Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Briefe eines Leipzigers aus England über die dortige
Stimmung während des Arieges M0/^
veröffentlicht von Prof. Dr. Schmertosch von Riesenthal

GWmeer dem Nachlasse meiner vor drei Jahren verstorbenen Mutter
fanden sich Briefe, die ein naher Verwandter, der zur Zeit des
deutsch-französischen Krieges in England weilte, an sie gerichtet
hat. Derselbe war damals im Sevenital in der Grafschaft
Worcester als Landschaftsmaler tätig und fand bald darauf als
Musterzeichner in einer großen Teppichfabrik in Kidderminster Anstellung. Die
Briefe, die er nach Leipzig richtete, enthalten neben vielen privaten Mitteilungen
auch eine ganze Anzahl höchst interessanter Schilderungen über die Stimmung
im englischen Volke während dieses Krieges, die auch auf den Briefschreiber,
einen begeisterten Anhänger englischer Einrichtungen, nicht ganz ohne Einfluß
geblieben ist. Als geborenen Sachsen interessierten ihn natürlich alle englischen
Zeitungsnachrichten, die auf sein engeres Vaterland Bezug hatten, und er suchte
sie deshalb auch seinen Angehörigen in der Heimat zu übermitteln. Ich lasse
die betreffenden Briefe, soweit sie erhalten sind, in zeitlicher Ordnung mit
Beiseitelassung von allem, was mir nicht von allgemeinerem Interesse zu sein
scheint, hier folgen:

Kidderminster, den 16. Januar 1871

England ist während des Krieges von der deutschen Presse viel und mit
Unrecht angegriffen worden, daß es nicht streng genug neutral und parteiisch
sür Frankreich sei. Das ist, wie ich selbst bei genauem Studieren der Sach¬
verhältnisse mich überzeugt habe, durchaus nicht der Fall, im Gegenteil war die
größte Mehrheit des englischen Volkes, ich möchte beinahe sagen das ganze
englische Volk, in Sympathie für Deutschland und die Niederlagen der französischen
Armee waren überall in England willkommene und befriedigende Nachrichten.

In der Barmherzigkeit hat sich England groß bewiesen, für die Kranken
und Verwundeten beider Länder ohne Unterschied ist überall gesammelt worden,
und das Ergebnis waren Hunderttausende von Pfunden, was in Talern
Millionen macht. Dem König von Preußen wurden vor Paris für den
Zweck allein 20000 Pfund, etwa 140000 Thaler überreicht, und für die


19*


Briefe eines Leipzigers aus England über die dortige
Stimmung während des Arieges M0/^
veröffentlicht von Prof. Dr. Schmertosch von Riesenthal

GWmeer dem Nachlasse meiner vor drei Jahren verstorbenen Mutter
fanden sich Briefe, die ein naher Verwandter, der zur Zeit des
deutsch-französischen Krieges in England weilte, an sie gerichtet
hat. Derselbe war damals im Sevenital in der Grafschaft
Worcester als Landschaftsmaler tätig und fand bald darauf als
Musterzeichner in einer großen Teppichfabrik in Kidderminster Anstellung. Die
Briefe, die er nach Leipzig richtete, enthalten neben vielen privaten Mitteilungen
auch eine ganze Anzahl höchst interessanter Schilderungen über die Stimmung
im englischen Volke während dieses Krieges, die auch auf den Briefschreiber,
einen begeisterten Anhänger englischer Einrichtungen, nicht ganz ohne Einfluß
geblieben ist. Als geborenen Sachsen interessierten ihn natürlich alle englischen
Zeitungsnachrichten, die auf sein engeres Vaterland Bezug hatten, und er suchte
sie deshalb auch seinen Angehörigen in der Heimat zu übermitteln. Ich lasse
die betreffenden Briefe, soweit sie erhalten sind, in zeitlicher Ordnung mit
Beiseitelassung von allem, was mir nicht von allgemeinerem Interesse zu sein
scheint, hier folgen:

Kidderminster, den 16. Januar 1871

England ist während des Krieges von der deutschen Presse viel und mit
Unrecht angegriffen worden, daß es nicht streng genug neutral und parteiisch
sür Frankreich sei. Das ist, wie ich selbst bei genauem Studieren der Sach¬
verhältnisse mich überzeugt habe, durchaus nicht der Fall, im Gegenteil war die
größte Mehrheit des englischen Volkes, ich möchte beinahe sagen das ganze
englische Volk, in Sympathie für Deutschland und die Niederlagen der französischen
Armee waren überall in England willkommene und befriedigende Nachrichten.

