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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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England im Mittelmeer

le englische Mittelmeerpolitik begann lange bevor das Mittelmeer
eine Straße nach Indien und dem fernen Osten bildete, und sie
beschränkte sich eine lange Periode hindurch ganz wesentlich auf
die westliche Hälfte des Meeres. Im sechzehnten Jahrhundert
war der einzige Grund, der die Engländer ins Mittelmeer führte,
der Handel mit der Levante, zumal mit Saoma. Im Laufe des siebzehnten
Jahrhunderts fuhr die englische Kriegsflotte einige Male durch die Straße von
Gibraltar; aber ein bestimmter Plan, der das Mittelmeer zu einem strategischen
Schauplatz im Dienste der europäischen Politik Englands machte, entstand erst
im spanischen Erbfolgekriege. Der Schöpfer dieser Politik war Wilhelm der
Dritte. Die Idee war, Frankreich zur See in den Rücken zu kommen, die
französische Flotte in Toulon festzuhalten oder zu schlagen und die militärischen
Operationen auf den spanischen und italienischen Kriegsschauplätzen zu beein¬
flussen. In der Politik und in den Kriegen jener Periode, und desgleichen zur
Zeit Napoleons des Ersten spielten die verschiedenen Staaten Italiens eine
bedeutende, wenn auch sehr passive Rolle in den Kämpfen der großen Mächte.
Die politische Zerstückelung Italiens machte das Land immer von neuem zum
Kriegsschauplatze, und eben deshalb behauptete England seine maritime Stellung
im Mittelmeer, nachdem es einmal die großen strategischen Möglichkeiten dieser
Stellung klar erkannt hatte. Aus rein strategischen Gründen erfolgte 1704 die
Eroberung Gibraltars; denn sie bot die Möglichkeit, die französische und die
spanische Flotte zu teilen, und die Verbindung zwischen Brest und Toulon, und
zwischen Cadiz und Cartagena zu unterbrechen.

In den Kämpfen gegen Ludwig den Vierzehnten, Ludwig den Fünfzehnten
und Napoleon den Ersten nahmen die Engländer Minorca, Porto Ferrajo.
Malta, Ägypten und Sizilien ein. Aber diese Besetzungen dienten nicht
dauernden politischen Zwecken, und mit Ausnahme Gibraltars und Maltas
dienten sie auch nicht dauernden militärischen Zwecken. Nachdem der militärische
Zweck in dem Friedensschluß erreicht war, wurde die Besetzung der Gebiete wieder
aufgegeben. Im Pariser Frieden behielt England nur Gibraltar und Malta, das
1800 eingenommen war, und die Ionischen Inseln. Diese, ein Überrest alter
venezianischer Herrlichkeit, mochte England keinem großen Mittelmeerstaat über-




England im Mittelmeer

le englische Mittelmeerpolitik begann lange bevor das Mittelmeer
eine Straße nach Indien und dem fernen Osten bildete, und sie
beschränkte sich eine lange Periode hindurch ganz wesentlich auf
die westliche Hälfte des Meeres. Im sechzehnten Jahrhundert
war der einzige Grund, der die Engländer ins Mittelmeer führte,
der Handel mit der Levante, zumal mit Saoma. Im Laufe des siebzehnten
Jahrhunderts fuhr die englische Kriegsflotte einige Male durch die Straße von
Gibraltar; aber ein bestimmter Plan, der das Mittelmeer zu einem strategischen
Schauplatz im Dienste der europäischen Politik Englands machte, entstand erst
im spanischen Erbfolgekriege. Der Schöpfer dieser Politik war Wilhelm der
Dritte. Die Idee war, Frankreich zur See in den Rücken zu kommen, die
französische Flotte in Toulon festzuhalten oder zu schlagen und die militärischen
Operationen auf den spanischen und italienischen Kriegsschauplätzen zu beein¬
flussen. In der Politik und in den Kriegen jener Periode, und desgleichen zur
Zeit Napoleons des Ersten spielten die verschiedenen Staaten Italiens eine
bedeutende, wenn auch sehr passive Rolle in den Kämpfen der großen Mächte.
Die politische Zerstückelung Italiens machte das Land immer von neuem zum
Kriegsschauplatze, und eben deshalb behauptete England seine maritime Stellung
im Mittelmeer, nachdem es einmal die großen strategischen Möglichkeiten dieser
Stellung klar erkannt hatte. Aus rein strategischen Gründen erfolgte 1704 die
Eroberung Gibraltars; denn sie bot die Möglichkeit, die französische und die
spanische Flotte zu teilen, und die Verbindung zwischen Brest und Toulon, und
zwischen Cadiz und Cartagena zu unterbrechen.

