Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Anselm Feuerbach und seine Zeit
Dr. Felix Braun vonin

le Lebensgeschichte Anselm Feuerbachs, des Malers, für sich allein
als das Geschick eines edlen und hochfliegenden Geistes betrachtet,
würde ohne Gedanken an die Zeit, die es eben so und nicht anders
vollenden ließ, die tragische Wirkung nicht erzielen, mit der sie
uns besonders nach der Lektüre des "Vermächtnisses" und der
Briefe an die Mutter ergreift. Abgelöst von dem Grunde des neunzehnten
Jahrhunderts, zeigt sie sich im Verlauf einer einzigen Linie: als der Lebensweg
eines Malers, der in nichts als in seinen Bildern lebt und nichts will als nur
durch und für sie leben. Er war im Grunde eine arkadische Natur und darauf
nicht vorbereitet, daß diesem einfachen Ansinnen an das Schicksal widersprochen,
ja mit einer solchen Kette von Peinigungen und Qualen erwidert werden sollte.
Er lebte in sich und seinen Bildern und faßte nicht, warum man ihm entgegen¬
stand. Sein Wesen war aufrecht und lauter. Dieses einlinige Moment, das
in seinem Lebenslauf erkannt wurde, waltet auch in seinem Charakter vor und
zeigt sich besonders in seinen menschlichen Beziehungen: wie es dort die Kunst
ist, so hier die Gestalt der Mutter, der er voll zugewandt bleibt bis zum Ende
und mit solcher inneren Vermähltheit, daß in ihm für eine andere Frau, auch
für eine geliebte, kaum noch Raum ist. Dem Ideal, das er für diese hegt,
bleibt er treu wie dem Modell, das ihm dient und ihn begeistert: der dunkle
romanische Frauenkopf kehrt in allen seinen Bildern wieder. So sehen wir in
jedem, auch im kleinsten, die Einfachheit und Geschlossenheit eines starken Willens
und einer großen Seele.

Aber wenden wir den Inbegriff der Zeit, in der er scheinbar ein Fremd¬
ling war, auf ihn an, so gewinnt dieses einsame Leben typische Bedeutung.
Er ist durchaus ein Sproß des neunzehnten Jahrhunderts, voll gereifte Frucht
jener aufs stärkste bewegten Epoche deutschen Geisteslebens, die man vielleicht
als eine im höchsten Sinne literarische ansprechen kann. Es ist das letzte Jahr¬
hundert des Humanismus, der sich mit den Ideen der Romantik vervollkommnet
hat, das sich jetzt in künstlerischen Wellengängen abenteuerlich ansieht. Es ist
die große Zeit der Anregungen: die Systeme der Philosophie folgen einander,
die Vorstellungen der Antike, des mittelalterlichen Christentums, der Sage, der




Anselm Feuerbach und seine Zeit
Dr. Felix Braun vonin

le Lebensgeschichte Anselm Feuerbachs, des Malers, für sich allein
als das Geschick eines edlen und hochfliegenden Geistes betrachtet,
würde ohne Gedanken an die Zeit, die es eben so und nicht anders
vollenden ließ, die tragische Wirkung nicht erzielen, mit der sie
uns besonders nach der Lektüre des „Vermächtnisses" und der
Briefe an die Mutter ergreift. Abgelöst von dem Grunde des neunzehnten
Jahrhunderts, zeigt sie sich im Verlauf einer einzigen Linie: als der Lebensweg
eines Malers, der in nichts als in seinen Bildern lebt und nichts will als nur
durch und für sie leben. Er war im Grunde eine arkadische Natur und darauf
nicht vorbereitet, daß diesem einfachen Ansinnen an das Schicksal widersprochen,
ja mit einer solchen Kette von Peinigungen und Qualen erwidert werden sollte.
Er lebte in sich und seinen Bildern und faßte nicht, warum man ihm entgegen¬
stand. Sein Wesen war aufrecht und lauter. Dieses einlinige Moment, das
in seinem Lebenslauf erkannt wurde, waltet auch in seinem Charakter vor und
zeigt sich besonders in seinen menschlichen Beziehungen: wie es dort die Kunst
ist, so hier die Gestalt der Mutter, der er voll zugewandt bleibt bis zum Ende
und mit solcher inneren Vermähltheit, daß in ihm für eine andere Frau, auch
für eine geliebte, kaum noch Raum ist. Dem Ideal, das er für diese hegt,
bleibt er treu wie dem Modell, das ihm dient und ihn begeistert: der dunkle
romanische Frauenkopf kehrt in allen seinen Bildern wieder. So sehen wir in
jedem, auch im kleinsten, die Einfachheit und Geschlossenheit eines starken Willens
und einer großen Seele.