In der Barmherzigkeit hat sich England groß bewiesen, für die Kranken
und Verwundeten beider Länder ohne Unterschied ist überall gesammelt worden,
und das Ergebnis waren Hunderttausende von Pfunden, was in Talern
Millionen macht. Dem König von Preußen wurden vor Paris für den
Zweck allein 20000 Pfund, etwa 140000 Thaler überreicht, und für die


19*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329029"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_328733/figures/grenzboten_341899_328733_329029_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Briefe eines Leipzigers aus England über die dortige<lb/>
Stimmung während des Arieges M0/^<lb/><note type="byline"> veröffentlicht von Prof. Dr. Schmertosch von Riesenthal</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1020"> GWmeer dem Nachlasse meiner vor drei Jahren verstorbenen Mutter<lb/>
fanden sich Briefe, die ein naher Verwandter, der zur Zeit des<lb/>
deutsch-französischen Krieges in England weilte, an sie gerichtet<lb/>
hat. Derselbe war damals im Sevenital in der Grafschaft<lb/>
Worcester als Landschaftsmaler tätig und fand bald darauf als<lb/>
Musterzeichner in einer großen Teppichfabrik in Kidderminster Anstellung. Die<lb/>
Briefe, die er nach Leipzig richtete, enthalten neben vielen privaten Mitteilungen<lb/>
auch eine ganze Anzahl höchst interessanter Schilderungen über die Stimmung<lb/>
im englischen Volke während dieses Krieges, die auch auf den Briefschreiber,<lb/>
einen begeisterten Anhänger englischer Einrichtungen, nicht ganz ohne Einfluß<lb/>
geblieben ist. Als geborenen Sachsen interessierten ihn natürlich alle englischen<lb/>
Zeitungsnachrichten, die auf sein engeres Vaterland Bezug hatten, und er suchte<lb/>
sie deshalb auch seinen Angehörigen in der Heimat zu übermitteln. Ich lasse<lb/>
die betreffenden Briefe, soweit sie erhalten sind, in zeitlicher Ordnung mit<lb/>
Beiseitelassung von allem, was mir nicht von allgemeinerem Interesse zu sein<lb/>
scheint, hier folgen:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1021"> Kidderminster, den 16. Januar 1871</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1022"> England ist während des Krieges von der deutschen Presse viel und mit<lb/>
Unrecht angegriffen worden, daß es nicht streng genug neutral und parteiisch<lb/>
sür Frankreich sei. Das ist, wie ich selbst bei genauem Studieren der Sach¬<lb/>
verhältnisse mich überzeugt habe, durchaus nicht der Fall, im Gegenteil war die<lb/>
größte Mehrheit des englischen Volkes, ich möchte beinahe sagen das ganze<lb/>
englische Volk, in Sympathie für Deutschland und die Niederlagen der französischen<lb/>
Armee waren überall in England willkommene und befriedigende Nachrichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1023" next="#ID_1024"> In der Barmherzigkeit hat sich England groß bewiesen, für die Kranken<lb/>
und Verwundeten beider Länder ohne Unterschied ist überall gesammelt worden,<lb/>
und das Ergebnis waren Hunderttausende von Pfunden, was in Talern<lb/>
Millionen macht. Dem König von Preußen wurden vor Paris für den<lb/>
Zweck allein 20000 Pfund, etwa 140000 Thaler überreicht, und für die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 19*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0295] [Abbildung] Briefe eines Leipzigers aus England über die dortige Stimmung während des Arieges M0/^ veröffentlicht von Prof. Dr. Schmertosch von Riesenthal GWmeer dem Nachlasse meiner vor drei Jahren verstorbenen Mutter fanden sich Briefe, die ein naher Verwandter, der zur Zeit des deutsch-französischen Krieges in England weilte, an sie gerichtet hat. Derselbe war damals im Sevenital in der Grafschaft Worcester als Landschaftsmaler tätig und fand bald darauf als Musterzeichner in einer großen Teppichfabrik in Kidderminster Anstellung. Die Briefe, die er nach Leipzig richtete, enthalten neben vielen privaten Mitteilungen auch eine ganze Anzahl höchst interessanter Schilderungen über die Stimmung im englischen Volke während dieses Krieges, die auch auf den Briefschreiber, einen begeisterten Anhänger englischer Einrichtungen, nicht ganz ohne Einfluß geblieben ist. Als geborenen Sachsen interessierten ihn natürlich alle englischen Zeitungsnachrichten, die auf sein engeres Vaterland Bezug hatten, und er suchte sie deshalb auch seinen Angehörigen in der Heimat zu übermitteln. Ich lasse die betreffenden Briefe, soweit sie erhalten sind, in zeitlicher Ordnung mit Beiseitelassung von allem, was mir nicht von allgemeinerem Interesse zu sein scheint, hier folgen: Kidderminster, den 16. Januar 1871 England ist während des Krieges von der deutschen Presse viel und mit Unrecht angegriffen worden, daß es nicht streng genug neutral und parteiisch sür Frankreich sei. Das ist, wie ich selbst bei genauem Studieren der Sach¬ verhältnisse mich überzeugt habe, durchaus nicht der Fall, im Gegenteil war die größte Mehrheit des englischen Volkes, ich möchte beinahe sagen das ganze englische Volk, in Sympathie für Deutschland und die Niederlagen der französischen Armee waren überall in England willkommene und befriedigende Nachrichten. In der Barmherzigkeit hat sich England groß bewiesen, für die Kranken und Verwundeten beider Länder ohne Unterschied ist überall gesammelt worden, und das Ergebnis waren Hunderttausende von Pfunden, was in Talern Millionen macht. Dem König von Preußen wurden vor Paris für den Zweck allein 20000 Pfund, etwa 140000 Thaler überreicht, und für die 19*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/295
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/295>, abgerufen am 22.12.2024.