In den Kämpfen gegen Ludwig den Vierzehnten, Ludwig den Fünfzehnten
und Napoleon den Ersten nahmen die Engländer Minorca, Porto Ferrajo.
Malta, Ägypten und Sizilien ein. Aber diese Besetzungen dienten nicht
dauernden politischen Zwecken, und mit Ausnahme Gibraltars und Maltas
dienten sie auch nicht dauernden militärischen Zwecken. Nachdem der militärische
Zweck in dem Friedensschluß erreicht war, wurde die Besetzung der Gebiete wieder
aufgegeben. Im Pariser Frieden behielt England nur Gibraltar und Malta, das
1800 eingenommen war, und die Ionischen Inseln. Diese, ein Überrest alter
venezianischer Herrlichkeit, mochte England keinem großen Mittelmeerstaat über-


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[0277] [Abbildung] England im Mittelmeer le englische Mittelmeerpolitik begann lange bevor das Mittelmeer eine Straße nach Indien und dem fernen Osten bildete, und sie beschränkte sich eine lange Periode hindurch ganz wesentlich auf die westliche Hälfte des Meeres. Im sechzehnten Jahrhundert war der einzige Grund, der die Engländer ins Mittelmeer führte, der Handel mit der Levante, zumal mit Saoma. Im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts fuhr die englische Kriegsflotte einige Male durch die Straße von Gibraltar; aber ein bestimmter Plan, der das Mittelmeer zu einem strategischen Schauplatz im Dienste der europäischen Politik Englands machte, entstand erst im spanischen Erbfolgekriege. Der Schöpfer dieser Politik war Wilhelm der Dritte. Die Idee war, Frankreich zur See in den Rücken zu kommen, die französische Flotte in Toulon festzuhalten oder zu schlagen und die militärischen Operationen auf den spanischen und italienischen Kriegsschauplätzen zu beein¬ flussen. In der Politik und in den Kriegen jener Periode, und desgleichen zur Zeit Napoleons des Ersten spielten die verschiedenen Staaten Italiens eine bedeutende, wenn auch sehr passive Rolle in den Kämpfen der großen Mächte. Die politische Zerstückelung Italiens machte das Land immer von neuem zum Kriegsschauplatze, und eben deshalb behauptete England seine maritime Stellung im Mittelmeer, nachdem es einmal die großen strategischen Möglichkeiten dieser Stellung klar erkannt hatte. Aus rein strategischen Gründen erfolgte 1704 die Eroberung Gibraltars; denn sie bot die Möglichkeit, die französische und die spanische Flotte zu teilen, und die Verbindung zwischen Brest und Toulon, und zwischen Cadiz und Cartagena zu unterbrechen. In den Kämpfen gegen Ludwig den Vierzehnten, Ludwig den Fünfzehnten und Napoleon den Ersten nahmen die Engländer Minorca, Porto Ferrajo. Malta, Ägypten und Sizilien ein. Aber diese Besetzungen dienten nicht dauernden politischen Zwecken, und mit Ausnahme Gibraltars und Maltas dienten sie auch nicht dauernden militärischen Zwecken. Nachdem der militärische Zweck in dem Friedensschluß erreicht war, wurde die Besetzung der Gebiete wieder aufgegeben. Im Pariser Frieden behielt England nur Gibraltar und Malta, das 1800 eingenommen war, und die Ionischen Inseln. Diese, ein Überrest alter venezianischer Herrlichkeit, mochte England keinem großen Mittelmeerstaat über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/277>, abgerufen am 28.12.2024.