Aber wenden wir den Inbegriff der Zeit, in der er scheinbar ein Fremd¬
ling war, auf ihn an, so gewinnt dieses einsame Leben typische Bedeutung.
Er ist durchaus ein Sproß des neunzehnten Jahrhunderts, voll gereifte Frucht
jener aufs stärkste bewegten Epoche deutschen Geisteslebens, die man vielleicht
als eine im höchsten Sinne literarische ansprechen kann. Es ist das letzte Jahr¬
hundert des Humanismus, der sich mit den Ideen der Romantik vervollkommnet
hat, das sich jetzt in künstlerischen Wellengängen abenteuerlich ansieht. Es ist
die große Zeit der Anregungen: die Systeme der Philosophie folgen einander,
die Vorstellungen der Antike, des mittelalterlichen Christentums, der Sage, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325839"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341897_325519/figures/grenzboten_341897_325519_325839_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Anselm Feuerbach und seine Zeit<lb/><note type="byline"> Dr. Felix Braun </note> vonin </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1278"> le Lebensgeschichte Anselm Feuerbachs, des Malers, für sich allein<lb/>
als das Geschick eines edlen und hochfliegenden Geistes betrachtet,<lb/>
würde ohne Gedanken an die Zeit, die es eben so und nicht anders<lb/>
vollenden ließ, die tragische Wirkung nicht erzielen, mit der sie<lb/>
uns besonders nach der Lektüre des &#x201E;Vermächtnisses" und der<lb/>
Briefe an die Mutter ergreift. Abgelöst von dem Grunde des neunzehnten<lb/>
Jahrhunderts, zeigt sie sich im Verlauf einer einzigen Linie: als der Lebensweg<lb/>
eines Malers, der in nichts als in seinen Bildern lebt und nichts will als nur<lb/>
durch und für sie leben. Er war im Grunde eine arkadische Natur und darauf<lb/>
nicht vorbereitet, daß diesem einfachen Ansinnen an das Schicksal widersprochen,<lb/>
ja mit einer solchen Kette von Peinigungen und Qualen erwidert werden sollte.<lb/>
Er lebte in sich und seinen Bildern und faßte nicht, warum man ihm entgegen¬<lb/>
stand. Sein Wesen war aufrecht und lauter. Dieses einlinige Moment, das<lb/>
in seinem Lebenslauf erkannt wurde, waltet auch in seinem Charakter vor und<lb/>
zeigt sich besonders in seinen menschlichen Beziehungen: wie es dort die Kunst<lb/>
ist, so hier die Gestalt der Mutter, der er voll zugewandt bleibt bis zum Ende<lb/>
und mit solcher inneren Vermähltheit, daß in ihm für eine andere Frau, auch<lb/>
für eine geliebte, kaum noch Raum ist. Dem Ideal, das er für diese hegt,<lb/>
bleibt er treu wie dem Modell, das ihm dient und ihn begeistert: der dunkle<lb/>
romanische Frauenkopf kehrt in allen seinen Bildern wieder. So sehen wir in<lb/>
jedem, auch im kleinsten, die Einfachheit und Geschlossenheit eines starken Willens<lb/>
und einer großen Seele.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1279" next="#ID_1280"> Aber wenden wir den Inbegriff der Zeit, in der er scheinbar ein Fremd¬<lb/>
ling war, auf ihn an, so gewinnt dieses einsame Leben typische Bedeutung.<lb/>
Er ist durchaus ein Sproß des neunzehnten Jahrhunderts, voll gereifte Frucht<lb/>
