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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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römischen Herrschaft im allgemeinen dar,
aber diese kurze Zusammenfassung vermag
uns kein wirkliches Bild jener Zeit zu
schaffen. Was er gibt, sind nur Biogra¬
phien der einzelnen Kaiser, Beschreibungen,
die im zweiten Teile des Werkes mehr und mehr
zu hastigen Aufzählungen der Regenten und
ihrer Feldzüge, zu Hof- und Kriegsgeschichte
Werden, und immer mehr hatte ich die Empfin¬
dung,das; zumSchlußgeeiltwerdensolle,während
gerade für das zweite und dritte Jahrhundert
ausführliche Behandlung zu wünschen ge¬
wesen wäre. -- Das zu leisten, ist keiner besser
geeignet als eben Domaszewski. Seine
ausgezeichnete Kenntnis der römischen Ver¬
waltung und des römischen Heerwesens, seine
Ausnutzung der Inschriften, Münzen, Bilder,
Bauten, die sich auch in diesem Werke zeigt,
befähigten ihn ebenso dazu wie die Meiste¬
rung der Form und der Sprache, die auch
hier zu bewundern ist.

Im einzelnen bringt er eine zum Teil neue
Beurteilung der Kaiser, wobei seine von Bird
durchaus abweicheudeBeurteilung deSAuguslus
(vergleiche I 17S u. 248) besonderes Interesse
verdient, und faßt scharf die Gründe zusammen,
die den Untergang des Imperium Kom-nun
herbeiführten; er sieht sie in dem Mangel an
nationaler Einheit, in ungesunden wirtschaft¬
lichen Verhältnissen (Anhäufung von Reich¬
tümern, daneben Verarmung), vor allem in
dem Verfall der römischen Heeresverfassung --
diesen Grund hebt Delbrück als wichtigsten
hervor (vergleiche PreußischeJahrbücher1916
S. 342) -- und endlich in der Ausbreitung
der orientalischen Religionen mit ihrer unantiken
Mahnung, aus dem irdischen Dasein in die
übersinnliche Welt zu fliehen.

Es ist bemerkenswert, daß Domaszewski
am Ausgange aus jener Welt der "allgemeinen
Barbarei" als einzigen versöhnenden Gedanken
des Lichtes "das schmerzlich milde Antlitz des
Gekreuzigten" leuchten sieht.

Dr. walther Ianell
Sozialwesen

Fritz Berolzheimer: Moral und Gesell¬
schaft des zwanzigsten Jahrhunderts. Verlag
von Ernst Reinhardt in München. Preis brosch.
6 M., in seinem Leinband 8 M.

Der Verfasser, der sich durch sein "System

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der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie" bereits
einen Namen gemacht hat, zeigt in dem vor¬
liegenden Buche, daß unsere Zeit der Gährung
und des Überganges in der Gegenwart
wieder die Anfänge einer Rückkehr zum Idea¬
lismus aufweist, allerdings nur Anfänge,
während Materialismus und Militarismus
zurzeit noch bei Weitem das Übergewicht
haben. Er weist darauf hin, daß der Kultur
von heute "die Seele" fehlt, daß uns eine
Verinnerlichung der grundlegenden Anschau¬
ungen nottut.

In freimütiger, objektiver Kritik würdigt
der Verfasser die Zeitverhältnisse. Nach einer
kurzen Auseinandersetzung über die Grund¬
begriffe der Moral und Ethik behandelt Be-
rolzheimer die Entwicklung der Familie, das
Verhältnis zwischen Mann, Weib und Kind.
Die Krönung der Eheentwicklung sieht er in
der prinzipiellen Gleichwertigkeit beider Gatten,
ein Ziel, das jedoch heute weder rechtlich noch
sozial erreicht ist. Der Verfasser tritt ferner
für eine gesetzliche und soziale Erleichterung
der Scheidung, die "einer für das Volks¬
ganze sehr schädlichen Erscheinung unserer
Zeit, ... der Abkehr von der Ehe" Abbruch
tun würde, sowie für Strafloserklärung der
Abtreibung ein, da eine solche Strafbestim¬
mung einen Eingriff in die individuelle Frei¬
heit bedeute, was nach neuzeitlicher Anschau¬
ung der Rechtfertigung entbehre. Mit diesen
Ansichten des Verfassers können wir uns nicht
ganz einverstanden erklären; es würde jedoch
zu Weit führen, wollte man alle die Gegen¬
argumente hier vorbringen, die gegen diese
beiden Vorschläge Berolzheimers sprechen.

