Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Serbien und Österreich vor einem Jahrhundert
Spiridion Gopcevic von

^"vKKMerbten verdankt seinen gegenwärtigen Untergang der verblendeten
Politik der radikalen Partei, welche seit einem Vierteljahrhundert
die blinde Kostgängerin Rußlands war und das Volk künstlich
gegen die benachbarte Donau-Monarchie aufzustacheln wußte,
uneingedenk der Lehren der Geschichte. Denn diese zeigt uns,
daß sich Serbien in den achtziger Jahren am besten befand, als die Politik
der Fortschrittspartei mit der Russenschwärmerei gebrochen hatte und aufrichtige
Freundschaft mit Osterreich eingegangen war. während Rußland immer nur der
böse Dämon Serbiens genannt werden kann, der es nach Erfordernis rücksichts¬
los ausbeutete und opferte, wie es eben in die jeweilige russische Politik paßte.
Die Geschichte lehrt uns, daß Serbien schon 1813 die aus eigener Kraft ohn?
fremde Beihilfe errungene Freiheit und Selbständigkeit wieder einbüßte, weil
Rußland es erst im Bukarester Frieden geopfert und ihm dann obendrein ver¬
boten hatte, sich gegen die Türken zu wehren! Ebenso hatte es beim Frieden
von Sau Stefano Serbien geopfert. 1913 war es gleichfalls schon dazu be^
reit, und 1915 verhinderte es, unterstützt von England, den Friedensschluß
Serbiens mit Österreich und verursachte überdies dadurch einen schnellen Zu¬
sammenbruch, daß es Serbien bei der bulgarischen Mobilmachung hinderte,
diesen Gegner zu entwaffnen, bevor es zu spät war.

Dem gegenüber ist es von doppeltem Interesse festzustellen, daß schon der
erste Befreier Serbiens, Kara Gjorgje*) Petrovitsch, zwischen 1304 und 1813
nicht weniger als achtmal der österreichischen Negierung die Einverleibung in



") Für die serbischen Eigennamen ist zwar die serbische Rechtschreibung beibehalten,
nach welcher N wie clscli, c stets wie es, v wie >v, s wie Sö, 2 wie sehr weiches s auszu¬
sprechen ist, doch mühten die in der Druckerei fehlenden akzentuierten c durch tscb, s durch
(hartes) soll, 2 durch (wie sehr weiches sah auszusprechendes) öd ersetzt werden.
Grenzboten IV 191ö23


Serbien und Österreich vor einem Jahrhundert
Spiridion Gopcevic von

^«vKKMerbten verdankt seinen gegenwärtigen Untergang der verblendeten
Politik der radikalen Partei, welche seit einem Vierteljahrhundert
die blinde Kostgängerin Rußlands war und das Volk künstlich
gegen die benachbarte Donau-Monarchie aufzustacheln wußte,
uneingedenk der Lehren der Geschichte. Denn diese zeigt uns,
daß sich Serbien in den achtziger Jahren am besten befand, als die Politik
der Fortschrittspartei mit der Russenschwärmerei gebrochen hatte und aufrichtige
Freundschaft mit Osterreich eingegangen war. während Rußland immer nur der
böse Dämon Serbiens genannt werden kann, der es nach Erfordernis rücksichts¬
los ausbeutete und opferte, wie es eben in die jeweilige russische Politik paßte.
Die Geschichte lehrt uns, daß Serbien schon 1813 die aus eigener Kraft ohn?
fremde Beihilfe errungene Freiheit und Selbständigkeit wieder einbüßte, weil
Rußland es erst im Bukarester Frieden geopfert und ihm dann obendrein ver¬
boten hatte, sich gegen die Türken zu wehren! Ebenso hatte es beim Frieden
von Sau Stefano Serbien geopfert. 1913 war es gleichfalls schon dazu be^
reit, und 1915 verhinderte es, unterstützt von England, den Friedensschluß
Serbiens mit Österreich und verursachte überdies dadurch einen schnellen Zu¬
sammenbruch, daß es Serbien bei der bulgarischen Mobilmachung hinderte,
diesen Gegner zu entwaffnen, bevor es zu spät war.

Dem gegenüber ist es von doppeltem Interesse festzustellen, daß schon der
erste Befreier Serbiens, Kara Gjorgje*) Petrovitsch, zwischen 1304 und 1813
nicht weniger als achtmal der österreichischen Negierung die Einverleibung in



