt habe, hat sich die Situation
von Grund aus gewandelt. Schon wenige Tage später, am 7. April,
erschien die kaiserliche Osterbotschaft, die die Axt an das geltende
Dreiklassenwahlrccht legte. "Nach den gewaltigen Leistungen des
ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist nach Meiner Überzeugung für das
Klassenwahlrecht in Preußen kein Raum mehr," so sprach der deutsche Kaiser und
preußische König zu seinem Volke. Nach allem, was wir heute wissen, dürfen wir
annehmen, daß die Überzeugung des Trägers der Krone und seines ersten Rat¬
gebers schon damals so gut in der Richtung des gleichen wie in der des geheimen
und unmittelbaren Wahlrechtes feststand. Wenn mit dem offenen Bekenntnis noch
zurückgehalten wurde, so geschah es Wohl, weil es geraten schien, den Austrag des
Meinungsstreites hinter der Front, der gerade bei der Proklamierung des gleichen
Wahlrechtes unvermeidlich war, noch zu verschieben. Aber es zeigte sich bald, daß
dieser Zweck durch die Lücke in der Osterbolschaft nicht erreicht wurde. So folgte
der Osterbotschaft schon unter dem 11. Juli der Wahlrechiserlaß, der in Ergänzung
jener Botschaft bestimmte, daß der dem Landtage vorzulegende Gesetzentwurf wegen


Die Reform des preußischen Landtages

Es ist das eine ähnliche Aufgabe, wie sie schon nach Serbiens Niederwerfung mit
Bulgarien geleistet wurde. Damals wurde der feindliche Ring gegen den Orient ge¬
öffnet, — heute heißt es eine größere Bresche nach Osten zu legen. Angesichts der
historischen Stellung Rußlands Deutschland gegenüber wird die Aufgabe damit
nicht erschöpft. Über die Wiederherstellung guter wirtschaftlicher Beziehungen zu Ru߬
land hinaus bedürfen wir, ohne die Rechte anderer uns freundlich gesinnten Nationen
dadurch schmälern zu müssen, Bewegungsfreiheit in kolonisatorischer Hinsicht, Sicher¬
heit unserer Grenzen gegen alle Möglichkeiten, wie sie noch in der Zeiten Schoße
schlummern mögen, — Möglichkeiten, die auch in dem unfertigen Gährungs-
zustande Rußlands zu gewärtigen sind. Den allgemein menschlichen Idealen
werden unsere Diplomaten zweifellos am besten dadurch dienen, wenn sie den
starken moralischen Kräften freie Entwicklung sichern, die sich in dem Weltringen
so herrlich bewährt haben, nämlich den guten deutschen Eigenschaften. Die deutsche
Kultur soll weder durch Überwiegen der kosmopolitischen Händlerinteressen noch
durch den internationalen Sozialismus bedroht sein.




Die Reform des preußischen Landtages
Dr. Friedrich Thinae von

eit ich in Ur. 14 vom 4. April 1917 zum letztenmal in den „Grenz¬
boten" die Wahlrechtsfrage behandelt habe, hat sich die Situation
von Grund aus gewandelt. Schon wenige Tage später, am 7. April,
erschien die kaiserliche Osterbotschaft, die die Axt an das geltende
Dreiklassenwahlrccht legte. „Nach den gewaltigen Leistungen des
ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist nach Meiner Überzeugung für das
Klassenwahlrecht in Preußen kein Raum mehr," so sprach der deutsche Kaiser und
preußische König zu seinem Volke. Nach allem, was wir heute wissen, dürfen wir
annehmen, daß die Überzeugung des Trägers der Krone und seines ersten Rat¬
gebers schon damals so gut in der Richtung des gleichen wie in der des geheimen
und unmittelbaren Wahlrechtes feststand. Wenn mit dem offenen Bekenntnis noch
zurückgehalten wurde, so geschah es Wohl, weil es geraten schien, den Austrag des
Meinungsstreites hinter der Front, der gerade bei der Proklamierung des gleichen
Wahlrechtes unvermeidlich war, noch zu verschieben. Aber es zeigte sich bald, daß
dieser Zweck durch die Lücke in der Osterbolschaft nicht erreicht wurde. So folgte
der Osterbotschaft schon unter dem 11. Juli der Wahlrechiserlaß, der in Ergänzung
jener Botschaft bestimmte, daß der dem Landtage vorzulegende Gesetzentwurf wegen


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[0354] Die Reform des preußischen Landtages Es ist das eine ähnliche Aufgabe, wie sie schon nach Serbiens Niederwerfung mit Bulgarien geleistet wurde. Damals wurde der feindliche Ring gegen den Orient ge¬ öffnet, — heute heißt es eine größere Bresche nach Osten zu legen. Angesichts der historischen Stellung Rußlands Deutschland gegenüber wird die Aufgabe damit nicht erschöpft. Über die Wiederherstellung guter wirtschaftlicher Beziehungen zu Ru߬ land hinaus bedürfen wir, ohne die Rechte anderer uns freundlich gesinnten Nationen dadurch schmälern zu müssen, Bewegungsfreiheit in kolonisatorischer Hinsicht, Sicher¬ heit unserer Grenzen gegen alle Möglichkeiten, wie sie noch in der Zeiten Schoße schlummern mögen, — Möglichkeiten, die auch in dem unfertigen Gährungs- zustande Rußlands zu gewärtigen sind. Den allgemein menschlichen Idealen werden unsere Diplomaten zweifellos am besten dadurch dienen, wenn sie den starken moralischen Kräften freie Entwicklung sichern, die sich in dem Weltringen so herrlich bewährt haben, nämlich den guten deutschen Eigenschaften. Die deutsche Kultur soll weder durch Überwiegen der kosmopolitischen Händlerinteressen noch durch den internationalen Sozialismus bedroht sein. Die Reform des preußischen Landtages Dr. Friedrich Thinae von eit ich in Ur. 14 vom 4. April 1917 zum letztenmal in den „Grenz¬ boten" die Wahlrechtsfrage behandelt habe, hat sich die Situation von Grund aus gewandelt. Schon wenige Tage später, am 7. April, erschien die kaiserliche Osterbotschaft, die die Axt an das geltende Dreiklassenwahlrccht legte. „Nach den gewaltigen Leistungen des ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist nach Meiner Überzeugung für das Klassenwahlrecht in Preußen kein Raum mehr," so sprach der deutsche Kaiser und preußische König zu seinem Volke. Nach allem, was wir heute wissen, dürfen wir annehmen, daß die Überzeugung des Trägers der Krone und seines ersten Rat¬ gebers schon damals so gut in der Richtung des gleichen wie in der des geheimen und unmittelbaren Wahlrechtes feststand. Wenn mit dem offenen Bekenntnis noch zurückgehalten wurde, so geschah es Wohl, weil es geraten schien, den Austrag des Meinungsstreites hinter der Front, der gerade bei der Proklamierung des gleichen Wahlrechtes unvermeidlich war, noch zu verschieben. Aber es zeigte sich bald, daß dieser Zweck durch die Lücke in der Osterbolschaft nicht erreicht wurde. So folgte der Osterbotschaft schon unter dem 11. Juli der Wahlrechiserlaß, der in Ergänzung jener Botschaft bestimmte, daß der dem Landtage vorzulegende Gesetzentwurf wegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/354>, abgerufen am 31.08.2024.