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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Rechtsfragen

Rechtsstaat und Duell. (Ein Nachwort
zur Duellintervsllation.) Innerhalb kurzer
Frist haben zwei schwere Fälle der Verletzung
von Recht und Gerechtigkeit stattgefunden,
die das öffentliche Rechtsbewußtsein, den
Glauben an das geltende Recht und
die Rechtsprechung in Ehrensachen erschüttert
haben und deswegen die allgemeine Achtung
vor dem Gesetz gefährden: das Drama in
Dawymokre und das Trauerspiel in Metz.
In beiden Fällen derselbe Grund: die
schwerste Kränkung der Familienehre, in
beiden Fällen dieselbe Folge: Selbsthilfe
unter schweren: Rechtsbruch, im ersten Falle
durch doppelten Totschlag, im zweiten durch
Zweikampf, in beiden Fällen keine Strafe
und Sühne; dort Freispruch des Totschlägers,
hier widersinniges Ende des Ehrverlctzten.

Ein Zweifel daran, in welchem Falle
das schwerere Verbrechen Wider das Straf¬
gesetz vorliegt, besteht nicht. Auch nicht
vom Standpunkt des ehrlichen Christentums
daran, in welchem Falle das göttliche Gesetz
schwerer verletzt worden ist, in jenen: Falle,
wo der Gegner wehrlos niedergeschossen ist,
oder in dein anderen, wo christliche und
ritterliche Selbstzucht dem Gegner bis zum
förmlichen Gange mit gleichen Waffen die
Gelegenheit gab, vor dem ersten Schuß sein
mögliches letztes Ende zu bedenken, und

[Spaltenumbruch]

Sühne und Vergebung "ach Möglichkeit zu
suchen.

Wenn trotzdem der minder schwere Fall
vor das Forum des Gesetzgebers gezogen
worden ist, so gibt dieser Umstand Anlaß
hervorzuheben, wohin es führt und noch weiter
führen wird, wenn an Stelle der Änderung
des dein lebenden Volksrechtsbewußtsein nicht
entsprechenden Juristenrechtes el" überlieferter
Weg geordneter Selbsthilfe mit indirekten,
moralischem oder direktem, gesetzlichem Zwange
beseitigt ist oder wird.

Denn daran, daß das deutsche Juristen¬
recht die Ehre des Staatsbürgers und ins¬
besondere der Familie als ein Rechtsgut
niedrigster Art im Strafrecht, und über¬
haupt kaun: als RechtSgut im Zivilrecht be¬
handelt, dürfte kein Zweifel vorhanden
sein. Die strafrechtliche Sühne ist in
vielen, auch den schwersten Fällen der Ehr¬
verletzung, so im Falle des Ehebruches, ohne
Ehescheidung dem Gesetz nicht bekannt. In
den infolge der Strafantragsvoraussetzungen
stark beschränkten Fälle" der Beleidigung ist
die Sühne nur mit dem Rechte des Be¬
leidigers zu erkaufen, Tatsachen des internen
Privatlebens vor aller Öffentlichkeit zu er¬
weisen. Zudem ist die Sühne selbst in der
Freiheit und vor alle": i" der Geldstrafe
nach dem Gesetze und noch mehr in der
Rechtsprechung auf niedrigster Stufe gehalten.
Im Zivilrecht vollends ist das Rechtsgut der

[Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Rechtsfragen

Rechtsstaat und Duell. (Ein Nachwort
zur Duellintervsllation.) Innerhalb kurzer
Frist haben zwei schwere Fälle der Verletzung
von Recht und Gerechtigkeit stattgefunden,
die das öffentliche Rechtsbewußtsein, den
Glauben an das geltende Recht und
die Rechtsprechung in Ehrensachen erschüttert
haben und deswegen die allgemeine Achtung
vor dem Gesetz gefährden: das Drama in
Dawymokre und das Trauerspiel in Metz.
In beiden Fällen derselbe Grund: die
schwerste Kränkung der Familienehre, in
beiden Fällen dieselbe Folge: Selbsthilfe
unter schweren: Rechtsbruch, im ersten Falle
durch doppelten Totschlag, im zweiten durch
Zweikampf, in beiden Fällen keine Strafe
und Sühne; dort Freispruch des Totschlägers,
hier widersinniges Ende des Ehrverlctzten.

Ein Zweifel daran, in welchem Falle
das schwerere Verbrechen Wider das Straf¬
gesetz vorliegt, besteht nicht. Auch nicht
vom Standpunkt des ehrlichen Christentums
daran, in welchem Falle das göttliche Gesetz
schwerer verletzt worden ist, in jenen: Falle,
wo der Gegner wehrlos niedergeschossen ist,
oder in dein anderen, wo christliche und
ritterliche Selbstzucht dem Gegner bis zum
förmlichen Gange mit gleichen Waffen die
Gelegenheit gab, vor dem ersten Schuß sein
mögliches letztes Ende zu bedenken, und

[Spaltenumbruch]

Sühne und Vergebung »ach Möglichkeit zu
suchen.

