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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der Arieg als Vermittler zwischen kirchlicher
und unkirchlicher Frömmigkeit
Paul Denker, Pastor an der Se. Marienkirche zu Lübeck von

!s ist sicher nicht übertrieben, wenn man sagt, daß dieser Krieg
! dem deutschen Volke den Wert der Religion von neuem offen¬
bart hat. Unser Volk empfand es unmittelbar, daß es für die
gewaltige Kraftanstrengung, die von ihm gefordert ward, die
"religiösen Kräfte nicht entbehren konnte. So mischte sich vom
ersten Tage des Krieges an in die hinreißende vaterländische Begeisterung ein
ernster, frommer Ton. Die frommen Worte, die unser Kaiser damals aus be¬
wegtem Herzen zu seinem Volke sprach, fanden wohl in allen Herzen einen
lebhaften Widerhall, auch in den Herzen derer, die zu andern Zeiten über
solche Worte vielleicht spöttisch gelächelt haben würden. Und die starke äußere
und innere Anteilnahme unseres Volkes an dem ersten allgemeinen Kriegsbet¬
tage bewies es noch deutlicher, daß in jenen Tagen tiefster Erregung, in jenen
Tagen voll banger Sorge und Unruhe, voll aufflammender Begeisterung und
Kampfesfreudigkeit die Seele des deutschen Volkes wirklich das Bedürfnis hatte,
sich im Aufblick zu Gott auch innerlich zu sammeln und zu rüsten zum schweren
Kampf. Mit tiefer Inbrunst sangen wir: "Ein' feste Burg ist unser Gott"
und das "Gott mit uns!" -- sonst nicht viel mehr als eine ausgedroschene
fromme Redensart -- es ward uns wieder ein Quell der Kraft und Zuversicht.

Daß der Krieg solch eine Wirkung auf unser Volk ausüben würde, hatte
man nicht voraussehen können. Und ich glaube, es kam auch ganz unerwartet
für uns alle. Es ist ja keineswegs selbstverständlich, daß der Ausbruch eines
Krieges solche starke religiöse Bewegung hervorruft. 1870 hat man wenig
davon gespürt. In den Freiheitskämpfen waren allerdings die Herzen des
deutschen Volkes auf den gleichen ernsten, frommen Ton gestimmt. Aber 1813
lagen die Verhältnisse doch wesentlich anders als 1914. Damals hat nicht
der Ausbruch des Krieges, etwa der Ausruf des Königs an sein Volk, die
religiösen Kräfte entbunden, sondern die Jahre der Knechtschaft, der furcht¬
barsten Not, hatten schon längst die Herzen ernst gestimmt und sie empfänglich
gemacht für die unermüdliche Arbeit der Besten im Volk, die ihre ganze Kraft


Grenzboten I 1917 1K


Der Arieg als Vermittler zwischen kirchlicher
und unkirchlicher Frömmigkeit
Paul Denker, Pastor an der Se. Marienkirche zu Lübeck von

!s ist sicher nicht übertrieben, wenn man sagt, daß dieser Krieg
! dem deutschen Volke den Wert der Religion von neuem offen¬
bart hat. Unser Volk empfand es unmittelbar, daß es für die
gewaltige Kraftanstrengung, die von ihm gefordert ward, die
"religiösen Kräfte nicht entbehren konnte. So mischte sich vom
ersten Tage des Krieges an in die hinreißende vaterländische Begeisterung ein
ernster, frommer Ton. Die frommen Worte, die unser Kaiser damals aus be¬
wegtem Herzen zu seinem Volke sprach, fanden wohl in allen Herzen einen
lebhaften Widerhall, auch in den Herzen derer, die zu andern Zeiten über
solche Worte vielleicht spöttisch gelächelt haben würden. Und die starke äußere
und innere Anteilnahme unseres Volkes an dem ersten allgemeinen Kriegsbet¬
tage bewies es noch deutlicher, daß in jenen Tagen tiefster Erregung, in jenen
Tagen voll banger Sorge und Unruhe, voll aufflammender Begeisterung und
Kampfesfreudigkeit die Seele des deutschen Volkes wirklich das Bedürfnis hatte,
sich im Aufblick zu Gott auch innerlich zu sammeln und zu rüsten zum schweren
Kampf. Mit tiefer Inbrunst sangen wir: „Ein' feste Burg ist unser Gott"
und das „Gott mit uns!" — sonst nicht viel mehr als eine ausgedroschene
fromme Redensart — es ward uns wieder ein Quell der Kraft und Zuversicht.