") Für die serbischen Eigennamen ist zwar die serbische Rechtschreibung beibehalten,
nach welcher N wie clscli, c stets wie es, v wie >v, s wie Sö, 2 wie sehr weiches s auszu¬
sprechen ist, doch mühten die in der Druckerei fehlenden akzentuierten c durch tscb, s durch
(hartes) soll, 2 durch (wie sehr weiches sah auszusprechendes) öd ersetzt werden.
Grenzboten IV 191ö23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324772"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341901_324408/figures/grenzboten_341901_324408_324772_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Serbien und Österreich vor einem Jahrhundert<lb/><note type="byline"> Spiridion Gopcevic</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1283"> ^«vKKMerbten verdankt seinen gegenwärtigen Untergang der verblendeten<lb/>
Politik der radikalen Partei, welche seit einem Vierteljahrhundert<lb/>
die blinde Kostgängerin Rußlands war und das Volk künstlich<lb/>
gegen die benachbarte Donau-Monarchie aufzustacheln wußte,<lb/>
uneingedenk der Lehren der Geschichte. Denn diese zeigt uns,<lb/>
daß sich Serbien in den achtziger Jahren am besten befand, als die Politik<lb/>
der Fortschrittspartei mit der Russenschwärmerei gebrochen hatte und aufrichtige<lb/>
Freundschaft mit Osterreich eingegangen war. während Rußland immer nur der<lb/>
böse Dämon Serbiens genannt werden kann, der es nach Erfordernis rücksichts¬<lb/>
los ausbeutete und opferte, wie es eben in die jeweilige russische Politik paßte.<lb/>
Die Geschichte lehrt uns, daß Serbien schon 1813 die aus eigener Kraft ohn?<lb/>
fremde Beihilfe errungene Freiheit und Selbständigkeit wieder einbüßte, weil<lb/>
Rußland es erst im Bukarester Frieden geopfert und ihm dann obendrein ver¬<lb/>
boten hatte, sich gegen die Türken zu wehren! Ebenso hatte es beim Frieden<lb/>
von Sau Stefano Serbien geopfert. 1913 war es gleichfalls schon dazu be^<lb/>
reit, und 1915 verhinderte es, unterstützt von England, den Friedensschluß<lb/>
Serbiens mit Österreich und verursachte überdies dadurch einen schnellen Zu¬<lb/>
sammenbruch, daß es Serbien bei der bulgarischen Mobilmachung hinderte,<lb/>
diesen Gegner zu entwaffnen, bevor es zu spät war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1284" next="#ID_1285"> Dem gegenüber ist es von doppeltem Interesse festzustellen, daß schon der<lb/>
erste Befreier Serbiens, Kara Gjorgje*) Petrovitsch, zwischen 1304 und 1813<lb/>
nicht weniger als achtmal der österreichischen Negierung die Einverleibung in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_87" place="foot"> ") Für die serbischen Eigennamen ist zwar die serbische Rechtschreibung beibehalten,<lb/>
nach welcher N wie clscli, c stets wie es, v wie &gt;v, s wie Sö, 2 wie sehr weiches s auszu¬<lb/>
sprechen ist, doch mühten die in der Druckerei fehlenden akzentuierten c durch tscb, s durch<lb/>
(hartes) soll, 2 durch (wie sehr weiches sah auszusprechendes) öd ersetzt werden.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 191ö23</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] [Abbildung] Serbien und Österreich vor einem Jahrhundert Spiridion Gopcevic von ^«vKKMerbten verdankt seinen gegenwärtigen Untergang der verblendeten Politik der radikalen Partei, welche seit einem Vierteljahrhundert die blinde Kostgängerin Rußlands war und das Volk künstlich gegen die benachbarte Donau-Monarchie aufzustacheln wußte, uneingedenk der Lehren der Geschichte. Denn diese zeigt uns, daß sich Serbien in den achtziger Jahren am besten befand, als die Politik der Fortschrittspartei mit der Russenschwärmerei gebrochen hatte und aufrichtige Freundschaft mit Osterreich eingegangen war. während Rußland immer nur der böse Dämon Serbiens genannt werden kann, der es nach Erfordernis rücksichts¬ los ausbeutete und opferte, wie es eben in die jeweilige russische Politik paßte. Die Geschichte lehrt uns, daß Serbien schon 1813 die aus eigener Kraft ohn? fremde Beihilfe errungene Freiheit und Selbständigkeit wieder einbüßte, weil Rußland es erst im Bukarester Frieden geopfert und ihm dann obendrein ver¬ boten hatte, sich gegen die Türken zu wehren! Ebenso hatte es beim Frieden von Sau Stefano Serbien geopfert. 1913 war es gleichfalls schon dazu be^ reit, und 1915 verhinderte es, unterstützt von England, den Friedensschluß Serbiens mit Österreich und verursachte überdies dadurch einen schnellen Zu¬ sammenbruch, daß es Serbien bei der bulgarischen Mobilmachung hinderte, diesen Gegner zu entwaffnen, bevor es zu spät war. Dem gegenüber ist es von doppeltem Interesse festzustellen, daß schon der erste Befreier Serbiens, Kara Gjorgje*) Petrovitsch, zwischen 1304 und 1813 nicht weniger als achtmal der österreichischen Negierung die Einverleibung in ") Für die serbischen Eigennamen ist zwar die serbische Rechtschreibung beibehalten, nach welcher N wie clscli, c stets wie es, v wie >v, s wie Sö, 2 wie sehr weiches s auszu¬ sprechen ist, doch mühten die in der Druckerei fehlenden akzentuierten c durch tscb, s durch (hartes) soll, 2 durch (wie sehr weiches sah auszusprechendes) öd ersetzt werden. Grenzboten IV 191ö23

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/359>, abgerufen am 27.12.2024.