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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die ZVeude des deutsche" Naturalismus

"Die edle Frau sollte mit ihrem Schützling davon gehen, solange es hier
so einsam ist!" sagte sie.

Frau von Bremer erwiderte nicht viel. Sie richtete die steif gewordene
Gestalt Grills auf, gab ihr den Eimer mit Fischen in die Hand und ging mit
kurzem Dankeswort davon. Einen Augenblick wunderte sich Heilwig, daß ihre
Tat nicht einmal ein Lob erhielt, aber dann ging sie wieder in ihre kleine
Hütte. Sie wußte kaum, ob sie recht getan hatte; aber sie empfand es an¬
genehm, daß dort hinten im Troß keine verdurstende Frau lag und allen
Menschen fluchte.

(Fortsetzung folgt)




Die Wende des deutschen Naturalismus
Dr. Fritz Reck - Malleczewen vonI. Idee und Stoff

em Werdenden gilt unser Streben und aufmerksamer richtet sich
der Blick auf das, was kommen will, als auf jenes ewig Gestrige,
das sich vermißt, in Konventtonen und Satzungen unendliche
Möglichkeiten der Menschheit einmal für immer festzuhalten. Wir
neigen uns in Ehrfurcht vor allem Großen, was gewesene Epochen
uns überliefert haben, aber nicht aus ihnen gewinnen wir uns Richtschnur und
Normen des Daseins; denn nicht, wer den Anschauungen einer versunkenen
Welt sich zu eigen gibt -- nur wer die Forderungen der gegenwärtigen Stunde
im Inneren frei empfindet, wird die bewegenden Mächte der Zeit durchdringen
als ein moderner Mensch." Das schrieb -- erst ein knappes Vierteljahrhundert
ist es her -- einer, der sein Leben lang bis zu seinem Tode dem skan¬
dinavischen, französischen und deutschen Naturalismus der treueste Vorkämpfer
war: Otto Brahm, als Geleit der neuen Zeitschrift, die man damals "Freie
Bühne für modernes Leben" nannte. Und wieder fühlt man, wie Ideen
wechseln, wie aus dem Dunkeln immer neu und scheinbar anders sich das
Fühlen der Welt gebärt. . .

Erst vierundzwanzig Jahre sind es her, und im fünfundzwanzigsten fühlen
wir, Kinder einer neuen Generation, die das neunzehnte Jahrhundert doch
eigentlich nur vom Hörensagen kennt, daß die Ideen, für die damals dieser
Feine, Kluge mit ganzem Fühlen und der Arbeit eines konsequenten Lebens in
den Kampf zog, nach Verjüngung verlangen, fühlen heute wohl auch mit den
naturwissenschaftlich geschärften Sinnen, daß sie damals nicht einmal recht neu
waren. Wer Augen hat zu sehen, sieht den vollendeten Naturalismus schon


Die ZVeude des deutsche» Naturalismus

„Die edle Frau sollte mit ihrem Schützling davon gehen, solange es hier
so einsam ist!" sagte sie.

Frau von Bremer erwiderte nicht viel. Sie richtete die steif gewordene
Gestalt Grills auf, gab ihr den Eimer mit Fischen in die Hand und ging mit
kurzem Dankeswort davon. Einen Augenblick wunderte sich Heilwig, daß ihre
Tat nicht einmal ein Lob erhielt, aber dann ging sie wieder in ihre kleine
Hütte. Sie wußte kaum, ob sie recht getan hatte; aber sie empfand es an¬
genehm, daß dort hinten im Troß keine verdurstende Frau lag und allen
Menschen fluchte.

(Fortsetzung folgt)




