Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Das Vermächtnis Vrucks
Dr. Karl Buchheim Von

im 22. April 1860 wurde dem österreichischen Finanzminister
Karl Ludwig Freiherrn von Brück noch spät abends ein ver-
! stegeltes Schreiben des Kaisers gebracht, durch das er unerwartet
ohne Gnadenbeweise seines Amtes enthoben wurde. Außer sich
vor ungerecht gekränkten Stolz brachte er sich noch in derselben
Nacht tödliche Verletzungen mit dem Rasiermesser bei und starb am folgenden
Tage. Am 26. April wurde er auf dem Wiener evangelischen Friedhof unter
zahlreicher Beteiligung der Bevölkerung beigesetzt. Aber kein Würdenträger
des Staates erschien an feinem Grabe, ja das Wiener Regierungsorgan brachte
nicht einmal einen Nachruf. So endete dieses Leben, das aus unbekanntem
rheinischen Kleinbürgertum zu den Höhen der Macht emporgeführt hatte, mit
einem außergewöhnlich jähen tragischen Sturze. Waren es doch falsche Ver¬
dächtigungen gegen die persönliche Ehrenhaftigkeit des Mannes, die seinen Fall
herbeigeführt hatten.

Die Geschichte hat Brück längst wieder anerkannt. Schon bald nach
seinem Tode wurde es aller Welt offenbar, daß man ihm die Beteiligung an
gewissen Unterschleifen während des unglücklichen italienischen Feldzugs von
1859 zu unrecht zugetraut hatte, und je tiefer die Forschung in die Geschichte
des nachmärzlichen Österreich eindrang, um so Heller leuchteten die staatsmännischen
Verdienste dieses Ministers, der in dem talentereichen Ministerium Schwarzen¬
berg, das Österreichs Neugestaltung nach dem Sturmjahr vollzog, wohl einer
der genialsten Köpfe war. und der als Diplomat am Goldenen Horn und in
Berlin auf schwierigem Posten glänzende Erfolge davongetragen hatte. Um
also Brucks Namen vor der Geschichte wieder zu Ehren zu bringen, dazu war
das neue Buch von Charmatz*) nicht erst nötig. Aber den weiteren Kreisen
der gebildeten Öffentlichkeit Deutschlands, die sich seit Jahrzehnten leicht be¬
greiflicherweise, aber doch ein wenig einseitig, nur für die politischen Führer
unseres Volkes interessiert, die in Preußen gewirkt haben, kann das Buch zeigen,
wie auch unter österreichischem Banner bedeutende Köpfe für die nationale
Sache tätig gewesen sind, und wie hier große politische Gedanken geboren
wurden, die unbeschadet des Werkes Bismarcks ihre Bedeutung bis in unsere
Gegenwart in Anspruch nehmen dürfen. Das wertvollste Geschenk bietet uns



") N. ChciNNlltz, Minister Freiherr von Brück, der Vorkämpfer Mitteleuropas, sein
Lebensgang und seine Denkschriften. G. Hirzel. Leipzig 1916. Geh. 5 M, geb. 6,60 M.


Das Vermächtnis Vrucks
Dr. Karl Buchheim Von

im 22. April 1860 wurde dem österreichischen Finanzminister
Karl Ludwig Freiherrn von Brück noch spät abends ein ver-
! stegeltes Schreiben des Kaisers gebracht, durch das er unerwartet
ohne Gnadenbeweise seines Amtes enthoben wurde. Außer sich
vor ungerecht gekränkten Stolz brachte er sich noch in derselben
Nacht tödliche Verletzungen mit dem Rasiermesser bei und starb am folgenden
Tage. Am 26. April wurde er auf dem Wiener evangelischen Friedhof unter
zahlreicher Beteiligung der Bevölkerung beigesetzt. Aber kein Würdenträger
des Staates erschien an feinem Grabe, ja das Wiener Regierungsorgan brachte
nicht einmal einen Nachruf. So endete dieses Leben, das aus unbekanntem
rheinischen Kleinbürgertum zu den Höhen der Macht emporgeführt hatte, mit
einem außergewöhnlich jähen tragischen Sturze. Waren es doch falsche Ver¬
dächtigungen gegen die persönliche Ehrenhaftigkeit des Mannes, die seinen Fall
herbeigeführt hatten.