Wenn trotzdem der minder schwere Fall
vor das Forum des Gesetzgebers gezogen
worden ist, so gibt dieser Umstand Anlaß
hervorzuheben, wohin es führt und noch weiter
führen wird, wenn an Stelle der Änderung
des dein lebenden Volksrechtsbewußtsein nicht
entsprechenden Juristenrechtes el» überlieferter
Weg geordneter Selbsthilfe mit indirekten,
moralischem oder direktem, gesetzlichem Zwange
beseitigt ist oder wird.

Denn daran, daß das deutsche Juristen¬
recht die Ehre des Staatsbürgers und ins¬
besondere der Familie als ein Rechtsgut
niedrigster Art im Strafrecht, und über¬
haupt kaun: als RechtSgut im Zivilrecht be¬
handelt, dürfte kein Zweifel vorhanden
sein. Die strafrechtliche Sühne ist in
vielen, auch den schwersten Fällen der Ehr¬
verletzung, so im Falle des Ehebruches, ohne
Ehescheidung dem Gesetz nicht bekannt. In
den infolge der Strafantragsvoraussetzungen
stark beschränkten Fälle» der Beleidigung ist
die Sühne nur mit dem Rechte des Be¬
leidigers zu erkaufen, Tatsachen des internen
Privatlebens vor aller Öffentlichkeit zu er¬
weisen. Zudem ist die Sühne selbst in der
Freiheit und vor alle»: i» der Geldstrafe
nach dem Gesetze und noch mehr in der
Rechtsprechung auf niedrigster Stufe gehalten.
Im Zivilrecht vollends ist das Rechtsgut der

[Ende Spaltensatz]
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[0052] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Rechtsfragen Rechtsstaat und Duell. (Ein Nachwort zur Duellintervsllation.) Innerhalb kurzer Frist haben zwei schwere Fälle der Verletzung von Recht und Gerechtigkeit stattgefunden, die das öffentliche Rechtsbewußtsein, den Glauben an das geltende Recht und die Rechtsprechung in Ehrensachen erschüttert haben und deswegen die allgemeine Achtung vor dem Gesetz gefährden: das Drama in Dawymokre und das Trauerspiel in Metz. In beiden Fällen derselbe Grund: die schwerste Kränkung der Familienehre, in beiden Fällen dieselbe Folge: Selbsthilfe unter schweren: Rechtsbruch, im ersten Falle durch doppelten Totschlag, im zweiten durch Zweikampf, in beiden Fällen keine Strafe und Sühne; dort Freispruch des Totschlägers, hier widersinniges Ende des Ehrverlctzten. Ein Zweifel daran, in welchem Falle das schwerere Verbrechen Wider das Straf¬ gesetz vorliegt, besteht nicht. Auch nicht vom Standpunkt des ehrlichen Christentums daran, in welchem Falle das göttliche Gesetz schwerer verletzt worden ist, in jenen: Falle, wo der Gegner wehrlos niedergeschossen ist, oder in dein anderen, wo christliche und ritterliche Selbstzucht dem Gegner bis zum förmlichen Gange mit gleichen Waffen die Gelegenheit gab, vor dem ersten Schuß sein mögliches letztes Ende zu bedenken, und Sühne und Vergebung »ach Möglichkeit zu suchen. Wenn trotzdem der minder schwere Fall vor das Forum des Gesetzgebers gezogen worden ist, so gibt dieser Umstand Anlaß hervorzuheben, wohin es führt und noch weiter führen wird, wenn an Stelle der Änderung des dein lebenden Volksrechtsbewußtsein nicht entsprechenden Juristenrechtes el» überlieferter Weg geordneter Selbsthilfe mit indirekten, moralischem oder direktem, gesetzlichem Zwange beseitigt ist oder wird. Denn daran, daß das deutsche Juristen¬ recht die Ehre des Staatsbürgers und ins¬ besondere der Familie als ein Rechtsgut niedrigster Art im Strafrecht, und über¬ haupt kaun: als RechtSgut im Zivilrecht be¬ handelt, dürfte kein Zweifel vorhanden sein. Die strafrechtliche Sühne ist in vielen, auch den schwersten Fällen der Ehr¬ verletzung, so im Falle des Ehebruches, ohne Ehescheidung dem Gesetz nicht bekannt. In den infolge der Strafantragsvoraussetzungen stark beschränkten Fälle» der Beleidigung ist die Sühne nur mit dem Rechte des Be¬ leidigers zu erkaufen, Tatsachen des internen Privatlebens vor aller Öffentlichkeit zu er¬ weisen. Zudem ist die Sühne selbst in der Freiheit und vor alle»: i» der Geldstrafe nach dem Gesetze und noch mehr in der Rechtsprechung auf niedrigster Stufe gehalten. Im Zivilrecht vollends ist das Rechtsgut der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/52>, abgerufen am 13.11.2024.