Im zweiten Teile seines Werkes behandelt
Berolzheimer "Recht und Staat in ihren Be¬
ziehungen zur Ethik und Gesellschaft". Er
erläutert das Wesen des Rechts als "Fest¬
setzung und Befestigung von Herrschaft"; dem
Recht entspräche die Formel: "Du kannst",
während die Ethik nach ihrem Grundcharakter
"Normierung von Geboten und Verboten" mit
denFormeln: "Dusollst", "Du darfst nicht" sei.

Für die Rechtstheorie und Wirtschafts-
Wissenschaft fordert Berolzheimer mitRechtmehr
historische Vertiefung, die beiden Zweigen der
Wissenschaft heute noch in mancher Hinsicht
mangelt.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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römischen Herrschaft im allgemeinen dar,
aber diese kurze Zusammenfassung vermag
uns kein wirkliches Bild jener Zeit zu
schaffen. Was er gibt, sind nur Biogra¬
phien der einzelnen Kaiser, Beschreibungen,
die im zweiten Teile des Werkes mehr und mehr
zu hastigen Aufzählungen der Regenten und
ihrer Feldzüge, zu Hof- und Kriegsgeschichte
Werden, und immer mehr hatte ich die Empfin¬
dung,das; zumSchlußgeeiltwerdensolle,während
gerade für das zweite und dritte Jahrhundert
ausführliche Behandlung zu wünschen ge¬
wesen wäre. — Das zu leisten, ist keiner besser
geeignet als eben Domaszewski. Seine
ausgezeichnete Kenntnis der römischen Ver¬
waltung und des römischen Heerwesens, seine
Ausnutzung der Inschriften, Münzen, Bilder,
Bauten, die sich auch in diesem Werke zeigt,
befähigten ihn ebenso dazu wie die Meiste¬
rung der Form und der Sprache, die auch
hier zu bewundern ist.

Im einzelnen bringt er eine zum Teil neue
Beurteilung der Kaiser, wobei seine von Bird
durchaus abweicheudeBeurteilung deSAuguslus
(vergleiche I 17S u. 248) besonderes Interesse
verdient, und faßt scharf die Gründe zusammen,
die den Untergang des Imperium Kom-nun
herbeiführten; er sieht sie in dem Mangel an
nationaler Einheit, in ungesunden wirtschaft¬
lichen Verhältnissen (Anhäufung von Reich¬
tümern, daneben Verarmung), vor allem in
dem Verfall der römischen Heeresverfassung —
diesen Grund hebt Delbrück als wichtigsten
hervor (vergleiche PreußischeJahrbücher1916
S. 342) — und endlich in der Ausbreitung
der orientalischen Religionen mit ihrer unantiken
Mahnung, aus dem irdischen Dasein in die
übersinnliche Welt zu fliehen.

Es ist bemerkenswert, daß Domaszewski
am Ausgange aus jener Welt der „allgemeinen
Barbarei" als einzigen versöhnenden Gedanken
des Lichtes „das schmerzlich milde Antlitz des
Gekreuzigten" leuchten sieht.

Dr. walther Ianell
Sozialwesen

Fritz Berolzheimer: Moral und Gesell¬
schaft des zwanzigsten Jahrhunderts. Verlag
von Ernst Reinhardt in München. Preis brosch.
6 M., in seinem Leinband 8 M.

