Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Realschulen, die als segensreiche Einrichtung Literatur Alternde Dramatiker. Als Frank Wede¬ Aber dieses Desperadotum gerade, die Daß Wedekind die "Franziska" schrieb, mal daneben hauen. Den "Simson" durfte Sexualität und brutale Muskelkrast sind Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Realschulen, die als segensreiche Einrichtung Literatur Alternde Dramatiker. Als Frank Wede¬ Aber dieses Desperadotum gerade, die Daß Wedekind die „Franziska" schrieb, mal daneben hauen. Den „Simson" durfte Sexualität und brutale Muskelkrast sind <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328589"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1971" prev="#ID_1970"> Realschulen, die als segensreiche Einrichtung<lb/> sür den Mittelstand gegründet, in dem Streben,<lb/> ihre Bollwertigkeit den anderen höheren<lb/> Schulen gegenüber zu beweisen, über sich<lb/> hinauswuchsen, so daß für die Erfüllung der<lb/> alten Realschulziele sich die Gründung von<lb/> Mittelschulen notwendig erwies.</p> <note type="byline"> Dr. I. «ZZuandt</note> </div> <div n="2"> <head> Literatur</head> <p xml:id="ID_1972"> Alternde Dramatiker. Als Frank Wede¬<lb/> kind (wie lange ist das eigentlich her? doch<lb/> höchstens ein Paar Jahre I) durch Deutschland<lb/> zog und sich mit Fug und Recht über seine<lb/> unentwegter, Prinzipiellen Gegner beklagte,<lb/> fand er Verteidiger mehr als Feinde. Daß<lb/> man damals in seinen Vorträgen die sanfte<lb/> Klage des unschuldig Verfolgten deutlicher<lb/> vernehmen konnte als das Signal zum An¬<lb/> griff, daß er der sentimentalen Koketterie mit<lb/> seinem vermeintlichen Kleistschicksal näher<lb/> war als der herausfordernden, meinetwegen<lb/> frechen Geste des Kämpfers und Stürmers,<lb/> das alles hat schon damals bei seinen Freun¬<lb/> den Kopfschütteln erregt; bei denen am meisten,<lb/> die in ihm nichr sahen als eine interessante,<lb/> vorübergehende Erscheinung. Es kam von<lb/> Werken, die niemals, auch von Preußischen<lb/> Hoftheatern nicht, hätten übersehen werden<lb/> dürfen. Das ehrliche Fechten um Kopf und<lb/> Kragen, die Hatz auf Tod und Leben vor der<lb/> Meute aller großen und kleinen Hunde —,<lb/> das alles, was ihn heraushob über litera¬<lb/> risches Parvenutum, über die fette, villen¬<lb/> besitzende Behaglichkeit der Beteranen von<lb/> 1889, das fand und findet mit Fug und<lb/> Recht die besten Verteidiger, über die Deutsch¬<lb/> land verfügt.</p> <p xml:id="ID_1973"> Aber dieses Desperadotum gerade, die<lb/> Kraft, die hinter einem so verzweifelten<lb/> Ringen um den Erfolg steckt, die suche ich seit<lb/> der „Franziska" vergeblich. Heute ist er ge¬<lb/> borgen, ist er hoffähig. Und würde er sich<lb/> heute noch einen gewaltsam Unterdrückten<lb/> nennen, er dürfte auf einiges Hohngelächter<lb/> rechnen. Ist nun wirklich mit dem Erfolg<lb/> das Alter gekommen?</p> <p xml:id="ID_1974" next="#ID_1975"> Daß Wedekind die „Franziska" schrieb,<lb/> war beklagenswert. Immerhin, wer das<lb/> hinter sich hatte, was er, durfte geirost ein¬</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1975" prev="#ID_1974"> mal daneben hauen. Den „Simson" durfte<lb/> er nicht schreiben. Nicht weil es innerhalb<lb/> zweier Jahre der zweite Fehlschuß ist, sondern<lb/> weil dieses dramatische Gedicht in drei Akten<lb/> das Schlimme, das die „Franziska" nur<lb/> ahnen ließ, deutlicher zeigt, die Zeichen be¬<lb/> ginnenden Alterns.</p> <p xml:id="ID_1976" next="#ID_1977"> Sexualität und brutale Muskelkrast sind<lb/> die Triebfedern des Werkes. Kein Ver¬<lb/> nünftiger wird das dem Dichter verbieten.