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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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vom Recht der Zukunft
v Prof. Dr. jur. Alexander Lei se on

u Beginn des zweiten Kriegsmonats war in einer deutschen
Zeitung folgendes zu lesen:

Was man schreibt und sagt von der neuen Einheit, die der
Krieg geschmiedet haben soll, ist im Grunde doch nicht viel
mehr als ein schöner Traum. Der Krieg hat den Partei¬
kampf zum Schweigen gebracht, aus inneren und äußeren Gründen. Er
wird wieder aufleben, sobald das Wirtschaftsleben wieder seinen normalen
Gang nimmt. Denn der Kampf der Klassen, der sich spiegelt im Kampf
der politischen Parteien, ist nicht willkürlich Gemachtes, er wächst mit Not¬
wendigkeit heraus aus diesem Wirtschaftsleben, solange die kapitalistische
Gesellschaft es beherrscht. Wohl mag die ernste Zeit, in der wir leben,
dieses und jenes Mißverständnis, das den Kampf bis dahin trübte, beseitigen-
Aber gewiß ist doch: kein Krieg kann jene inneren Auseinandersetzungen end¬
gültig beseitigen, die naturgemäß erwachsen aus den verschiedenen wirtschaft¬
lichen und politischen Interessen der einzelnen Klassen.

Von einem Zeitungsartikel darf heute keine Parteipolitik ausgehen. Seit
der Kampf der Völker entbrannte, ist der Streit der Parteien verstummt.
Diesem und jenem, der in oder von der Politik lebte, hat die Verhängung des
Kriegszustandes Schweigen auferlegt. Bei manchem andern spielt die kühle
Überlegung mit, daß sein eigenes Wohlergehen davon abhängt, ob Deutschland
siegt, und daß Deutschland nur siegen kann, wenn auch hinter der Front alle
Deutschen einträchtig zusammenwirken. Aber Männer und Frauen aller Stände
würden es als eine Beleidigung empfinden, wenn man behaupten wollte, daß
nur äußerer Zwang oder egoistische Berechnung die Einstellung der inneren
Streitigkeiten herbeigeführt hätten. Uns handelt es sich nicht um ein Gebot
der Opportunität, sondern um eine sittliche Notwendigkeit. Wir wollen von
allem Parteihader nichts mehr wissen, nicht deshalb, weil er uns schaden,
sondern deshalb, weil er uns entwürdigen würde. Denn würdig dieser großen
Zeit, in der sich entscheiden soll, ob am deutschen Wesen dereinst die Welt




vom Recht der Zukunft
v Prof. Dr. jur. Alexander Lei se on

u Beginn des zweiten Kriegsmonats war in einer deutschen
Zeitung folgendes zu lesen:

Was man schreibt und sagt von der neuen Einheit, die der
Krieg geschmiedet haben soll, ist im Grunde doch nicht viel
mehr als ein schöner Traum. Der Krieg hat den Partei¬
kampf zum Schweigen gebracht, aus inneren und äußeren Gründen. Er
wird wieder aufleben, sobald das Wirtschaftsleben wieder seinen normalen
Gang nimmt. Denn der Kampf der Klassen, der sich spiegelt im Kampf
der politischen Parteien, ist nicht willkürlich Gemachtes, er wächst mit Not¬
wendigkeit heraus aus diesem Wirtschaftsleben, solange die kapitalistische
Gesellschaft es beherrscht. Wohl mag die ernste Zeit, in der wir leben,
dieses und jenes Mißverständnis, das den Kampf bis dahin trübte, beseitigen-
Aber gewiß ist doch: kein Krieg kann jene inneren Auseinandersetzungen end¬
gültig beseitigen, die naturgemäß erwachsen aus den verschiedenen wirtschaft¬
lichen und politischen Interessen der einzelnen Klassen.

Von einem Zeitungsartikel darf heute keine Parteipolitik ausgehen. Seit
der Kampf der Völker entbrannte, ist der Streit der Parteien verstummt.
Diesem und jenem, der in oder von der Politik lebte, hat die Verhängung des
Kriegszustandes Schweigen auferlegt. Bei manchem andern spielt die kühle
Überlegung mit, daß sein eigenes Wohlergehen davon abhängt, ob Deutschland
siegt, und daß Deutschland nur siegen kann, wenn auch hinter der Front alle
Deutschen einträchtig zusammenwirken. Aber Männer und Frauen aller Stände
würden es als eine Beleidigung empfinden, wenn man behaupten wollte, daß
nur äußerer Zwang oder egoistische Berechnung die Einstellung der inneren
Streitigkeiten herbeigeführt hätten. Uns handelt es sich nicht um ein Gebot
der Opportunität, sondern um eine sittliche Notwendigkeit. Wir wollen von
allem Parteihader nichts mehr wissen, nicht deshalb, weil er uns schaden,
sondern deshalb, weil er uns entwürdigen würde. Denn würdig dieser großen
Zeit, in der sich entscheiden soll, ob am deutschen Wesen dereinst die Welt


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[0305] [Abbildung] vom Recht der Zukunft v Prof. Dr. jur. Alexander Lei se on u Beginn des zweiten Kriegsmonats war in einer deutschen Zeitung folgendes zu lesen: Was man schreibt und sagt von der neuen Einheit, die der Krieg geschmiedet haben soll, ist im Grunde doch nicht viel mehr als ein schöner Traum. Der Krieg hat den Partei¬ kampf zum Schweigen gebracht, aus inneren und äußeren Gründen. Er wird wieder aufleben, sobald das Wirtschaftsleben wieder seinen normalen Gang nimmt. Denn der Kampf der Klassen, der sich spiegelt im Kampf der politischen Parteien, ist nicht willkürlich Gemachtes, er wächst mit Not¬ wendigkeit heraus aus diesem Wirtschaftsleben, solange die kapitalistische Gesellschaft es beherrscht. Wohl mag die ernste Zeit, in der wir leben, dieses und jenes Mißverständnis, das den Kampf bis dahin trübte, beseitigen- Aber gewiß ist doch: kein Krieg kann jene inneren Auseinandersetzungen end¬ gültig beseitigen, die naturgemäß erwachsen aus den verschiedenen wirtschaft¬ lichen und politischen Interessen der einzelnen Klassen. Von einem Zeitungsartikel darf heute keine Parteipolitik ausgehen. Seit der Kampf der Völker entbrannte, ist der Streit der Parteien verstummt. Diesem und jenem, der in oder von der Politik lebte, hat die Verhängung des Kriegszustandes Schweigen auferlegt. Bei manchem andern spielt die kühle Überlegung mit, daß sein eigenes Wohlergehen davon abhängt, ob Deutschland siegt, und daß Deutschland nur siegen kann, wenn auch hinter der Front alle Deutschen einträchtig zusammenwirken. Aber Männer und Frauen aller Stände würden es als eine Beleidigung empfinden, wenn man behaupten wollte, daß nur äußerer Zwang oder egoistische Berechnung die Einstellung der inneren Streitigkeiten herbeigeführt hätten. Uns handelt es sich nicht um ein Gebot der Opportunität, sondern um eine sittliche Notwendigkeit. Wir wollen von allem Parteihader nichts mehr wissen, nicht deshalb, weil er uns schaden, sondern deshalb, weil er uns entwürdigen würde. Denn würdig dieser großen Zeit, in der sich entscheiden soll, ob am deutschen Wesen dereinst die Welt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/305>, abgerufen am 27.06.2024.