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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der Pole" Volkszahl und Sprachgebiet im russischen Anteil

dann unsere Entschließungen nur von real-politischen Gründen, nicht aber durch
Ärger über Vergangenes leiten und bestimmen lassen. Es gilt für uns Nord¬
amerika fast noch mehr als Japan gegenüber das Hartmannsche Wort, an das
ich neulich erinnerte: "Wenn es schon töricht ist, auf Dankbarkeit in der Politik
zu rechnen, so ist es doppelt töricht, sich durch Ärger über Vergangenes, durch
Schmollen und Grollen in seinen Entschließungen beeinflussen zu lassen."




Der Polen Volkszahl und Sprachgebiet
im russischen Anteil
Professor Aranz von

!ltpolen war lange eine Großmacht; noch in den Tagen des
Niederganges unter Johann Casimir umfaßte es ein Gebiet von
21 400 und ein Jahrhundert später, zur Zeit der ersten Teilung,
! von 13 300 Quadratmeilen mit 14 Millionen Einwohnern. Seit
^der Vereinigung mit Litauen (1386) war es aber weder ein
Nationalstaat, noch -- seit und trotz der Union von Ludim (1569) und der Ver¬
tragsbestimmung: Polen und Litauen bilden einen unteilbaren "Leichnam" --
ein Einheitsstaat. Denn beide Länder hatten zwar einen gemeinsamen, auf
einem gemeinsamen Wahlreichstage zu wählenden und gemeinsam in Krakau
zu krönenden König, auch die Reichstage und die Münze gemeinsam; das
Grotzfürstentum Litauen, mit titanischer, weiß- und kleinrussischer, nicht mit
polnischer Bevölkerung, behielt aber seine eigene Verwaltung, eigenes Finanz¬
wesen und eigenes Heer und erhielt 1581 durch Stephan Bathory sein eigenes
Obertribunal. Dem Vertrage zufolge stand zwar allen Bewohnern des Doppel¬
staates "die Ansiedlung in allen Landesteilen frei"; die Auswanderung aus
Kronpolen nach dem Großfürstentum war aber andauernd so spärlich, daß
selbst polnischem Druck. Blut und Wesen die Umwandlung der Autochthonen
in Nationalpolen nicht gelang. Nur der fremdstämmige Adel ging, vom
polnischen Adel in seine Wappenverbände aufgenommen, im Polentum auf,
wogegen die graue Masse, vielfachen Bedrückungen und Lockungen zum Trotz,
bis auf einen mäßigen Bruchteil der Muttersprache und dem Glauben der
Väter treu blieb, des Gegensatzes des Blutes allmählich bewußt wurde und.
was einst von polnischen Kolonisten über den Bug eingewandert war, restlos
aufsog. Deshalb war und blieb das herrschende Volk in der Minderheit und


Der Pole» Volkszahl und Sprachgebiet im russischen Anteil

dann unsere Entschließungen nur von real-politischen Gründen, nicht aber durch
Ärger über Vergangenes leiten und bestimmen lassen. Es gilt für uns Nord¬
amerika fast noch mehr als Japan gegenüber das Hartmannsche Wort, an das
ich neulich erinnerte: „Wenn es schon töricht ist, auf Dankbarkeit in der Politik
zu rechnen, so ist es doppelt töricht, sich durch Ärger über Vergangenes, durch
Schmollen und Grollen in seinen Entschließungen beeinflussen zu lassen."