Die Geschichte hat Brück längst wieder anerkannt. Schon bald nach
seinem Tode wurde es aller Welt offenbar, daß man ihm die Beteiligung an
gewissen Unterschleifen während des unglücklichen italienischen Feldzugs von
1859 zu unrecht zugetraut hatte, und je tiefer die Forschung in die Geschichte
des nachmärzlichen Österreich eindrang, um so Heller leuchteten die staatsmännischen
Verdienste dieses Ministers, der in dem talentereichen Ministerium Schwarzen¬
berg, das Österreichs Neugestaltung nach dem Sturmjahr vollzog, wohl einer
der genialsten Köpfe war. und der als Diplomat am Goldenen Horn und in
Berlin auf schwierigem Posten glänzende Erfolge davongetragen hatte. Um
also Brucks Namen vor der Geschichte wieder zu Ehren zu bringen, dazu war
das neue Buch von Charmatz*) nicht erst nötig. Aber den weiteren Kreisen
der gebildeten Öffentlichkeit Deutschlands, die sich seit Jahrzehnten leicht be¬
greiflicherweise, aber doch ein wenig einseitig, nur für die politischen Führer
unseres Volkes interessiert, die in Preußen gewirkt haben, kann das Buch zeigen,
wie auch unter österreichischem Banner bedeutende Köpfe für die nationale
Sache tätig gewesen sind, und wie hier große politische Gedanken geboren
wurden, die unbeschadet des Werkes Bismarcks ihre Bedeutung bis in unsere
Gegenwart in Anspruch nehmen dürfen. Das wertvollste Geschenk bietet uns



