Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sturm

lungsprozesses zu kennzeichnen. Es ist interessant zu sehen, daß wo immer wir
versuchen, menschliche Kräfte Naturgesetzen entsprechend zu nützen, ein Moment
gegeben ist, das das Lebendige allezeit über die Maschine erhebt -- das Gefühl.
Wohl wissen wir heute, daß auch dieses seinen Gesetzen folgt, aber es ist das
tief innerliche Erlebnis, das über Wert und Unwert entscheidet, und wo
gewertet wird, beginnt das Menschentum. Gerade dort, wo wir den Menschen
in seiner psnchophysischen Eigenart dem Wirtschaftsprozeß mit seinen Notwendig¬
keiten einfügen, erhebt er sich am deutlichsten in seiner Einzigartigkeit: er schafft
nicht wie die Maschine, auch nicht wie das Tier, das gleich ihm Lust und
Schmerz erlebt. Er unterstellt sein Tun freiwillig einem objektiven Zweck und
aus der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung seiner Person mit ihrem
Tun und ihren Zwecken erblüht Menschenfreude und Menschenleib. Als höchste
Aufgabe der neuen wirtschaftspsychologischen Bestrebungen wird der Kampf gegen
den Mangel an Befriedigung, Entmutigung und seelische Verkümmerung gepriesen.
So leuchtet als Endziel die Freude, die unser Schiller einen Götterfunken nannte.




Hturm
Roman
Max Ludwig von (Neunte Fortsetzung)

Derselbe Sturm, der dem alten Maddis auf der Fahrt durch den Wald
den Mund geschlossen hatte, rüttelte auch an Sternburgs festem Dach.

Edda fand keinen Schlaf. sorgend begleiteten ihre Gedanken die Fahrt
des Mannes, den sie trotz ihrer großen Enttäuschung immer noch liebte.

Morgen in aller Frühe wird sie ihm ganz nahe sein, denkt sie, und will
doch nicht daran denken. Der Vater wird in Borküll anrufen, und sie wird
den zweiten Hörer nehmen und wird lauschen.

Wie wird seine Stimme klingen? Sie kann sie sich kaum noch vorstellen.
Wie mag er aussehen? Zug um Zug setzte sie sein Bild zusammen, wie sie
es in der Erinnerung trug, seit jenen Sommertagen -- es ist bald anderthalb
Jahre her -- als sie zu des Vaters Geburtstag unter den Buchen beim Theater¬
spiel zusammen ein Liebespaar gegeben hatten. "Meine kleine Frau!" hatte
er sie damals den Abend über genannt. Ach -- da war noch nicht jenes böse
Weib in sein Leben getreten, damals wäre er noch nicht imstande gewesen, um


Sturm

lungsprozesses zu kennzeichnen. Es ist interessant zu sehen, daß wo immer wir
versuchen, menschliche Kräfte Naturgesetzen entsprechend zu nützen, ein Moment
gegeben ist, das das Lebendige allezeit über die Maschine erhebt — das Gefühl.
Wohl wissen wir heute, daß auch dieses seinen Gesetzen folgt, aber es ist das
tief innerliche Erlebnis, das über Wert und Unwert entscheidet, und wo
gewertet wird, beginnt das Menschentum. Gerade dort, wo wir den Menschen
in seiner psnchophysischen Eigenart dem Wirtschaftsprozeß mit seinen Notwendig¬
keiten einfügen, erhebt er sich am deutlichsten in seiner Einzigartigkeit: er schafft
nicht wie die Maschine, auch nicht wie das Tier, das gleich ihm Lust und
Schmerz erlebt. Er unterstellt sein Tun freiwillig einem objektiven Zweck und
aus der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung seiner Person mit ihrem
Tun und ihren Zwecken erblüht Menschenfreude und Menschenleib. Als höchste
Aufgabe der neuen wirtschaftspsychologischen Bestrebungen wird der Kampf gegen
den Mangel an Befriedigung, Entmutigung und seelische Verkümmerung gepriesen.
So leuchtet als Endziel die Freude, die unser Schiller einen Götterfunken nannte.




Hturm
Roman
Max Ludwig von (Neunte Fortsetzung)

Derselbe Sturm, der dem alten Maddis auf der Fahrt durch den Wald
den Mund geschlossen hatte, rüttelte auch an Sternburgs festem Dach.

Edda fand keinen Schlaf. sorgend begleiteten ihre Gedanken die Fahrt
des Mannes, den sie trotz ihrer großen Enttäuschung immer noch liebte.

Morgen in aller Frühe wird sie ihm ganz nahe sein, denkt sie, und will
doch nicht daran denken. Der Vater wird in Borküll anrufen, und sie wird
den zweiten Hörer nehmen und wird lauschen.

Wie wird seine Stimme klingen? Sie kann sie sich kaum noch vorstellen.
Wie mag er aussehen? Zug um Zug setzte sie sein Bild zusammen, wie sie
es in der Erinnerung trug, seit jenen Sommertagen — es ist bald anderthalb
Jahre her — als sie zu des Vaters Geburtstag unter den Buchen beim Theater¬
spiel zusammen ein Liebespaar gegeben hatten. „Meine kleine Frau!" hatte
er sie damals den Abend über genannt. Ach — da war noch nicht jenes böse
Weib in sein Leben getreten, damals wäre er noch nicht imstande gewesen, um


