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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

In dieser Darstellung von Enkings reichem Schaffen ist entschieden das zu
kurz gekommen, was seiner "Familie P. C. Behm" zu ihren zehn Auflagen ver-
holfen hat: der plattdeutsche Humor -- seine Personen sprechen auch oft platt --,
die gemütvolle Liebe zum Alltäglichen, zu kurz gekommen ist auch seine herz¬
erquickende Gabe der Darstellung des Feinen, Zarten und Lieblicher, die besonders
in der bezaubernd anmutigen Jünglingsschwärmerei des armen, schüchternem
Buchdruckerlehrlings Truges Brauner für die junge, schlanke, vornehme Darin
Bodie Samsoe hervortritt, endlich auch das historische Interesse, das seine aus
intimster Kenntnis (er ist Halbdame!) erwachsene Darstellung des deutsch-dänischen
Problems beanspruchen darf: so gibt er in "Wie Truges seine Mutter suchte"
eine prachtvolle Schilderung der Schlacht bei Eckernförde. Aber solche Vorzüge
haben auch andere Erzähler. Ganz Erling eigen scheint mir dagegen die un¬
erbittlich wahrhaftige und doch mit genialer Überlegenheit gestaltete Aufdeckung
der mannigfachen Härten des kleinbürgerlichen Daseins, die junges Leben nicht
zur Entfaltung kommen lassen. Er ist einer der besten Dichter der Tragik des
Alltags. Gerade durch seine tendenziöse Ruhe kann dieser ernste, aus heiligsten
Wahrheitsdrange schaffende Künstler ein Erzieher zur Humanität werden, das
Höchste, was dem Schriftsteller beschieden sein kann. Wirkliche Kleinstadtphilister
wird er freilich nicht bekehren -- felbst wenn sie ein Buch von ihm lesen sollten,
was kaum anzunehmen ist! -- wohl aber den Philister, der auch den besten
und scheinbar verständnisvollsten Eltern und Gatten im Blute steckt. Wenige
haben die sittlichen Probleme der Ehe und der Familie so aus der Tiefe gefaßt
wie Ottomar Erling*).




Zur Geschichte
der modernen Arbeiterbewegung im letzten Jahrzehnt
Heinrich God ring vonin
(Fortsetzung)

Die österreichische Arbeiterbewegung ist infolge der großen kulturellen und
wirtschaftlichen Verschiedenheiten der einzelnen Länder von jeher heftigen inneren
Kämpfen und Zerwürfnissen ausgesetzt gewesen. Seit den Anfängen der sech¬
ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bestanden schon eine größere Anzahl
Gewerkschaften und Fachvereine, welche aber infolge der Überhandnähme des
Anarchismus in ihren Reihen durch die Verhängung eines Ausnahmegesetzes
seitens der Regierung wieder aufgelöst wurden.



") Die Werke Enkmgs sind erschienen Vei:^ Bruno Cassirer, Berlin; Georg Müller,
München; C. Rechner, Dresden; Alfred scholl, Berlin.
Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

In dieser Darstellung von Enkings reichem Schaffen ist entschieden das zu
kurz gekommen, was seiner „Familie P. C. Behm" zu ihren zehn Auflagen ver-
holfen hat: der plattdeutsche Humor — seine Personen sprechen auch oft platt —,
die gemütvolle Liebe zum Alltäglichen, zu kurz gekommen ist auch seine herz¬
erquickende Gabe der Darstellung des Feinen, Zarten und Lieblicher, die besonders
in der bezaubernd anmutigen Jünglingsschwärmerei des armen, schüchternem
Buchdruckerlehrlings Truges Brauner für die junge, schlanke, vornehme Darin
Bodie Samsoe hervortritt, endlich auch das historische Interesse, das seine aus
intimster Kenntnis (er ist Halbdame!) erwachsene Darstellung des deutsch-dänischen
Problems beanspruchen darf: so gibt er in „Wie Truges seine Mutter suchte"
eine prachtvolle Schilderung der Schlacht bei Eckernförde. Aber solche Vorzüge
haben auch andere Erzähler. Ganz Erling eigen scheint mir dagegen die un¬
erbittlich wahrhaftige und doch mit genialer Überlegenheit gestaltete Aufdeckung
der mannigfachen Härten des kleinbürgerlichen Daseins, die junges Leben nicht
zur Entfaltung kommen lassen. Er ist einer der besten Dichter der Tragik des
Alltags. Gerade durch seine tendenziöse Ruhe kann dieser ernste, aus heiligsten
Wahrheitsdrange schaffende Künstler ein Erzieher zur Humanität werden, das
Höchste, was dem Schriftsteller beschieden sein kann. Wirkliche Kleinstadtphilister
wird er freilich nicht bekehren — felbst wenn sie ein Buch von ihm lesen sollten,
was kaum anzunehmen ist! — wohl aber den Philister, der auch den besten
und scheinbar verständnisvollsten Eltern und Gatten im Blute steckt. Wenige
haben die sittlichen Probleme der Ehe und der Familie so aus der Tiefe gefaßt
wie Ottomar Erling*).