jener aufs stärkste bewegten Epoche deutschen Geisteslebens, die man vielleicht<lb/>
als eine im höchsten Sinne literarische ansprechen kann. Es ist das letzte Jahr¬<lb/>
hundert des Humanismus, der sich mit den Ideen der Romantik vervollkommnet<lb/>
hat, das sich jetzt in künstlerischen Wellengängen abenteuerlich ansieht. Es ist<lb/>
die große Zeit der Anregungen: die Systeme der Philosophie folgen einander,<lb/>
die Vorstellungen der Antike, des mittelalterlichen Christentums, der Sage, der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0319] [Abbildung] Anselm Feuerbach und seine Zeit Dr. Felix Braun vonin le Lebensgeschichte Anselm Feuerbachs, des Malers, für sich allein als das Geschick eines edlen und hochfliegenden Geistes betrachtet, würde ohne Gedanken an die Zeit, die es eben so und nicht anders vollenden ließ, die tragische Wirkung nicht erzielen, mit der sie uns besonders nach der Lektüre des „Vermächtnisses" und der Briefe an die Mutter ergreift. Abgelöst von dem Grunde des neunzehnten Jahrhunderts, zeigt sie sich im Verlauf einer einzigen Linie: als der Lebensweg eines Malers, der in nichts als in seinen Bildern lebt und nichts will als nur durch und für sie leben. Er war im Grunde eine arkadische Natur und darauf nicht vorbereitet, daß diesem einfachen Ansinnen an das Schicksal widersprochen, ja mit einer solchen Kette von Peinigungen und Qualen erwidert werden sollte. Er lebte in sich und seinen Bildern und faßte nicht, warum man ihm entgegen¬ stand. Sein Wesen war aufrecht und lauter. Dieses einlinige Moment, das in seinem Lebenslauf erkannt wurde, waltet auch in seinem Charakter vor und zeigt sich besonders in seinen menschlichen Beziehungen: wie es dort die Kunst ist, so hier die Gestalt der Mutter, der er voll zugewandt bleibt bis zum Ende und mit solcher inneren Vermähltheit, daß in ihm für eine andere Frau, auch für eine geliebte, kaum noch Raum ist. Dem Ideal, das er für diese hegt, bleibt er treu wie dem Modell, das ihm dient und ihn begeistert: der dunkle romanische Frauenkopf kehrt in allen seinen Bildern wieder. So sehen wir in jedem, auch im kleinsten, die Einfachheit und Geschlossenheit eines starken Willens und einer großen Seele. Aber wenden wir den Inbegriff der Zeit, in der er scheinbar ein Fremd¬ ling war, auf ihn an, so gewinnt dieses einsame Leben typische Bedeutung. Er ist durchaus ein Sproß des neunzehnten Jahrhunderts, voll gereifte Frucht jener aufs stärkste bewegten Epoche deutschen Geisteslebens, die man vielleicht als eine im höchsten Sinne literarische ansprechen kann. Es ist das letzte Jahr¬ hundert des Humanismus, der sich mit den Ideen der Romantik vervollkommnet hat, das sich jetzt in künstlerischen Wellengängen abenteuerlich ansieht. Es ist die große Zeit der Anregungen: die Systeme der Philosophie folgen einander, die Vorstellungen der Antike, des mittelalterlichen Christentums, der Sage, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/319
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/319>, abgerufen am 21.12.2024.