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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Hexenkessel

seine Pilgerfahrt zum verbannten Jltodor? Solche Leute machen?in Rußland
Karriere. Er war an der Front mit Purischkewitsch, war einer von den
Rotekreuzleuten, die tapfer stehlen, strebte aber nach höheren Zielen und wurde
durch A. N. wegen seiner vorzüglichen Ausbildung zum "Beamten für besondere
Aufträge im Ministerium des Innern" ernannt. Dort erregte er den Verdacht
des Generals, der einen Spion des Ministers witterte. Also wird der General
uns helfen. Rschewski sollte ja auch das famose Geschäft mit den deutschen
Kolonisten vermitteln.

Welches Geschäft?


Das Fräulein:

Simanowitsch: Das kennen Sie nicht? Es ist würdig der großen russischen
Tradition. Sie wissen, daß A. N. das Gesetz über die Enteignung der
deutschen Kolonisten durchgebracht hat. Es waren doch großzügige Minister in
diesem Kabinet. Jgnatiew, Ssasonow, Trepow und Naumow waren die einzigen,
die dagegen stimmten. Ssasonow -- es ist zum Lachen -- behauptete, Rußland
müsse wenigstens nach außen hin anständig bleiben. Wollte nicht alle Brücken
abbrechen, die nach Europa herüber führen. A. N. war anderer Ansicht. Und
er dachte an ein großes Millionengeschäst, das seine Familie mit einem Schlage
den Demidows. Scheremetjews und -- den Rubinsteins gleich gemacht hätte.
Wenn die Not der Kolonisten am höchsten war, dann wolle er sie retten. Er hätte
das Statut einer großen Auswanderkonzessionen fertig, die die armen Flücht¬
linge mit ihrem letzten Gelde nach dem gastfreundlichen Kanada und nach
Dacota gebracht hätte, wo ihre Freunde schon sitzen. Das wäre in die
Zehnermillionen gegangen. Hätte auch zugleich den Verbündeten genutzt,
Kanadas Anbaufläche gehoben; daß es der russischen schadet, machte ja nichts
aus. Naumow vereitelte auch diesen genialen Plan. Der Mann hat kein
Verständnis für die russische Seele. --

Das Fräulein: In der Tat, er ist ein großer Mann. Unser Freund
aber ist größer. Du hast viel für uns getan. Der Metropolit wird dich segnen.
Sein Sekretär wird sofort zu Boris Wladimirowitsch eilen und ihm alles
berichten. Gott hat uns gnädig geführt.




Zwischenspiel.
Der Markt von Wassilewski Ostrow in Petersburg.

In der letzten Zeit haben die Hooligans, die die Straßen von Wassi¬
lewski Ostrow unsicher machen, angefangen, die zahlreichen Käufer und Käufe¬
rinnen auf dem Andrejewschen Markte gegen die Juden aufzuhetzen. Am
2. März hielt einer von ihnen eine ältere Dame an, die ein drei- bis
vierjähriges Mädchen auf dem Arme trug und schrie ihr das Wort "Juden¬
weib" ins Gesicht. Dann rannte er zu einem Weibe, das dahinter stand, und
flüsterte ihm etwas ins Ohr, dieses fing an, mit ihren Genossinnen zu flüstern
und sofort umringten mehrere Weiber zusammen mit dem Hooligan die Dame


Der Hexenkessel

seine Pilgerfahrt zum verbannten Jltodor? Solche Leute machen?in Rußland
Karriere. Er war an der Front mit Purischkewitsch, war einer von den
Rotekreuzleuten, die tapfer stehlen, strebte aber nach höheren Zielen und wurde
durch A. N. wegen seiner vorzüglichen Ausbildung zum „Beamten für besondere
Aufträge im Ministerium des Innern" ernannt. Dort erregte er den Verdacht
des Generals, der einen Spion des Ministers witterte. Also wird der General
uns helfen. Rschewski sollte ja auch das famose Geschäft mit den deutschen
Kolonisten vermitteln.

Welches Geschäft?


Das Fräulein:

Simanowitsch: Das kennen Sie nicht? Es ist würdig der großen russischen
Tradition. Sie wissen, daß A. N. das Gesetz über die Enteignung der
deutschen Kolonisten durchgebracht hat. Es waren doch großzügige Minister in
diesem Kabinet. Jgnatiew, Ssasonow, Trepow und Naumow waren die einzigen,
die dagegen stimmten. Ssasonow — es ist zum Lachen — behauptete, Rußland
müsse wenigstens nach außen hin anständig bleiben. Wollte nicht alle Brücken
abbrechen, die nach Europa herüber führen. A. N. war anderer Ansicht. Und
er dachte an ein großes Millionengeschäst, das seine Familie mit einem Schlage
den Demidows. Scheremetjews und — den Rubinsteins gleich gemacht hätte.
Wenn die Not der Kolonisten am höchsten war, dann wolle er sie retten. Er hätte
das Statut einer großen Auswanderkonzessionen fertig, die die armen Flücht¬
linge mit ihrem letzten Gelde nach dem gastfreundlichen Kanada und nach
Dacota gebracht hätte, wo ihre Freunde schon sitzen. Das wäre in die
Zehnermillionen gegangen. Hätte auch zugleich den Verbündeten genutzt,
Kanadas Anbaufläche gehoben; daß es der russischen schadet, machte ja nichts
aus. Naumow vereitelte auch diesen genialen Plan. Der Mann hat kein
Verständnis für die russische Seele. —

Das Fräulein: In der Tat, er ist ein großer Mann. Unser Freund
aber ist größer. Du hast viel für uns getan. Der Metropolit wird dich segnen.
Sein Sekretär wird sofort zu Boris Wladimirowitsch eilen und ihm alles
berichten. Gott hat uns gnädig geführt.




Zwischenspiel.
Der Markt von Wassilewski Ostrow in Petersburg.

In der letzten Zeit haben die Hooligans, die die Straßen von Wassi¬
lewski Ostrow unsicher machen, angefangen, die zahlreichen Käufer und Käufe¬
rinnen auf dem Andrejewschen Markte gegen die Juden aufzuhetzen. Am
2. März hielt einer von ihnen eine ältere Dame an, die ein drei- bis
vierjähriges Mädchen auf dem Arme trug und schrie ihr das Wort „Juden¬
weib" ins Gesicht. Dann rannte er zu einem Weibe, das dahinter stand, und
flüsterte ihm etwas ins Ohr, dieses fing an, mit ihren Genossinnen zu flüstern
und sofort umringten mehrere Weiber zusammen mit dem Hooligan die Dame


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/67>, abgerufen am 22.12.2024.