<lb/> Wer es aber unternimmt, diese gewaltigen<lb/> Triebfedern des Menschenlebens zu zeigen,<lb/> soll sich klar sein, daß er ein für allemal der<lb/> Lüsternheit geziehen wird, wenn er nicht Ur-<lb/> kräfte in Bewegung setzen kann, sondern mit<lb/> schwacher Hand nur zweideutigen Halbheiten<lb/> zu reichen vermag. Das Epos, im Richter¬<lb/> buch der Bibel, erzählt höchst schlicht von<lb/> Simsons unbändiger Kraft, daß er am Bache<lb/> Zorek ein Weib lieb gewann, die Delila hieß,<lb/> und die ihm das Geheimnis seiner Kraft<lb/> entlockte: „Wie kannst du sagen, du habest<lb/> mich lieb, so dein Herz doch nicht mit mir<lb/> ist? Dreimal hast du mich getäuscht und<lb/> mir nicht gesagt, worin deine große Kraft<lb/> sei." Damit ist alles gesagt. Wer weit genug<lb/> sieht, wird alles darin finden; nicht nur die<lb/> tatsächlichen Voraussetzungen für die weiteren<lb/> Begebenheiten der Sage, sondern auch ihre<lb/> ganze symbolische Psychologie. Wedekind hat<lb/> sich nicht auf die einfachen Quadern des Epos<lb/> beschränkt, durfte es als Dramatiker auch<lb/> kaum. Nicht nur, daß er eingehender er¬<lb/> zählt. Er wollte etwas anderes. Er wollie<lb/> einen Urmenschen Simson. Ein erotisches<lb/> Ungeheuer, einen liebensweri-brutalenMuskel¬<lb/> menschen, der Welt und Weib sich Untertan<lb/> macht, niemand weiß wie. Und welch ein<lb/> Simson gelang ihm? Nur das Mitglied<lb/> eines Männerturnvereins, Abteilung für<lb/> Schwerathletik, dem die Gunst der Bierhebe<lb/> schneller zufliegt als den übrigen Stamm¬<lb/> gästen. Daß er hier, wo Urkräfte schwingen<lb/> mußten, kleine Feuerwerke abbrennt, daß ich<lb/> diesem Simson allenfalls einen Willen zur<lb/> Erotik, nicht die Erotik selbst glaube, das<lb/> verstimmt mich. Die war auch in dieser<lb/> Luft aus dem Hinterzimmer einer Bierkneipe,<lb/> die den ersten Akt erfüllt, nicht zu schaffen.<lb/> Auch nicht damit, daß Delila vor aller Augen<lb/> in Simsons Armen liegt. Auch nicht damit,</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0489]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Realschulen, die als segensreiche Einrichtung
sür den Mittelstand gegründet, in dem Streben,
ihre Bollwertigkeit den anderen höheren
Schulen gegenüber zu beweisen, über sich
hinauswuchsen, so daß für die Erfüllung der
alten Realschulziele sich die Gründung von
Mittelschulen notwendig erwies.
Dr. I. «ZZuandt Literatur Alternde Dramatiker. Als Frank Wede¬
kind (wie lange ist das eigentlich her? doch
höchstens ein Paar Jahre I) durch Deutschland
zog und sich mit Fug und Recht über seine
unentwegter, Prinzipiellen Gegner beklagte,
fand er Verteidiger mehr als Feinde. Daß
man damals in seinen Vorträgen die sanfte
Klage des unschuldig Verfolgten deutlicher
vernehmen konnte als das Signal zum An¬
griff, daß er der sentimentalen Koketterie mit
seinem vermeintlichen Kleistschicksal näher
war als der herausfordernden, meinetwegen
frechen Geste des Kämpfers und Stürmers,
das alles hat schon damals bei seinen Freun¬
den Kopfschütteln erregt; bei denen am meisten,
die in ihm nichr sahen als eine interessante,
vorübergehende Erscheinung. Es kam von
Werken, die niemals, auch von Preußischen
Hoftheatern nicht, hätten übersehen werden
dürfen. Das ehrliche Fechten um Kopf und
Kragen, die Hatz auf Tod und Leben vor der
Meute aller großen und kleinen Hunde —,
das alles, was ihn heraushob über litera¬
risches Parvenutum, über die fette, villen¬
besitzende Behaglichkeit der Beteranen von
1889, das fand und findet mit Fug und
Recht die besten Verteidiger, über die Deutsch¬
land verfügt.