Der Verfasser, der sich durch sein „System

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der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie" bereits
einen Namen gemacht hat, zeigt in dem vor¬
liegenden Buche, daß unsere Zeit der Gährung
und des Überganges in der Gegenwart
wieder die Anfänge einer Rückkehr zum Idea¬
lismus aufweist, allerdings nur Anfänge,
während Materialismus und Militarismus
zurzeit noch bei Weitem das Übergewicht
haben. Er weist darauf hin, daß der Kultur
von heute „die Seele" fehlt, daß uns eine
Verinnerlichung der grundlegenden Anschau¬
ungen nottut.

In freimütiger, objektiver Kritik würdigt
der Verfasser die Zeitverhältnisse. Nach einer
kurzen Auseinandersetzung über die Grund¬
begriffe der Moral und Ethik behandelt Be-
rolzheimer die Entwicklung der Familie, das
Verhältnis zwischen Mann, Weib und Kind.
Die Krönung der Eheentwicklung sieht er in
der prinzipiellen Gleichwertigkeit beider Gatten,
ein Ziel, das jedoch heute weder rechtlich noch
sozial erreicht ist. Der Verfasser tritt ferner
für eine gesetzliche und soziale Erleichterung
der Scheidung, die „einer für das Volks¬
ganze sehr schädlichen Erscheinung unserer
Zeit, ... der Abkehr von der Ehe" Abbruch
tun würde, sowie für Strafloserklärung der
Abtreibung ein, da eine solche Strafbestim¬
mung einen Eingriff in die individuelle Frei¬
heit bedeute, was nach neuzeitlicher Anschau¬
ung der Rechtfertigung entbehre. Mit diesen
Ansichten des Verfassers können wir uns nicht
ganz einverstanden erklären; es würde jedoch
zu Weit führen, wollte man alle die Gegen¬
argumente hier vorbringen, die gegen diese
beiden Vorschläge Berolzheimers sprechen.

Im zweiten Teile seines Werkes behandelt
Berolzheimer „Recht und Staat in ihren Be¬
ziehungen zur Ethik und Gesellschaft". Er
erläutert das Wesen des Rechts als „Fest¬
setzung und Befestigung von Herrschaft"; dem
Recht entspräche die Formel: „Du kannst",
während die Ethik nach ihrem Grundcharakter
„Normierung von Geboten und Verboten" mit
denFormeln: „Dusollst", „Du darfst nicht" sei.

Für die Rechtstheorie und Wirtschafts-
Wissenschaft fordert Berolzheimer mitRechtmehr
historische Vertiefung, die beiden Zweigen der
Wissenschaft heute noch in mancher Hinsicht
mangelt.