Der Polen Volkszahl und Sprachgebiet
im russischen Anteil
Professor Aranz von

!ltpolen war lange eine Großmacht; noch in den Tagen des
Niederganges unter Johann Casimir umfaßte es ein Gebiet von
21 400 und ein Jahrhundert später, zur Zeit der ersten Teilung,
! von 13 300 Quadratmeilen mit 14 Millionen Einwohnern. Seit
^der Vereinigung mit Litauen (1386) war es aber weder ein
Nationalstaat, noch — seit und trotz der Union von Ludim (1569) und der Ver¬
tragsbestimmung: Polen und Litauen bilden einen unteilbaren „Leichnam" —
ein Einheitsstaat. Denn beide Länder hatten zwar einen gemeinsamen, auf
einem gemeinsamen Wahlreichstage zu wählenden und gemeinsam in Krakau
zu krönenden König, auch die Reichstage und die Münze gemeinsam; das
Grotzfürstentum Litauen, mit titanischer, weiß- und kleinrussischer, nicht mit
polnischer Bevölkerung, behielt aber seine eigene Verwaltung, eigenes Finanz¬
wesen und eigenes Heer und erhielt 1581 durch Stephan Bathory sein eigenes
Obertribunal. Dem Vertrage zufolge stand zwar allen Bewohnern des Doppel¬
staates „die Ansiedlung in allen Landesteilen frei"; die Auswanderung aus
Kronpolen nach dem Großfürstentum war aber andauernd so spärlich, daß
selbst polnischem Druck. Blut und Wesen die Umwandlung der Autochthonen
in Nationalpolen nicht gelang. Nur der fremdstämmige Adel ging, vom
polnischen Adel in seine Wappenverbände aufgenommen, im Polentum auf,
wogegen die graue Masse, vielfachen Bedrückungen und Lockungen zum Trotz,
bis auf einen mäßigen Bruchteil der Muttersprache und dem Glauben der
Väter treu blieb, des Gegensatzes des Blutes allmählich bewußt wurde und.
was einst von polnischen Kolonisten über den Bug eingewandert war, restlos
aufsog. Deshalb war und blieb das herrschende Volk in der Minderheit und


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[0274] Der Pole» Volkszahl und Sprachgebiet im russischen Anteil dann unsere Entschließungen nur von real-politischen Gründen, nicht aber durch Ärger über Vergangenes leiten und bestimmen lassen. Es gilt für uns Nord¬ amerika fast noch mehr als Japan gegenüber das Hartmannsche Wort, an das ich neulich erinnerte: „Wenn es schon töricht ist, auf Dankbarkeit in der Politik zu rechnen, so ist es doppelt töricht, sich durch Ärger über Vergangenes, durch Schmollen und Grollen in seinen Entschließungen beeinflussen zu lassen." Der Polen Volkszahl und Sprachgebiet im russischen Anteil Professor Aranz von !ltpolen war lange eine Großmacht; noch in den Tagen des Niederganges unter Johann Casimir umfaßte es ein Gebiet von 21 400 und ein Jahrhundert später, zur Zeit der ersten Teilung, ! von 13 300 Quadratmeilen mit 14 Millionen Einwohnern. Seit ^der Vereinigung mit Litauen (1386) war es aber weder ein Nationalstaat, noch — seit und trotz der Union von Ludim (1569) und der Ver¬ tragsbestimmung: Polen und Litauen bilden einen unteilbaren „Leichnam" — ein Einheitsstaat. Denn beide Länder hatten zwar einen gemeinsamen, auf einem gemeinsamen Wahlreichstage zu wählenden und gemeinsam in Krakau zu krönenden König, auch die Reichstage und die Münze gemeinsam; das Grotzfürstentum Litauen, mit titanischer, weiß- und kleinrussischer, nicht mit polnischer Bevölkerung, behielt aber seine eigene Verwaltung, eigenes Finanz¬ wesen und eigenes Heer und erhielt 1581 durch Stephan Bathory sein eigenes Obertribunal. Dem Vertrage zufolge stand zwar allen Bewohnern des Doppel¬ staates „die Ansiedlung in allen Landesteilen frei"; die Auswanderung aus Kronpolen nach dem Großfürstentum war aber andauernd so spärlich, daß selbst polnischem Druck. Blut und Wesen die Umwandlung der Autochthonen in Nationalpolen nicht gelang. Nur der fremdstämmige Adel ging, vom polnischen Adel in seine Wappenverbände aufgenommen, im Polentum auf, wogegen die graue Masse, vielfachen Bedrückungen und Lockungen zum Trotz, bis auf einen mäßigen Bruchteil der Muttersprache und dem Glauben der Väter treu blieb, des Gegensatzes des Blutes allmählich bewußt wurde und. was einst von polnischen Kolonisten über den Bug eingewandert war, restlos aufsog. Deshalb war und blieb das herrschende Volk in der Minderheit und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/274>, abgerufen am 22.07.2024.