s gab bereits im verflossenen Jahre eine Reichsbuchwoche. Aber die Erinnerung an sie ist fast ausgelöscht. Und das ist in gewissen! Sinne kein Schade. Denn sie war ein betrübender Mißerfolg.
Einmal in quantitativer Hinsicht.
Man hatte eine viel größere Anzahl von gestifteten Werken erwartet und man war mit Recht enttäuscht. Die Organisation erwies sich als zu schwach. Die Schulen als alleinige ausführende Werkzeuge genügten nicht. Und das Publikum war durch die Presse nicht hinreichend vorbereitet. Man nahm die Neichsbuchwoche 1915 als eine wohltätige Veranstaltung unter vielen. Sie lief mit. Aber über ihre Bedeutung war man sich keineswegs klar.
So auch nur läßt sich das Versagen dieser Veranstaltung in qualitativer Hinsicht erklären. Dieses Versagen berührt jedoch schmerzlich. Es war wie ein Menetekel, war ein jeden geistig Bewegten erschreckendes Symptom.
Leute, die mit der Ordnung der Einkäufe betraut waren, haben festgestellt, daß ungefähr 70 Prozent entweder vollkommen untauglich oder doch so waren, daß sie ihren Zweck mäßig erfüllten und leicht durch Besseres hätten ersetzt werden können. Die Bücherschrankhüter spielten eine Hauptrolle. Was für den Hausgebrauch veraltet oder uninteressant erschien, wurde hervorgeholt. Vergilbte Schwarte" tauchten auf, verschiedentlich aus mangelnder Sachkenntnis sogar solche von Liebhaberwert. Jahrgänge von Familienblättern und sogar Fach¬ zeitschriften aus den siebziger und achtziger Jahren waren keine Seltenheit. Schulbücher hielt man für sehr geeignet, ferner Kursbücher und Broschüren über Handelskorrespondenz und weibliche Schönheitspflege.
Die Folge dieser zweifelhaften Freigebigkeit war, daß derartige Stiftungen in den Bibliotheken oder auch Kellern der Soldatenheime ein ebenso geruhiges und unberührtes Dasein weiterführen wie in den Bücherschränken ihrer einstigen Besitzer. Aber einen Zweck haben sie nicht erfüllt und Liebe haben sie nicht geerntet, da sie trotz der schönen Bezeichnung "Liebesgabe" keine Liebe gesät haben.
Es wäre Zeitverschwendung, uns diese beiden Seiten des Mißerfolges der vorjährigen Reichsbuchwoche so ausführlich ins Gedächtnis zurückzurufen, wenn wir nicht für dieses Jahr daraus lernen wollten, was und wieviel wir anders machen müssen.
Zur Reichsbuchwoche M6 v Dr. Hans Friedrich on
s gab bereits im verflossenen Jahre eine Reichsbuchwoche. Aber die Erinnerung an sie ist fast ausgelöscht. Und das ist in gewissen! Sinne kein Schade. Denn sie war ein betrübender Mißerfolg.
Einmal in quantitativer Hinsicht.
Man hatte eine viel größere Anzahl von gestifteten Werken erwartet und man war mit Recht enttäuscht. Die Organisation erwies sich als zu schwach. Die Schulen als alleinige ausführende Werkzeuge genügten nicht. Und das Publikum war durch die Presse nicht hinreichend vorbereitet. Man nahm die Neichsbuchwoche 1915 als eine wohltätige Veranstaltung unter vielen. Sie lief mit. Aber über ihre Bedeutung war man sich keineswegs klar.
So auch nur läßt sich das Versagen dieser Veranstaltung in qualitativer Hinsicht erklären. Dieses Versagen berührt jedoch schmerzlich. Es war wie ein Menetekel, war ein jeden geistig Bewegten erschreckendes Symptom.