Aber dieses Desperadotum gerade, die
Kraft, die hinter einem so verzweifelten
Ringen um den Erfolg steckt, die suche ich seit
der „Franziska" vergeblich. Heute ist er ge¬
borgen, ist er hoffähig. Und würde er sich
heute noch einen gewaltsam Unterdrückten
nennen, er dürfte auf einiges Hohngelächter
rechnen. Ist nun wirklich mit dem Erfolg
das Alter gekommen?
Daß Wedekind die „Franziska" schrieb,
war beklagenswert. Immerhin, wer das
hinter sich hatte, was er, durfte geirost ein¬
mal daneben hauen. Den „Simson" durfte
er nicht schreiben. Nicht weil es innerhalb
zweier Jahre der zweite Fehlschuß ist, sondern
weil dieses dramatische Gedicht in drei Akten
das Schlimme, das die „Franziska" nur
ahnen ließ, deutlicher zeigt, die Zeichen be¬
ginnenden Alterns.
Sexualität und brutale Muskelkrast sind
die Triebfedern des Werkes. Kein Ver¬
nünftiger wird das dem Dichter verbieten.
Wer es aber unternimmt, diese gewaltigen
Triebfedern des Menschenlebens zu zeigen,
soll sich klar sein, daß er ein für allemal der
Lüsternheit geziehen wird, wenn er nicht Ur-
kräfte in Bewegung setzen kann, sondern mit
schwacher Hand nur zweideutigen Halbheiten
zu reichen vermag. Das Epos, im Richter¬
buch der Bibel, erzählt höchst schlicht von
Simsons unbändiger Kraft, daß er am Bache
Zorek ein Weib lieb gewann, die Delila hieß,
und die ihm das Geheimnis seiner Kraft
entlockte: „Wie kannst du sagen, du habest
mich lieb, so dein Herz doch nicht mit mir
ist? Dreimal hast du mich getäuscht und
mir nicht gesagt, worin deine große Kraft
sei." Damit ist alles gesagt. Wer weit genug
sieht, wird alles darin finden; nicht nur die
tatsächlichen Voraussetzungen für die weiteren
Begebenheiten der Sage, sondern auch ihre
ganze symbolische Psychologie. Wedekind hat
sich nicht auf die einfachen Quadern des Epos
beschränkt, durfte es als Dramatiker auch
kaum. Nicht nur, daß er eingehender er¬
zählt. Er wollte etwas anderes. Er wollie
einen Urmenschen Simson. Ein erotisches
Ungeheuer, einen liebensweri-brutalenMuskel¬
menschen, der Welt und Weib sich Untertan
macht, niemand weiß wie. Und welch ein
Simson gelang ihm? Nur das Mitglied
eines Männerturnvereins, Abteilung für
Schwerathletik, dem die Gunst der Bierhebe
schneller zufliegt als den übrigen Stamm¬
gästen. Daß er hier, wo Urkräfte schwingen
mußten, kleine Feuerwerke abbrennt, daß ich
diesem Simson allenfalls einen Willen zur
Erotik, nicht die Erotik selbst glaube, das
verstimmt mich. Die war auch in dieser
Luft aus dem Hinterzimmer einer Bierkneipe,
die den ersten Akt erfüllt, nicht zu schaffen.
Auch nicht damit, daß Delila vor aller Augen
in Simsons Armen liegt. Auch nicht damit,
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