Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.warum bekämpft uns Rußland? nehmer frei, sich nach einigen Jahren davon zurück zu ziehen, wenn es ihm Trotzdem muß zugegeben werden, daß die ganze Agitation gegen die c) "Gegen das Deutschtum" Ferner hörten und hören wir noch heute, daß Rußland nicht allein gegen Blicken wir zurück in der russischen Geschichte, so finden wir. daß schon warum bekämpft uns Rußland? nehmer frei, sich nach einigen Jahren davon zurück zu ziehen, wenn es ihm Trotzdem muß zugegeben werden, daß die ganze Agitation gegen die c) „Gegen das Deutschtum" Ferner hörten und hören wir noch heute, daß Rußland nicht allein gegen Blicken wir zurück in der russischen Geschichte, so finden wir. daß schon <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324250"/> <fw type="header" place="top"> warum bekämpft uns Rußland?</fw><lb/> <p xml:id="ID_848" prev="#ID_847"> nehmer frei, sich nach einigen Jahren davon zurück zu ziehen, wenn es ihm<lb/> nicht lohnend erscheint. Für Rußland wäre diese Möglichkeit bereits 1917 ein¬<lb/> getreten, Beweis genug, daß der Handelsvertrag kein ernster Kriegsgrund sein konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_849"> Trotzdem muß zugegeben werden, daß die ganze Agitation gegen die<lb/> wirtschaftliche Stellung Deutschlands und der Deutschen mit viel Erfolg geführt<lb/> wurde; sie mag manchem Russen einen Krieg gegen Deutschland schmackhaft<lb/> gemacht haben, kommt daher als Schein- und Hilfsgrund wohl in Betracht.</p><lb/> </div> <div n="3"> <head> c) „Gegen das Deutschtum"</head><lb/> <p xml:id="ID_850"> Ferner hörten und hören wir noch heute, daß Rußland nicht allein gegen<lb/> Deutschland, sondern auch gegen das Deutschtum Krieg führt, genauer gesagt,<lb/> es möchte alles, was deutsch ist. aus Rußland ausrotten und in der Welt<lb/> politisch zurückdrängen. Wie steht es nun mit dieser Frage?</p><lb/> <p xml:id="ID_851" next="#ID_852"> Blicken wir zurück in der russischen Geschichte, so finden wir. daß schon<lb/> seit Peter dem Großen Deutsche als Lehrer nach Rußland berufen wurden, um<lb/> die westliche Kultur nach dem Zarenreiche zu bringen. Seit Katharina der<lb/> Zweiten, deren Tätigkeit bereits erwähnt wurde, war das Herrscherhaus eigentlich<lb/> ein deutsches; der Faden, der durch Peter den Dritten mit dem Hause<lb/> Romanoff geknüpft wurde, ist ein recht lockerer. Eheliche Verbindungen der<lb/> Nachfolger Katharinas mit deutschen Prinzessinnen gaben dem Hofe immer<lb/> einen deutschen Einschlag, die deutsche Sprache war bis zu der Regierung<lb/> Alexanders des Dritten die gebräuchliche. Es war unter solchen Umständen<lb/> Zu natürlich, daß lange Zeit hindurch baltische und deutsche Edelleute die<lb/> höchsten Hofchargen einnahmen und dann, aus dem Wege der in Rußland so<lb/> gebräuchlichen Protektion wiederum ihre Verwandtschaft in hohen Staatsämtern<lb/> unterbrachten. Wir sehen denn auch bis zur Regierung Alexanders des Dritten<lb/> Zahllose Beamten- und Offizierstellen von Deutschen besetzt. Es kann wohl<lb/> gesagt werden, daß die Deutschen das ihnen entgegengebrachte Vertrauen voll<lb/> rechtfertigten, sie fühlten durchaus russisch und waren treue Diener ihres Zaren.<lb/> Sie haben viel dazu beigetragen, das Land vorwärts zu bringen. Nun kam<lb/> aber der Moment, wo aus dem geknechteten Russenvolk allmählich eine national<lb/> empfindende Jntelligenzschicht herauswuchs; diese Errungenschaft ist nicht zum<lb/> geringsten Teil das Verdienst der deutschen Lehrmeister. Mit dem steigenden<lb/> Nationalgefühl sehen wir dann auch hier die alte Wahrheit in Erscheinung treten,<lb/> daß Dankbarkeit nicht die Eigenschaft befreiter Völker ist. vielleicht auch nicht<lb/> sein kann. Der Russe, der irgendeine Staatslaufbahn ergreifen wollte, sah die<lb/> besten Stellen des Landes durch Deutsche besetzt und es ist wohl verständlich,<lb/> daß sich infolgedessen ein gewisser Ingrimm gegen alles Deutsche in eben festsetzte.<lb/> Alexander der Dritte war es dann, der anfing, die Beamtenschaft und das<lb/> Militär zu rationalisieren. War es früher ein Vorteil Lutheraner - die<lb/> Russen klassifizieren nach der Religion - zu sein, so begann jetzt eme Epoche,<lb/> w der orthodox Trumpf war. Immer weniger Lutheraner sehen w:r in</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0277]
warum bekämpft uns Rußland?
