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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Rumpfe unserer Lehrerschaft

nungsvollen Zukunftsträumen entgegen. Aber für ihre Fortbildung erwarten
sie auch von der Jetztzeit mehr, als Kurse für einen bestimmten Zweck über¬
haupt bieten können. Ob das Tor der Universitäten sich selbst für sie öffnet
oder etwa eine andere Hochschule, das ist eine nebensächliche Frage. Die hoch¬
schulmäßige Pflege der Pädagogik aber und damit die Herstellung des Zusammen¬
hanges der Volksschulfragen in ihrer Grundlegung und Erforschung mit dem
allgemeinen Strom des wissenschaftlichen Lebens darf die Gegenwart den tüchtigen
und strebsamen Volksschullehrern nicht mehr auf lange hinaus vorenthalten. Es
ist genug des Grolls, der um der Besetzung der Schulaufftchtsstellen offen und
verhalten im Lehrerstande lebt.


Rektor Veto Schmidt
Philologenbildung und Wesen der höheren Schule

Der Aufsatz "Philologenvorbildung" des Herrn Kreisschnlinspektors Dr. Raub
in Ur. 13 dieser Zeitschrift fordert schon deshalb an dieser Stelle eine Ent¬
gegnung, weil er zwar ein fast typischer Ausdruck der Anschauungen weiter Kreise,
insbesondere der seminaristisch gebildeten Lehrer an Volksschulen und höheren
Schulen ist, innerhalb der Oberlehrerschaft selbst aber nur verhältnismäßig wenig
Anhänger finden dürfte. Der Verfasser hat wirklich recht, wenn er hervorhebt,
daß "der Philologe überhaupt in keiner Weise geneigt ist, zuzugeben, daß Volks¬
schulunterricht und höherer Unterricht im wesentlichen dieselben Sachen seien".
Vor allem auch der Satz: "Eben daß so viele nicht .Oberlehrer' studieren,
sondern Philologie, ist das Unglück unserer höheren Schule" -- fordert den
schärfsten Widerspruch heraus; er kann nur einer völligen Verkennung des Zieles
dieser Schulen entspringen. Gerade in den letzten Jahren haben die preußischen
Philologen durch ihre oberste Vertretung, die Delegiertenkonferenz, und auf zahl¬
reichen Versammlungen der Provinzialvereine die Notwendigkeit strenger wissen¬
schaftlicher Schulung, selbständiger wissenschaftlicher Arbeit und Weiterbildung der
Kandidaten wie der Kollegen im Amte, immer wieder betont. Im allgemeinen
ging man dabei gerade von der Ansicht aus, welche der Verfasser so eifrig bekämpft
-- daß der Philologenstand, der Gelehrtenstand bleiben muß, als welcher
er vor jetzt hundert Jahren begründet wurde, und als der er im ver¬
flossenen Jahrhundert mit Ehren gegolten hat. Lebendiger als je scheint daher heute
das Bewußtsein, daß das Wesen der höheren Schule eine solche Gelehrtenbildung,
wissenschaftlichen Sinn und Fähigkeit, von feiten der Lehrer erfordert. Damit
erledigt sich auch die Bemerkung des Verfassers: "Und die höhere Schule?
Ist sie noch Gelehrtenschule? -- Wer mit nicht völlig umnebelten Blicken in
das praktische Leben sieht, lacht über diese Frage." Nein, wer das "Wort"
Gelehrtenschule nicht im Sinn des Mittelalters oder des 17. und 18. Jahr¬
hunderts nimmt, sondern darunter die Schule versteht, in der die Schüler all¬
mählich in die Denkprozesse der echten Wissenschaft eingeführt werden, die An¬
fangsgründe wissenschaftlicher Methoden kennen und üben lernen, Achtung und


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nungsvollen Zukunftsträumen entgegen. Aber für ihre Fortbildung erwarten
sie auch von der Jetztzeit mehr, als Kurse für einen bestimmten Zweck über¬
haupt bieten können. Ob das Tor der Universitäten sich selbst für sie öffnet
oder etwa eine andere Hochschule, das ist eine nebensächliche Frage. Die hoch¬
schulmäßige Pflege der Pädagogik aber und damit die Herstellung des Zusammen¬
hanges der Volksschulfragen in ihrer Grundlegung und Erforschung mit dem
allgemeinen Strom des wissenschaftlichen Lebens darf die Gegenwart den tüchtigen
und strebsamen Volksschullehrern nicht mehr auf lange hinaus vorenthalten. Es
ist genug des Grolls, der um der Besetzung der Schulaufftchtsstellen offen und
verhalten im Lehrerstande lebt.


Rektor Veto Schmidt
Philologenbildung und Wesen der höheren Schule

Der Aufsatz „Philologenvorbildung" des Herrn Kreisschnlinspektors Dr. Raub
in Ur. 13 dieser Zeitschrift fordert schon deshalb an dieser Stelle eine Ent¬
gegnung, weil er zwar ein fast typischer Ausdruck der Anschauungen weiter Kreise,
insbesondere der seminaristisch gebildeten Lehrer an Volksschulen und höheren
Schulen ist, innerhalb der Oberlehrerschaft selbst aber nur verhältnismäßig wenig
Anhänger finden dürfte. Der Verfasser hat wirklich recht, wenn er hervorhebt,
daß „der Philologe überhaupt in keiner Weise geneigt ist, zuzugeben, daß Volks¬
schulunterricht und höherer Unterricht im wesentlichen dieselben Sachen seien".
Vor allem auch der Satz: „Eben daß so viele nicht .Oberlehrer' studieren,
sondern Philologie, ist das Unglück unserer höheren Schule" — fordert den
schärfsten Widerspruch heraus; er kann nur einer völligen Verkennung des Zieles
dieser Schulen entspringen. Gerade in den letzten Jahren haben die preußischen
Philologen durch ihre oberste Vertretung, die Delegiertenkonferenz, und auf zahl¬
reichen Versammlungen der Provinzialvereine die Notwendigkeit strenger wissen¬
schaftlicher Schulung, selbständiger wissenschaftlicher Arbeit und Weiterbildung der
Kandidaten wie der Kollegen im Amte, immer wieder betont. Im allgemeinen
ging man dabei gerade von der Ansicht aus, welche der Verfasser so eifrig bekämpft
— daß der Philologenstand, der Gelehrtenstand bleiben muß, als welcher
er vor jetzt hundert Jahren begründet wurde, und als der er im ver¬
flossenen Jahrhundert mit Ehren gegolten hat. Lebendiger als je scheint daher heute
das Bewußtsein, daß das Wesen der höheren Schule eine solche Gelehrtenbildung,
wissenschaftlichen Sinn und Fähigkeit, von feiten der Lehrer erfordert. Damit
erledigt sich auch die Bemerkung des Verfassers: „Und die höhere Schule?
Ist sie noch Gelehrtenschule? — Wer mit nicht völlig umnebelten Blicken in
das praktische Leben sieht, lacht über diese Frage." Nein, wer das „Wort"
Gelehrtenschule nicht im Sinn des Mittelalters oder des 17. und 18. Jahr¬
hunderts nimmt, sondern darunter die Schule versteht, in der die Schüler all¬
mählich in die Denkprozesse der echten Wissenschaft eingeführt werden, die An¬
fangsgründe wissenschaftlicher Methoden kennen und üben lernen, Achtung und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/170>, abgerufen am 27.12.2024.