Daß der Krieg solch eine Wirkung auf unser Volk ausüben würde, hatte
man nicht voraussehen können. Und ich glaube, es kam auch ganz unerwartet
für uns alle. Es ist ja keineswegs selbstverständlich, daß der Ausbruch eines
Krieges solche starke religiöse Bewegung hervorruft. 1870 hat man wenig
davon gespürt. In den Freiheitskämpfen waren allerdings die Herzen des
deutschen Volkes auf den gleichen ernsten, frommen Ton gestimmt. Aber 1813
lagen die Verhältnisse doch wesentlich anders als 1914. Damals hat nicht
der Ausbruch des Krieges, etwa der Ausruf des Königs an sein Volk, die
religiösen Kräfte entbunden, sondern die Jahre der Knechtschaft, der furcht¬
barsten Not, hatten schon längst die Herzen ernst gestimmt und sie empfänglich
gemacht für die unermüdliche Arbeit der Besten im Volk, die ihre ganze Kraft


Grenzboten I 1917 1K
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[0253] [Abbildung] Der Arieg als Vermittler zwischen kirchlicher und unkirchlicher Frömmigkeit Paul Denker, Pastor an der Se. Marienkirche zu Lübeck von !s ist sicher nicht übertrieben, wenn man sagt, daß dieser Krieg ! dem deutschen Volke den Wert der Religion von neuem offen¬ bart hat. Unser Volk empfand es unmittelbar, daß es für die gewaltige Kraftanstrengung, die von ihm gefordert ward, die "religiösen Kräfte nicht entbehren konnte. So mischte sich vom ersten Tage des Krieges an in die hinreißende vaterländische Begeisterung ein ernster, frommer Ton. Die frommen Worte, die unser Kaiser damals aus be¬ wegtem Herzen zu seinem Volke sprach, fanden wohl in allen Herzen einen lebhaften Widerhall, auch in den Herzen derer, die zu andern Zeiten über solche Worte vielleicht spöttisch gelächelt haben würden. Und die starke äußere und innere Anteilnahme unseres Volkes an dem ersten allgemeinen Kriegsbet¬ tage bewies es noch deutlicher, daß in jenen Tagen tiefster Erregung, in jenen Tagen voll banger Sorge und Unruhe, voll aufflammender Begeisterung und Kampfesfreudigkeit die Seele des deutschen Volkes wirklich das Bedürfnis hatte, sich im Aufblick zu Gott auch innerlich zu sammeln und zu rüsten zum schweren Kampf. Mit tiefer Inbrunst sangen wir: „Ein' feste Burg ist unser Gott" und das „Gott mit uns!" — sonst nicht viel mehr als eine ausgedroschene fromme Redensart — es ward uns wieder ein Quell der Kraft und Zuversicht. Daß der Krieg solch eine Wirkung auf unser Volk ausüben würde, hatte man nicht voraussehen können. Und ich glaube, es kam auch ganz unerwartet für uns alle. Es ist ja keineswegs selbstverständlich, daß der Ausbruch eines Krieges solche starke religiöse Bewegung hervorruft. 1870 hat man wenig davon gespürt. In den Freiheitskämpfen waren allerdings die Herzen des deutschen Volkes auf den gleichen ernsten, frommen Ton gestimmt. Aber 1813 lagen die Verhältnisse doch wesentlich anders als 1914. Damals hat nicht der Ausbruch des Krieges, etwa der Ausruf des Königs an sein Volk, die religiösen Kräfte entbunden, sondern die Jahre der Knechtschaft, der furcht¬ barsten Not, hatten schon längst die Herzen ernst gestimmt und sie empfänglich gemacht für die unermüdliche Arbeit der Besten im Volk, die ihre ganze Kraft Grenzboten I 1917 1K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/253>, abgerufen am 22.07.2024.