") N. ChciNNlltz, Minister Freiherr von Brück, der Vorkämpfer Mitteleuropas, sein
Lebensgang und seine Denkschriften. G. Hirzel. Leipzig 1916. Geh. 5 M, geb. 6,60 M.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331784"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341905_331409/figures/grenzboten_341905_331409_331784_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Vermächtnis Vrucks<lb/><note type="byline"> Dr. Karl Buchheim</note> Von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1235"> im 22. April 1860 wurde dem österreichischen Finanzminister<lb/>
Karl Ludwig Freiherrn von Brück noch spät abends ein ver-<lb/>
! stegeltes Schreiben des Kaisers gebracht, durch das er unerwartet<lb/>
ohne Gnadenbeweise seines Amtes enthoben wurde. Außer sich<lb/>
vor ungerecht gekränkten Stolz brachte er sich noch in derselben<lb/>
Nacht tödliche Verletzungen mit dem Rasiermesser bei und starb am folgenden<lb/>
Tage. Am 26. April wurde er auf dem Wiener evangelischen Friedhof unter<lb/>
zahlreicher Beteiligung der Bevölkerung beigesetzt. Aber kein Würdenträger<lb/>
des Staates erschien an feinem Grabe, ja das Wiener Regierungsorgan brachte<lb/>
nicht einmal einen Nachruf. So endete dieses Leben, das aus unbekanntem<lb/>
rheinischen Kleinbürgertum zu den Höhen der Macht emporgeführt hatte, mit<lb/>
einem außergewöhnlich jähen tragischen Sturze. Waren es doch falsche Ver¬<lb/>
dächtigungen gegen die persönliche Ehrenhaftigkeit des Mannes, die seinen Fall<lb/>
herbeigeführt hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1236" next="#ID_1237"> Die Geschichte hat Brück längst wieder anerkannt. Schon bald nach<lb/>
seinem Tode wurde es aller Welt offenbar, daß man ihm die Beteiligung an<lb/>
gewissen Unterschleifen während des unglücklichen italienischen Feldzugs von<lb/>
1859 zu unrecht zugetraut hatte, und je tiefer die Forschung in die Geschichte<lb/>
des nachmärzlichen Österreich eindrang, um so Heller leuchteten die staatsmännischen<lb/>
Verdienste dieses Ministers, der in dem talentereichen Ministerium Schwarzen¬<lb/>
berg, das Österreichs Neugestaltung nach dem Sturmjahr vollzog, wohl einer<lb/>
der genialsten Köpfe war. und der als Diplomat am Goldenen Horn und in<lb/>
Berlin auf schwierigem Posten glänzende Erfolge davongetragen hatte. Um<lb/>
also Brucks Namen vor der Geschichte wieder zu Ehren zu bringen, dazu war<lb/>
das neue Buch von Charmatz*) nicht erst nötig. Aber den weiteren Kreisen<lb/>
der gebildeten Öffentlichkeit Deutschlands, die sich seit Jahrzehnten leicht be¬<lb/>
greiflicherweise, aber doch ein wenig einseitig, nur für die politischen Führer<lb/>
unseres Volkes interessiert, die in Preußen gewirkt haben, kann das Buch zeigen,<lb/>
wie auch unter österreichischem Banner bedeutende Köpfe für die nationale<lb/>
Sache tätig gewesen sind, und wie hier große politische Gedanken geboren<lb/>
wurden, die unbeschadet des Werkes Bismarcks ihre Bedeutung bis in unsere<lb/>
Gegenwart in Anspruch nehmen dürfen. Das wertvollste Geschenk bietet uns</p><lb/>
          <note xml:id="FID_55" place="foot"> ") N. ChciNNlltz, Minister Freiherr von Brück, der Vorkämpfer Mitteleuropas, sein<lb/>
Lebensgang und seine Denkschriften. G. Hirzel. Leipzig 1916. Geh. 5 M, geb. 6,60 M.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] [Abbildung] Das Vermächtnis Vrucks Dr. Karl Buchheim Von im 22. April 1860 wurde dem österreichischen Finanzminister Karl Ludwig Freiherrn von Brück noch spät abends ein ver- ! stegeltes Schreiben des Kaisers gebracht, durch das er unerwartet ohne Gnadenbeweise seines Amtes enthoben wurde. Außer sich vor ungerecht gekränkten Stolz brachte er sich noch in derselben Nacht tödliche Verletzungen mit dem Rasiermesser bei und starb am folgenden Tage. Am 26. April wurde er auf dem Wiener evangelischen Friedhof unter zahlreicher Beteiligung der Bevölkerung beigesetzt. Aber kein Würdenträger des Staates erschien an feinem Grabe, ja das Wiener Regierungsorgan brachte nicht einmal einen Nachruf. So endete dieses Leben, das aus unbekanntem rheinischen Kleinbürgertum zu den Höhen der Macht emporgeführt hatte, mit einem außergewöhnlich jähen tragischen Sturze. Waren es doch falsche Ver¬ dächtigungen gegen die persönliche Ehrenhaftigkeit des Mannes, die seinen Fall herbeigeführt hatten. Die Geschichte hat Brück längst wieder anerkannt. Schon bald nach seinem Tode wurde es aller Welt offenbar, daß man ihm die Beteiligung an gewissen Unterschleifen während des unglücklichen italienischen Feldzugs von 1859 zu unrecht zugetraut hatte, und je tiefer die Forschung in die Geschichte des nachmärzlichen Österreich eindrang, um so Heller leuchteten die staatsmännischen Verdienste dieses Ministers, der in dem talentereichen Ministerium Schwarzen¬ berg, das Österreichs Neugestaltung nach dem Sturmjahr vollzog, wohl einer der genialsten Köpfe war. und der als Diplomat am Goldenen Horn und in Berlin auf schwierigem Posten glänzende Erfolge davongetragen hatte. Um also Brucks Namen vor der Geschichte wieder zu Ehren zu bringen, dazu war das neue Buch von Charmatz*) nicht erst nötig. Aber den weiteren Kreisen der gebildeten Öffentlichkeit Deutschlands, die sich seit Jahrzehnten leicht be¬ greiflicherweise, aber doch ein wenig einseitig, nur für die politischen Führer unseres Volkes interessiert, die in Preußen gewirkt haben, kann das Buch zeigen, wie auch unter österreichischem Banner bedeutende Köpfe für die nationale Sache tätig gewesen sind, und wie hier große politische Gedanken geboren wurden, die unbeschadet des Werkes Bismarcks ihre Bedeutung bis in unsere Gegenwart in Anspruch nehmen dürfen. Das wertvollste Geschenk bietet uns ") N. ChciNNlltz, Minister Freiherr von Brück, der Vorkämpfer Mitteleuropas, sein Lebensgang und seine Denkschriften. G. Hirzel. Leipzig 1916. Geh. 5 M, geb. 6,60 M.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/376>, abgerufen am 22.07.2024.