Zur Geschichte
der modernen Arbeiterbewegung im letzten Jahrzehnt
Heinrich God ring vonin
(Fortsetzung)

Die österreichische Arbeiterbewegung ist infolge der großen kulturellen und
wirtschaftlichen Verschiedenheiten der einzelnen Länder von jeher heftigen inneren
Kämpfen und Zerwürfnissen ausgesetzt gewesen. Seit den Anfängen der sech¬
ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bestanden schon eine größere Anzahl
Gewerkschaften und Fachvereine, welche aber infolge der Überhandnähme des
Anarchismus in ihren Reihen durch die Verhängung eines Ausnahmegesetzes
seitens der Regierung wieder aufgelöst wurden.



") Die Werke Enkmgs sind erschienen Vei:^ Bruno Cassirer, Berlin; Georg Müller,
München; C. Rechner, Dresden; Alfred scholl, Berlin.
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[0033] Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung In dieser Darstellung von Enkings reichem Schaffen ist entschieden das zu kurz gekommen, was seiner „Familie P. C. Behm" zu ihren zehn Auflagen ver- holfen hat: der plattdeutsche Humor — seine Personen sprechen auch oft platt —, die gemütvolle Liebe zum Alltäglichen, zu kurz gekommen ist auch seine herz¬ erquickende Gabe der Darstellung des Feinen, Zarten und Lieblicher, die besonders in der bezaubernd anmutigen Jünglingsschwärmerei des armen, schüchternem Buchdruckerlehrlings Truges Brauner für die junge, schlanke, vornehme Darin Bodie Samsoe hervortritt, endlich auch das historische Interesse, das seine aus intimster Kenntnis (er ist Halbdame!) erwachsene Darstellung des deutsch-dänischen Problems beanspruchen darf: so gibt er in „Wie Truges seine Mutter suchte" eine prachtvolle Schilderung der Schlacht bei Eckernförde. Aber solche Vorzüge haben auch andere Erzähler. Ganz Erling eigen scheint mir dagegen die un¬ erbittlich wahrhaftige und doch mit genialer Überlegenheit gestaltete Aufdeckung der mannigfachen Härten des kleinbürgerlichen Daseins, die junges Leben nicht zur Entfaltung kommen lassen. Er ist einer der besten Dichter der Tragik des Alltags. Gerade durch seine tendenziöse Ruhe kann dieser ernste, aus heiligsten Wahrheitsdrange schaffende Künstler ein Erzieher zur Humanität werden, das Höchste, was dem Schriftsteller beschieden sein kann. Wirkliche Kleinstadtphilister wird er freilich nicht bekehren — felbst wenn sie ein Buch von ihm lesen sollten, was kaum anzunehmen ist! — wohl aber den Philister, der auch den besten und scheinbar verständnisvollsten Eltern und Gatten im Blute steckt. Wenige haben die sittlichen Probleme der Ehe und der Familie so aus der Tiefe gefaßt wie Ottomar Erling*). Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung im letzten Jahrzehnt Heinrich God ring vonin (Fortsetzung) Die österreichische Arbeiterbewegung ist infolge der großen kulturellen und wirtschaftlichen Verschiedenheiten der einzelnen Länder von jeher heftigen inneren Kämpfen und Zerwürfnissen ausgesetzt gewesen. Seit den Anfängen der sech¬ ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bestanden schon eine größere Anzahl Gewerkschaften und Fachvereine, welche aber infolge der Überhandnähme des Anarchismus in ihren Reihen durch die Verhängung eines Ausnahmegesetzes seitens der Regierung wieder aufgelöst wurden. ") Die Werke Enkmgs sind erschienen Vei:^ Bruno Cassirer, Berlin; Georg Müller, München; C. Rechner, Dresden; Alfred scholl, Berlin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/33>, abgerufen am 26.12.2024.