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[0263] Maßgebliches und Unmaßgebliches römischen Herrschaft im allgemeinen dar, aber diese kurze Zusammenfassung vermag uns kein wirkliches Bild jener Zeit zu schaffen. Was er gibt, sind nur Biogra¬ phien der einzelnen Kaiser, Beschreibungen, die im zweiten Teile des Werkes mehr und mehr zu hastigen Aufzählungen der Regenten und ihrer Feldzüge, zu Hof- und Kriegsgeschichte Werden, und immer mehr hatte ich die Empfin¬ dung,das; zumSchlußgeeiltwerdensolle,während gerade für das zweite und dritte Jahrhundert ausführliche Behandlung zu wünschen ge¬ wesen wäre. — Das zu leisten, ist keiner besser geeignet als eben Domaszewski. Seine ausgezeichnete Kenntnis der römischen Ver¬ waltung und des römischen Heerwesens, seine Ausnutzung der Inschriften, Münzen, Bilder, Bauten, die sich auch in diesem Werke zeigt, befähigten ihn ebenso dazu wie die Meiste¬ rung der Form und der Sprache, die auch hier zu bewundern ist. Im einzelnen bringt er eine zum Teil neue Beurteilung der Kaiser, wobei seine von Bird durchaus abweicheudeBeurteilung deSAuguslus (vergleiche I 17S u. 248) besonderes Interesse verdient, und faßt scharf die Gründe zusammen, die den Untergang des Imperium Kom-nun herbeiführten; er sieht sie in dem Mangel an nationaler Einheit, in ungesunden wirtschaft¬ lichen Verhältnissen (Anhäufung von Reich¬ tümern, daneben Verarmung), vor allem in dem Verfall der römischen Heeresverfassung — diesen Grund hebt Delbrück als wichtigsten hervor (vergleiche PreußischeJahrbücher1916 S. 342) — und endlich in der Ausbreitung der orientalischen Religionen mit ihrer unantiken Mahnung, aus dem irdischen Dasein in die übersinnliche Welt zu fliehen. Es ist bemerkenswert, daß Domaszewski am Ausgange aus jener Welt der „allgemeinen Barbarei" als einzigen versöhnenden Gedanken des Lichtes „das schmerzlich milde Antlitz des Gekreuzigten" leuchten sieht. Dr. walther Ianell Sozialwesen Fritz Berolzheimer: Moral und Gesell¬ schaft des zwanzigsten Jahrhunderts. Verlag von Ernst Reinhardt in München. Preis brosch. 6 M., in seinem Leinband 8 M. Der Verfasser, der sich durch sein „System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie" bereits einen Namen gemacht hat, zeigt in dem vor¬ liegenden Buche, daß unsere Zeit der Gährung und des Überganges in der Gegenwart wieder die Anfänge einer Rückkehr zum Idea¬ lismus aufweist, allerdings nur Anfänge, während Materialismus und Militarismus zurzeit noch bei Weitem das Übergewicht haben. Er weist darauf hin, daß der Kultur von heute „die Seele" fehlt, daß uns eine Verinnerlichung der grundlegenden Anschau¬ ungen nottut. In freimütiger, objektiver Kritik würdigt der Verfasser die Zeitverhältnisse. Nach einer kurzen Auseinandersetzung über die Grund¬ begriffe der Moral und Ethik behandelt Be- rolzheimer die Entwicklung der Familie, das Verhältnis zwischen Mann, Weib und Kind. Die Krönung der Eheentwicklung sieht er in der prinzipiellen Gleichwertigkeit beider Gatten, ein Ziel, das jedoch heute weder rechtlich noch sozial erreicht ist. Der Verfasser tritt ferner für eine gesetzliche und soziale Erleichterung der Scheidung, die „einer für das Volks¬ ganze sehr schädlichen Erscheinung unserer Zeit, ... der Abkehr von der Ehe" Abbruch tun würde, sowie für Strafloserklärung der Abtreibung ein, da eine solche Strafbestim¬ mung einen Eingriff in die individuelle Frei¬ heit bedeute, was nach neuzeitlicher Anschau¬ ung der Rechtfertigung entbehre. Mit diesen Ansichten des Verfassers können wir uns nicht ganz einverstanden erklären; es würde jedoch zu Weit führen, wollte man alle die Gegen¬ argumente hier vorbringen, die gegen diese beiden Vorschläge Berolzheimers sprechen. Im zweiten Teile seines Werkes behandelt Berolzheimer „Recht und Staat in ihren Be¬ ziehungen zur Ethik und Gesellschaft". Er erläutert das Wesen des Rechts als „Fest¬ setzung und Befestigung von Herrschaft"; dem Recht entspräche die Formel: „Du kannst", während die Ethik nach ihrem Grundcharakter „Normierung von Geboten und Verboten" mit denFormeln: „Dusollst", „Du darfst nicht" sei. Für die Rechtstheorie und Wirtschafts- Wissenschaft fordert Berolzheimer mitRechtmehr historische Vertiefung, die beiden Zweigen der Wissenschaft heute noch in mancher Hinsicht mangelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/263>, abgerufen am 22.07.2024.