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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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T>le Freiheit der Meere
Rudolf Ziese von

Bleibe nicht am Boden hasten. Frisch gewagt und frisch hinaus.
Kopf und Arm mit munteren Kräften. Überall sind die zu Hau".
Wo wir uns der Sonne freuen, sind wir aller Sorgen los.
Das wir uns in ihr zerstreuen, dazu ist die Welt so groß. Goethe

as Meer ist frei. Wer das Meer beherrschen will, muß selbst
frei sein. Nur ein starkes freies Volk kann die Seeherrschaft
erringen und behalten.

Wollen wir in Deutschland den Weg der Weltwirtschaft
betreten, so müssen wir uns klar darüber werden, daß vieles
Alte, bei uns Hergebrachte, absterben, vieles Neue aufwachsen muß.

Weder der Gelehrte unter seinen Büchern, noch der Bürokrat inmitten
seiner Verordnungen, weder der Jurist mit seinen Akten, noch der wohlmeinende
Patriarch sind für die Seeherrschaft die passenden Männer. Eine neue, freie,
kühne, wagemutige, auf sich selbst vertrauende, keine Verantwortung scheuerte
Generation muß heranwachsen, die Erziehung unserer Jugend muß aus dem
alten engen Nahmen des klassischen Altertums zur weitumfassenden Gegenwart
geführt werden, und Gott gebe, daß solche Jugend bei uns sich bilden und nicht
durch zu starkes Beschneiden der Auswüchse in der Kindheit bereits verkümmern
möge. Mehr Vertrauen, mehr Liebe zur Jugend tut uns not. Wir brauchen
junge "lachende Löwen" wie Nietzsche sich ausdrückt, für die Führung unserer
privaten und öffentlichen Geschäfte, nicht in die Formeln eines engherzigen
Kastengeistes hineingepreßte, sogenannte gute Menschen. Für solche gibt es andere
Beschäftigungen. Nicht jeder Beliebige kann mächtig, stark und reich werden;
er muß die Tugenden und auch die Untugenden dazu besitzen.

Gesunder Menschenverstand klebt nicht an Formeln oder römischen Recht, sondern
erfaßt die Gegenwart und modelt diese den Erfordernissen der Zeit entsprechend,
ist also genau das Gegenteil des Prinzips, wo sich "Gesetz und Recht wie eine
ewige Krankheit forterben." Hier liegt das Geheimnis des Fehlschlagens aller
juristischen Regierungsmethoden bei ausländischer Kolonialarbeit und ehe wir
das nicht ändern, können wir in Deutschland keine Weltpolitik treiben.

Papier sind alle Londoner und Genfer Konventionen, alle Haager Friedens¬
parlamentsbeschlüsse; allein die eiserne Macht zu Wasser und zu Lande ist eS,
die unserem Handel Freiheit und Sicherheit verbürgen kann, nur sie kann die




T>le Freiheit der Meere
Rudolf Ziese von

Bleibe nicht am Boden hasten. Frisch gewagt und frisch hinaus.
Kopf und Arm mit munteren Kräften. Überall sind die zu Hau».
Wo wir uns der Sonne freuen, sind wir aller Sorgen los.
Das wir uns in ihr zerstreuen, dazu ist die Welt so groß. Goethe

as Meer ist frei. Wer das Meer beherrschen will, muß selbst
frei sein. Nur ein starkes freies Volk kann die Seeherrschaft
erringen und behalten.

Wollen wir in Deutschland den Weg der Weltwirtschaft
betreten, so müssen wir uns klar darüber werden, daß vieles
Alte, bei uns Hergebrachte, absterben, vieles Neue aufwachsen muß.

Weder der Gelehrte unter seinen Büchern, noch der Bürokrat inmitten
seiner Verordnungen, weder der Jurist mit seinen Akten, noch der wohlmeinende
Patriarch sind für die Seeherrschaft die passenden Männer. Eine neue, freie,
kühne, wagemutige, auf sich selbst vertrauende, keine Verantwortung scheuerte
Generation muß heranwachsen, die Erziehung unserer Jugend muß aus dem
alten engen Nahmen des klassischen Altertums zur weitumfassenden Gegenwart
geführt werden, und Gott gebe, daß solche Jugend bei uns sich bilden und nicht
durch zu starkes Beschneiden der Auswüchse in der Kindheit bereits verkümmern
möge. Mehr Vertrauen, mehr Liebe zur Jugend tut uns not. Wir brauchen
junge „lachende Löwen" wie Nietzsche sich ausdrückt, für die Führung unserer
privaten und öffentlichen Geschäfte, nicht in die Formeln eines engherzigen
Kastengeistes hineingepreßte, sogenannte gute Menschen. Für solche gibt es andere
Beschäftigungen. Nicht jeder Beliebige kann mächtig, stark und reich werden;
er muß die Tugenden und auch die Untugenden dazu besitzen.

Gesunder Menschenverstand klebt nicht an Formeln oder römischen Recht, sondern
erfaßt die Gegenwart und modelt diese den Erfordernissen der Zeit entsprechend,
ist also genau das Gegenteil des Prinzips, wo sich „Gesetz und Recht wie eine
ewige Krankheit forterben." Hier liegt das Geheimnis des Fehlschlagens aller
juristischen Regierungsmethoden bei ausländischer Kolonialarbeit und ehe wir
das nicht ändern, können wir in Deutschland keine Weltpolitik treiben.

Papier sind alle Londoner und Genfer Konventionen, alle Haager Friedens¬
parlamentsbeschlüsse; allein die eiserne Macht zu Wasser und zu Lande ist eS,
die unserem Handel Freiheit und Sicherheit verbürgen kann, nur sie kann die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/69>, abgerufen am 22.12.2024.