Leute, die mit der Ordnung der Einkäufe betraut waren, haben festgestellt, daß ungefähr 70 Prozent entweder vollkommen untauglich oder doch so waren, daß sie ihren Zweck mäßig erfüllten und leicht durch Besseres hätten ersetzt werden können. Die Bücherschrankhüter spielten eine Hauptrolle. Was für den Hausgebrauch veraltet oder uninteressant erschien, wurde hervorgeholt. Vergilbte Schwarte» tauchten auf, verschiedentlich aus mangelnder Sachkenntnis sogar solche von Liebhaberwert. Jahrgänge von Familienblättern und sogar Fach¬ zeitschriften aus den siebziger und achtziger Jahren waren keine Seltenheit. Schulbücher hielt man für sehr geeignet, ferner Kursbücher und Broschüren über Handelskorrespondenz und weibliche Schönheitspflege.
Die Folge dieser zweifelhaften Freigebigkeit war, daß derartige Stiftungen in den Bibliotheken oder auch Kellern der Soldatenheime ein ebenso geruhiges und unberührtes Dasein weiterführen wie in den Bücherschränken ihrer einstigen Besitzer. Aber einen Zweck haben sie nicht erfüllt und Liebe haben sie nicht geerntet, da sie trotz der schönen Bezeichnung „Liebesgabe" keine Liebe gesät haben.
Es wäre Zeitverschwendung, uns diese beiden Seiten des Mißerfolges der vorjährigen Reichsbuchwoche so ausführlich ins Gedächtnis zurückzurufen, wenn wir nicht für dieses Jahr daraus lernen wollten, was und wieviel wir anders machen müssen.
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gewissen! Sinne kein Schade. Denn sie war ein betrübender
Mißerfolg.
Einmal in quantitativer Hinsicht.
Man hatte eine viel größere Anzahl von gestifteten Werken erwartet und
man war mit Recht enttäuscht. Die Organisation erwies sich als zu schwach.
Die Schulen als alleinige ausführende Werkzeuge genügten nicht. Und das
Publikum war durch die Presse nicht hinreichend vorbereitet. Man nahm die
Neichsbuchwoche 1915 als eine wohltätige Veranstaltung unter vielen. Sie lief
mit. Aber über ihre Bedeutung war man sich keineswegs klar.
So auch nur läßt sich das Versagen dieser Veranstaltung in qualitativer
Hinsicht erklären. Dieses Versagen berührt jedoch schmerzlich. Es war wie ein
Menetekel, war ein jeden geistig Bewegten erschreckendes Symptom.
Leute, die mit der Ordnung der Einkäufe betraut waren, haben festgestellt,
daß ungefähr 70 Prozent entweder vollkommen untauglich oder doch so waren,
daß sie ihren Zweck mäßig erfüllten und leicht durch Besseres hätten ersetzt
werden können. Die Bücherschrankhüter spielten eine Hauptrolle. Was für den
Hausgebrauch veraltet oder uninteressant erschien, wurde hervorgeholt. Vergilbte
Schwarte» tauchten auf, verschiedentlich aus mangelnder Sachkenntnis sogar
solche von Liebhaberwert. Jahrgänge von Familienblättern und sogar Fach¬
zeitschriften aus den siebziger und achtziger Jahren waren keine Seltenheit.
Schulbücher hielt man für sehr geeignet, ferner Kursbücher und Broschüren über
Handelskorrespondenz und weibliche Schönheitspflege.
Die Folge dieser zweifelhaften Freigebigkeit war, daß derartige Stiftungen
in den Bibliotheken oder auch Kellern der Soldatenheime ein ebenso geruhiges
und unberührtes Dasein weiterführen wie in den Bücherschränken ihrer einstigen
Besitzer. Aber einen Zweck haben sie nicht erfüllt und Liebe haben sie nicht
geerntet, da sie trotz der schönen Bezeichnung „Liebesgabe" keine Liebe gesät haben.
Es wäre Zeitverschwendung, uns diese beiden Seiten des Mißerfolges der
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wir nicht für dieses Jahr daraus lernen wollten, was und wieviel wir anders
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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/263>, abgerufen am 21.02.2025.
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