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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsch-Russischen Handelsverträge
Universitätsprofessor Dr. L. Karl Goetz in Bonn von

olange Rußland in Warenaustausch mit dem westwärts von
ihm gelegenen Europa steht -- und das sind schon über tausend
Jahre her -- in Ausfuhr seiner eigenen Rohprodukte, im
Zwischenhandel mit den Gütern Asiens, wie in Einfuhr von
Waren aus Westeuropa, steht der deutsch-russische Handel an erster
Stelle unter dem auswärtigen Handel Rußlands. Solange ein russischer
Staat existiert, von den ältesten Zeiten der nordrussischen und südrusstschen
Teilstaaten an bis zum Kaiserreich Rußland unserer Tage, gibt es auch amt¬
liche Urkunden über diese deutsch-russischen Handelsbeziehungen, gibt es deutsch¬
russische Handelsverträge. Wenn wir von zwei russisch-byzantinischen Handels¬
verträgen aus der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts absehen, die zwischen
den Fürsten von Kiew, Oleg und Igor und den griechischen Kaisern 911 und
945 geschlossen wurden, ist Deutschland das Land, das die ältesten und die
meisten vertraglichen Regelungen seines Handels nach und aus Rußland auf¬
zuweisen hat, Handelsverträge, die sich auf einen Zeitraum von rund sieben¬
hundert Jahren, von 1189, dem ersten deutsch-russischen Handelsvertrags¬
entwurf, bis 1894/1904, dem neuesten Handelsvertrag zwischen Rußland und
dem Deutschen Reich, erstrecken. Auch ohne daß Ziffern über den beiderseitigen
Warenaustausch beigebracht, Statistiker über die wechselseitige Einfuhr und
Ausfuhr geboten werden, ergibt sich aus dieser einfachen Tatsache die große
Bedeutung, die dieser uralte Handelsverkehr zwischen Rußland und Deutsch¬
land für das wirtschaftliche Leben wie für die politischen Beziehungen beider
Reiche und Völker bis in unsere Zeit gehabt hat. Ein derartiger tausend¬
jähriger Faktor im Leben zweier Nationen kann aber durch den Krieg einiger
Jahre nicht getilgt werden, trotz naturgemäßer Feindschaft zweier Kriegs¬
gegner, trotz Schürung dieser Feindschaft durch Konkurrenten aus anderen
Völkern, die so gern bereit sind, Deutschlands Erbe im Handel mit
Rußland anzutreten, und die dafür schon alle Vorbereitungen treffen.
Deutschland und Rußland haben sich in einer fast tausendjährigen Ver¬
gangenheit für ihr wirtschaftliches Leben im großen Umfang als aufeinander
angewiesen gezeigt, sie werden es auch in Zukunft sein. Das ist eine
selbstverständliche Schlußfolgerung, über die kein Wort mehr zu verlieren
ist. Die Marksteine dieses uralten deutsch-russischen Handels, die Stufen
seiner Entwicklung, sind die Handelsverträge zwischen Deutschland und Ruß-




Die Deutsch-Russischen Handelsverträge
Universitätsprofessor Dr. L. Karl Goetz in Bonn von

olange Rußland in Warenaustausch mit dem westwärts von
ihm gelegenen Europa steht — und das sind schon über tausend
Jahre her — in Ausfuhr seiner eigenen Rohprodukte, im
Zwischenhandel mit den Gütern Asiens, wie in Einfuhr von
Waren aus Westeuropa, steht der deutsch-russische Handel an erster
Stelle unter dem auswärtigen Handel Rußlands. Solange ein russischer
Staat existiert, von den ältesten Zeiten der nordrussischen und südrusstschen
Teilstaaten an bis zum Kaiserreich Rußland unserer Tage, gibt es auch amt¬
liche Urkunden über diese deutsch-russischen Handelsbeziehungen, gibt es deutsch¬
russische Handelsverträge. Wenn wir von zwei russisch-byzantinischen Handels¬
verträgen aus der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts absehen, die zwischen
den Fürsten von Kiew, Oleg und Igor und den griechischen Kaisern 911 und
945 geschlossen wurden, ist Deutschland das Land, das die ältesten und die
meisten vertraglichen Regelungen seines Handels nach und aus Rußland auf¬
zuweisen hat, Handelsverträge, die sich auf einen Zeitraum von rund sieben¬
hundert Jahren, von 1189, dem ersten deutsch-russischen Handelsvertrags¬
entwurf, bis 1894/1904, dem neuesten Handelsvertrag zwischen Rußland und
dem Deutschen Reich, erstrecken. Auch ohne daß Ziffern über den beiderseitigen
Warenaustausch beigebracht, Statistiker über die wechselseitige Einfuhr und
Ausfuhr geboten werden, ergibt sich aus dieser einfachen Tatsache die große
Bedeutung, die dieser uralte Handelsverkehr zwischen Rußland und Deutsch¬
land für das wirtschaftliche Leben wie für die politischen Beziehungen beider
Reiche und Völker bis in unsere Zeit gehabt hat. Ein derartiger tausend¬
jähriger Faktor im Leben zweier Nationen kann aber durch den Krieg einiger
Jahre nicht getilgt werden, trotz naturgemäßer Feindschaft zweier Kriegs¬
gegner, trotz Schürung dieser Feindschaft durch Konkurrenten aus anderen
Völkern, die so gern bereit sind, Deutschlands Erbe im Handel mit
Rußland anzutreten, und die dafür schon alle Vorbereitungen treffen.
Deutschland und Rußland haben sich in einer fast tausendjährigen Ver¬
gangenheit für ihr wirtschaftliches Leben im großen Umfang als aufeinander
angewiesen gezeigt, sie werden es auch in Zukunft sein. Das ist eine
selbstverständliche Schlußfolgerung, über die kein Wort mehr zu verlieren
ist. Die Marksteine dieses uralten deutsch-russischen Handels, die Stufen
seiner Entwicklung, sind die Handelsverträge zwischen Deutschland und Ruß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/52>, abgerufen am 22.07.2024.