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326357"/>
          <fw type="header" place="top"> Sturm</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_834" prev="#ID_833"> lungsprozesses zu kennzeichnen. Es ist interessant zu sehen, daß wo immer wir<lb/>
versuchen, menschliche Kräfte Naturgesetzen entsprechend zu nützen, ein Moment<lb/>
gegeben ist, das das Lebendige allezeit über die Maschine erhebt &#x2014; das Gefühl.<lb/>
Wohl wissen wir heute, daß auch dieses seinen Gesetzen folgt, aber es ist das<lb/>
tief innerliche Erlebnis, das über Wert und Unwert entscheidet, und wo<lb/>
gewertet wird, beginnt das Menschentum. Gerade dort, wo wir den Menschen<lb/>
in seiner psnchophysischen Eigenart dem Wirtschaftsprozeß mit seinen Notwendig¬<lb/>
keiten einfügen, erhebt er sich am deutlichsten in seiner Einzigartigkeit: er schafft<lb/>
nicht wie die Maschine, auch nicht wie das Tier, das gleich ihm Lust und<lb/>
Schmerz erlebt. Er unterstellt sein Tun freiwillig einem objektiven Zweck und<lb/>
aus der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung seiner Person mit ihrem<lb/>
Tun und ihren Zwecken erblüht Menschenfreude und Menschenleib. Als höchste<lb/>
Aufgabe der neuen wirtschaftspsychologischen Bestrebungen wird der Kampf gegen<lb/>
den Mangel an Befriedigung, Entmutigung und seelische Verkümmerung gepriesen.<lb/>
So leuchtet als Endziel die Freude, die unser Schiller einen Götterfunken nannte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hturm<lb/>
Roman<lb/><note type="byline"> Max Ludwig</note> von (Neunte Fortsetzung)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_835"> Derselbe Sturm, der dem alten Maddis auf der Fahrt durch den Wald<lb/>
den Mund geschlossen hatte, rüttelte auch an Sternburgs festem Dach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_836"> Edda fand keinen Schlaf. sorgend begleiteten ihre Gedanken die Fahrt<lb/>
des Mannes, den sie trotz ihrer großen Enttäuschung immer noch liebte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_837"> Morgen in aller Frühe wird sie ihm ganz nahe sein, denkt sie, und will<lb/>
doch nicht daran denken. Der Vater wird in Borküll anrufen, und sie wird<lb/>
den zweiten Hörer nehmen und wird lauschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_838" next="#ID_839"> Wie wird seine Stimme klingen? Sie kann sie sich kaum noch vorstellen.<lb/>
Wie mag er aussehen? Zug um Zug setzte sie sein Bild zusammen, wie sie<lb/>
es in der Erinnerung trug, seit jenen Sommertagen &#x2014; es ist bald anderthalb<lb/>
Jahre her &#x2014; als sie zu des Vaters Geburtstag unter den Buchen beim Theater¬<lb/>
spiel zusammen ein Liebespaar gegeben hatten. &#x201E;Meine kleine Frau!" hatte<lb/>
er sie damals den Abend über genannt. Ach &#x2014; da war noch nicht jenes böse<lb/>
Weib in sein Leben getreten, damals wäre er noch nicht imstande gewesen, um</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] Sturm lungsprozesses zu kennzeichnen. Es ist interessant zu sehen, daß wo immer wir versuchen, menschliche Kräfte Naturgesetzen entsprechend zu nützen, ein Moment gegeben ist, das das Lebendige allezeit über die Maschine erhebt — das Gefühl. Wohl wissen wir heute, daß auch dieses seinen Gesetzen folgt, aber es ist das tief innerliche Erlebnis, das über Wert und Unwert entscheidet, und wo gewertet wird, beginnt das Menschentum. Gerade dort, wo wir den Menschen in seiner psnchophysischen Eigenart dem Wirtschaftsprozeß mit seinen Notwendig¬ keiten einfügen, erhebt er sich am deutlichsten in seiner Einzigartigkeit: er schafft nicht wie die Maschine, auch nicht wie das Tier, das gleich ihm Lust und Schmerz erlebt. Er unterstellt sein Tun freiwillig einem objektiven Zweck und aus der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung seiner Person mit ihrem Tun und ihren Zwecken erblüht Menschenfreude und Menschenleib. Als höchste Aufgabe der neuen wirtschaftspsychologischen Bestrebungen wird der Kampf gegen den Mangel an Befriedigung, Entmutigung und seelische Verkümmerung gepriesen. So leuchtet als Endziel die Freude, die unser Schiller einen Götterfunken nannte. Hturm Roman Max Ludwig von (Neunte Fortsetzung) Derselbe Sturm, der dem alten Maddis auf der Fahrt durch den Wald den Mund geschlossen hatte, rüttelte auch an Sternburgs festem Dach. Edda fand keinen Schlaf. sorgend begleiteten ihre Gedanken die Fahrt des Mannes, den sie trotz ihrer großen Enttäuschung immer noch liebte. Morgen in aller Frühe wird sie ihm ganz nahe sein, denkt sie, und will doch nicht daran denken. Der Vater wird in Borküll anrufen, und sie wird den zweiten Hörer nehmen und wird lauschen. Wie wird seine Stimme klingen? Sie kann sie sich kaum noch vorstellen. Wie mag er aussehen? Zug um Zug setzte sie sein Bild zusammen, wie sie es in der Erinnerung trug, seit jenen Sommertagen — es ist bald anderthalb Jahre her — als sie zu des Vaters Geburtstag unter den Buchen beim Theater¬ spiel zusammen ein Liebespaar gegeben hatten. „Meine kleine Frau!" hatte er sie damals den Abend über genannt. Ach — da war noch nicht jenes böse Weib in sein Leben getreten, damals wäre er noch nicht imstande gewesen, um

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/187
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/187>, abgerufen am 19.10.2024.