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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Ist Tierpsychologie möglich?
Hans Sveistrnp i von n

eit der Hund als wohl ältestes Haustier mit dem Menschen
Lebensgemeinschaft führt, scheiden sich an ihrer Stellung zum Tiere
die Menschen in zwei Gruppen, je nachdem sie dem Tiere see¬
lisches Leben zuerkennen oder nicht. Und zwar, so kann man
wohl sagen, fördert der praktische Umgang mit Tieren im all¬
gemeinen die Bejahung der Frage, während theoretische Spekulationen häufig
die Quelle ihrer Verneinung sind. Vor allem scheinen die mit religiösen Vor¬
stellungen verknüpften Fragen der Unsterblichkeit der Seele und der Würde des
Menschen das stärkste Motiv zur Ablehnung seelischen Erlebens bei Tieren zu
allen Zeiten gewesen zu sein. Je volkstümlicher das Denken, um so mehr
Glaube an die Tierseele; Bauern, Fuhrleute, Jäger, Tierbändiger und boden¬
ständige Dichter huldigen ihm. Die Gelehrsamkeit der Studierstube aber hat
tausend Gründe aufgespürt, ihn als Aberglauben zu brandmarken.

Die neueste Zeit, die durch Kants Belehrung vorsichtiger geworden ist
mit Aussagen über die Existenz von Dingen und Eigenschaften, hat dem alten
Zwist eine moderne Formulierung gegeben, indem sie nun fragt: "Ist Tier¬
psychologie möglich oder nicht? Möglich als exakte Wissenschaft? Wie Kant
die Frage nach dem Wesen des Seins verwandelte in die nach dem Wesen
unserer Erkenntnis, so ist aus der Frage nach der Seele des Tieres in den
ernster interessierten Kreisen die nach der Möglichkeit der Tierpsychologie und
ihrem Wesen geworden und damit das ganze Problem von der Theorie der
Wissenschaft selber abhängig gemacht. Aber wiederum dieselbe Erscheinung wie
früher: die Tierliebhaber, wie von Osten und Kräik, glauben die Möglichkeit
der Tierpsychologie nicht nur bejahen zu können, sondern auch durch das Faktum
einer solchen Wissenschaft erwiesen; gelehrte Psychologen aber, wie Pfungst,
halten alle psychologischen Annahmen bei Tieren zum mindesten solange sür
unzulässig, als man mit arideren Erklärungen, etwa physiologischen auskomme;




Ist Tierpsychologie möglich?
Hans Sveistrnp i von n

eit der Hund als wohl ältestes Haustier mit dem Menschen
Lebensgemeinschaft führt, scheiden sich an ihrer Stellung zum Tiere
die Menschen in zwei Gruppen, je nachdem sie dem Tiere see¬
lisches Leben zuerkennen oder nicht. Und zwar, so kann man
wohl sagen, fördert der praktische Umgang mit Tieren im all¬
gemeinen die Bejahung der Frage, während theoretische Spekulationen häufig
die Quelle ihrer Verneinung sind. Vor allem scheinen die mit religiösen Vor¬
stellungen verknüpften Fragen der Unsterblichkeit der Seele und der Würde des
Menschen das stärkste Motiv zur Ablehnung seelischen Erlebens bei Tieren zu
allen Zeiten gewesen zu sein. Je volkstümlicher das Denken, um so mehr
Glaube an die Tierseele; Bauern, Fuhrleute, Jäger, Tierbändiger und boden¬
ständige Dichter huldigen ihm. Die Gelehrsamkeit der Studierstube aber hat
tausend Gründe aufgespürt, ihn als Aberglauben zu brandmarken.

Die neueste Zeit, die durch Kants Belehrung vorsichtiger geworden ist
mit Aussagen über die Existenz von Dingen und Eigenschaften, hat dem alten
Zwist eine moderne Formulierung gegeben, indem sie nun fragt: „Ist Tier¬
psychologie möglich oder nicht? Möglich als exakte Wissenschaft? Wie Kant
die Frage nach dem Wesen des Seins verwandelte in die nach dem Wesen
unserer Erkenntnis, so ist aus der Frage nach der Seele des Tieres in den
ernster interessierten Kreisen die nach der Möglichkeit der Tierpsychologie und
ihrem Wesen geworden und damit das ganze Problem von der Theorie der
Wissenschaft selber abhängig gemacht. Aber wiederum dieselbe Erscheinung wie
früher: die Tierliebhaber, wie von Osten und Kräik, glauben die Möglichkeit
der Tierpsychologie nicht nur bejahen zu können, sondern auch durch das Faktum
einer solchen Wissenschaft erwiesen; gelehrte Psychologen aber, wie Pfungst,
halten alle psychologischen Annahmen bei Tieren zum mindesten solange sür
unzulässig, als man mit arideren Erklärungen, etwa physiologischen auskomme;


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[0472] [Abbildung] Ist Tierpsychologie möglich? Hans Sveistrnp i von n eit der Hund als wohl ältestes Haustier mit dem Menschen Lebensgemeinschaft führt, scheiden sich an ihrer Stellung zum Tiere die Menschen in zwei Gruppen, je nachdem sie dem Tiere see¬ lisches Leben zuerkennen oder nicht. Und zwar, so kann man wohl sagen, fördert der praktische Umgang mit Tieren im all¬ gemeinen die Bejahung der Frage, während theoretische Spekulationen häufig die Quelle ihrer Verneinung sind. Vor allem scheinen die mit religiösen Vor¬ stellungen verknüpften Fragen der Unsterblichkeit der Seele und der Würde des Menschen das stärkste Motiv zur Ablehnung seelischen Erlebens bei Tieren zu allen Zeiten gewesen zu sein. Je volkstümlicher das Denken, um so mehr Glaube an die Tierseele; Bauern, Fuhrleute, Jäger, Tierbändiger und boden¬ ständige Dichter huldigen ihm. Die Gelehrsamkeit der Studierstube aber hat tausend Gründe aufgespürt, ihn als Aberglauben zu brandmarken. Die neueste Zeit, die durch Kants Belehrung vorsichtiger geworden ist mit Aussagen über die Existenz von Dingen und Eigenschaften, hat dem alten Zwist eine moderne Formulierung gegeben, indem sie nun fragt: „Ist Tier¬ psychologie möglich oder nicht? Möglich als exakte Wissenschaft? Wie Kant die Frage nach dem Wesen des Seins verwandelte in die nach dem Wesen unserer Erkenntnis, so ist aus der Frage nach der Seele des Tieres in den ernster interessierten Kreisen die nach der Möglichkeit der Tierpsychologie und ihrem Wesen geworden und damit das ganze Problem von der Theorie der Wissenschaft selber abhängig gemacht. Aber wiederum dieselbe Erscheinung wie früher: die Tierliebhaber, wie von Osten und Kräik, glauben die Möglichkeit der Tierpsychologie nicht nur bejahen zu können, sondern auch durch das Faktum einer solchen Wissenschaft erwiesen; gelehrte Psychologen aber, wie Pfungst, halten alle psychologischen Annahmen bei Tieren zum mindesten solange sür unzulässig, als man mit arideren Erklärungen, etwa physiologischen auskomme;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/472>, abgerufen am 26.12.2024.