nehmer frei, sich nach einigen Jahren davon zurück zu ziehen, wenn es ihm
nicht lohnend erscheint. Für Rußland wäre diese Möglichkeit bereits 1917 ein¬
getreten, Beweis genug, daß der Handelsvertrag kein ernster Kriegsgrund sein konnte.
Trotzdem muß zugegeben werden, daß die ganze Agitation gegen die
wirtschaftliche Stellung Deutschlands und der Deutschen mit viel Erfolg geführt
wurde; sie mag manchem Russen einen Krieg gegen Deutschland schmackhaft
gemacht haben, kommt daher als Schein- und Hilfsgrund wohl in Betracht.
c) „Gegen das Deutschtum"
Ferner hörten und hören wir noch heute, daß Rußland nicht allein gegen
Deutschland, sondern auch gegen das Deutschtum Krieg führt, genauer gesagt,
es möchte alles, was deutsch ist. aus Rußland ausrotten und in der Welt
politisch zurückdrängen. Wie steht es nun mit dieser Frage?
Blicken wir zurück in der russischen Geschichte, so finden wir. daß schon
seit Peter dem Großen Deutsche als Lehrer nach Rußland berufen wurden, um
die westliche Kultur nach dem Zarenreiche zu bringen. Seit Katharina der
Zweiten, deren Tätigkeit bereits erwähnt wurde, war das Herrscherhaus eigentlich
ein deutsches; der Faden, der durch Peter den Dritten mit dem Hause
Romanoff geknüpft wurde, ist ein recht lockerer. Eheliche Verbindungen der
Nachfolger Katharinas mit deutschen Prinzessinnen gaben dem Hofe immer
einen deutschen Einschlag, die deutsche Sprache war bis zu der Regierung
Alexanders des Dritten die gebräuchliche. Es war unter solchen Umständen
Zu natürlich, daß lange Zeit hindurch baltische und deutsche Edelleute die
höchsten Hofchargen einnahmen und dann, aus dem Wege der in Rußland so
gebräuchlichen Protektion wiederum ihre Verwandtschaft in hohen Staatsämtern
unterbrachten. Wir sehen denn auch bis zur Regierung Alexanders des Dritten
Zahllose Beamten- und Offizierstellen von Deutschen besetzt. Es kann wohl
gesagt werden, daß die Deutschen das ihnen entgegengebrachte Vertrauen voll
rechtfertigten, sie fühlten durchaus russisch und waren treue Diener ihres Zaren.
Sie haben viel dazu beigetragen, das Land vorwärts zu bringen. Nun kam
aber der Moment, wo aus dem geknechteten Russenvolk allmählich eine national
empfindende Jntelligenzschicht herauswuchs; diese Errungenschaft ist nicht zum
geringsten Teil das Verdienst der deutschen Lehrmeister. Mit dem steigenden
Nationalgefühl sehen wir dann auch hier die alte Wahrheit in Erscheinung treten,
daß Dankbarkeit nicht die Eigenschaft befreiter Völker ist. vielleicht auch nicht
sein kann. Der Russe, der irgendeine Staatslaufbahn ergreifen wollte, sah die
besten Stellen des Landes durch Deutsche besetzt und es ist wohl verständlich,
daß sich infolgedessen ein gewisser Ingrimm gegen alles Deutsche in eben festsetzte.
Alexander der Dritte war es dann, der anfing, die Beamtenschaft und das
Militär zu rationalisieren. War es früher ein Vorteil Lutheraner - die
Russen klassifizieren nach der Religion - zu sein, so begann jetzt eme Epoche,
w der orthodox Trumpf war. Immer weniger Lutheraner sehen w:r in
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