Die Wende des deutschen Naturalismus
Dr. Fritz Reck - Malleczewen vonI. Idee und Stoff

em Werdenden gilt unser Streben und aufmerksamer richtet sich
der Blick auf das, was kommen will, als auf jenes ewig Gestrige,
das sich vermißt, in Konventtonen und Satzungen unendliche
Möglichkeiten der Menschheit einmal für immer festzuhalten. Wir
neigen uns in Ehrfurcht vor allem Großen, was gewesene Epochen
uns überliefert haben, aber nicht aus ihnen gewinnen wir uns Richtschnur und
Normen des Daseins; denn nicht, wer den Anschauungen einer versunkenen
Welt sich zu eigen gibt — nur wer die Forderungen der gegenwärtigen Stunde
im Inneren frei empfindet, wird die bewegenden Mächte der Zeit durchdringen
als ein moderner Mensch." Das schrieb — erst ein knappes Vierteljahrhundert
ist es her — einer, der sein Leben lang bis zu seinem Tode dem skan¬
dinavischen, französischen und deutschen Naturalismus der treueste Vorkämpfer
war: Otto Brahm, als Geleit der neuen Zeitschrift, die man damals „Freie
Bühne für modernes Leben" nannte. Und wieder fühlt man, wie Ideen
wechseln, wie aus dem Dunkeln immer neu und scheinbar anders sich das
Fühlen der Welt gebärt. . .

Erst vierundzwanzig Jahre sind es her, und im fünfundzwanzigsten fühlen
wir, Kinder einer neuen Generation, die das neunzehnte Jahrhundert doch
eigentlich nur vom Hörensagen kennt, daß die Ideen, für die damals dieser
Feine, Kluge mit ganzem Fühlen und der Arbeit eines konsequenten Lebens in
den Kampf zog, nach Verjüngung verlangen, fühlen heute wohl auch mit den
naturwissenschaftlich geschärften Sinnen, daß sie damals nicht einmal recht neu
waren. Wer Augen hat zu sehen, sieht den vollendeten Naturalismus schon


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[0475] Die ZVeude des deutsche» Naturalismus „Die edle Frau sollte mit ihrem Schützling davon gehen, solange es hier so einsam ist!" sagte sie. Frau von Bremer erwiderte nicht viel. Sie richtete die steif gewordene Gestalt Grills auf, gab ihr den Eimer mit Fischen in die Hand und ging mit kurzem Dankeswort davon. Einen Augenblick wunderte sich Heilwig, daß ihre Tat nicht einmal ein Lob erhielt, aber dann ging sie wieder in ihre kleine Hütte. Sie wußte kaum, ob sie recht getan hatte; aber sie empfand es an¬ genehm, daß dort hinten im Troß keine verdurstende Frau lag und allen Menschen fluchte. (Fortsetzung folgt) Die Wende des deutschen Naturalismus Dr. Fritz Reck - Malleczewen vonI. Idee und Stoff em Werdenden gilt unser Streben und aufmerksamer richtet sich der Blick auf das, was kommen will, als auf jenes ewig Gestrige, das sich vermißt, in Konventtonen und Satzungen unendliche Möglichkeiten der Menschheit einmal für immer festzuhalten. Wir neigen uns in Ehrfurcht vor allem Großen, was gewesene Epochen uns überliefert haben, aber nicht aus ihnen gewinnen wir uns Richtschnur und Normen des Daseins; denn nicht, wer den Anschauungen einer versunkenen Welt sich zu eigen gibt — nur wer die Forderungen der gegenwärtigen Stunde im Inneren frei empfindet, wird die bewegenden Mächte der Zeit durchdringen als ein moderner Mensch." Das schrieb — erst ein knappes Vierteljahrhundert ist es her — einer, der sein Leben lang bis zu seinem Tode dem skan¬ dinavischen, französischen und deutschen Naturalismus der treueste Vorkämpfer war: Otto Brahm, als Geleit der neuen Zeitschrift, die man damals „Freie Bühne für modernes Leben" nannte. Und wieder fühlt man, wie Ideen wechseln, wie aus dem Dunkeln immer neu und scheinbar anders sich das Fühlen der Welt gebärt. . . Erst vierundzwanzig Jahre sind es her, und im fünfundzwanzigsten fühlen wir, Kinder einer neuen Generation, die das neunzehnte Jahrhundert doch eigentlich nur vom Hörensagen kennt, daß die Ideen, für die damals dieser Feine, Kluge mit ganzem Fühlen und der Arbeit eines konsequenten Lebens in den Kampf zog, nach Verjüngung verlangen, fühlen heute wohl auch mit den naturwissenschaftlich geschärften Sinnen, daß sie damals nicht einmal recht neu waren. Wer Augen hat zu sehen, sieht den vollendeten Naturalismus schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/475>, abgerufen am 28.12.2024.