Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches führen. Solchen Verzicht können sich nur die Pforzheim" und der Säbel fliegt ihm aus R. M. Werner, Die vondem wenige Maßgebliches und Unmaßgebliches führen. Solchen Verzicht können sich nur die Pforzheim" und der Säbel fliegt ihm aus R. M. Werner, Die vondem wenige <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325627"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_455" prev="#ID_454" next="#ID_456"> führen. Solchen Verzicht können sich nur die<lb/> Reichen leisten. Die gute Stadt Pforzheim<lb/> bekommt um 1600 Händel rin ihrem Fürsten,<lb/> dem Markgrafen Ernst Friedrich von Baden.<lb/> Der Fürst ist kalvinisch, die Pforzheimer<lb/> lutherisch: Bürgersinn und Herrscherwille, mit<lb/> allem was hüben und drüben klein und groß,<lb/> erhaben und lächerlich, dumm-klug und Ilug-<lb/> dumm der Zeiten lebendiges Kleid webt,<lb/> heitert und düstere unser Herz da durch¬<lb/> einander. Daß den Gardehauptmann Gößlin<lb/> — auch der Schneider kreise oder der Teufel<lb/> hole: so einen Kerl kriegt man nicht bald los,<lb/> selbst wenn man kein siebzehnjähriges „stiesel¬<lb/> braunes Maidelein" ist — wie Strauß es<lb/> liebt. Wie der in seinem lutherischen süd¬<lb/> deutschen Pforzheim seine und stammt und<lb/> wurzelt, das ahnen die Pforzheimer nicht,<lb/> die den Fürstenknochi in ihm schinden, und der<lb/> Fürst nicht, sein Jugendfreund. Ja was weiß<lb/> der Mensch, was er in einem Moment tun wird.<lb/> Er reitet ja mit dem Fürst gegen Pforzheim.<lb/> Und er, Gößlin, führtBrand, Tod, Vernichtung<lb/> an, gegen Pforzheim. Es ist Abend. Die<lb/> Lichter leuchten: „Markgraf, hier beginnt</p><lb/> <p xml:id="ID_456" prev="#ID_455"> Pforzheim" und der Säbel fliegt ihm aus<lb/> der Scheide: „Wehre dich." Aber den Mark¬<lb/> graf hat ein Schlagfluß erlöst — vor Kampf<lb/> und Schuld. Übrigens ist das gar nicht so<lb/> wichtig im Buch, wie sichs hier anhört, steht<lb/> auch bloß ganz zuletzt. Viel wichtiger ist,<lb/> wie der Apotheker seine junge Frau aus¬<lb/> schmollen läßt und das Brett drei Tage lang<lb/> im Bette stehen läßt, das sie nach der Hoch¬<lb/> zeit hineingestellt, und überhaupt ist es äußerst<lb/> wichtig, wie die zwei miteinander fertig<lb/> werden, oder auch wie der Herr Obcrvogt<lb/> aus seinem offenen Fenster hinaussingt: „Herr,<lb/> red du in unsere Seelen", und wie er schlie߬<lb/> lich zur Stadt hinauszieht. An solchen Werken<lb/> ist nichts weiter zu besprechen, sie sind, durch<lb/> sich, gut und schlecht, zwei- und tausendseitig<lb/> nach allen Richtungen, wie das Organische,<lb/><note type="byline"> R. M.</note> das Lebendige. </p><lb/> </div> <div n="3"> <head> R. M. Werner, </head> <p xml:id="ID_457" next="#ID_458"> Die vondem wenige<lb/> Wochen vor dem Hebbel-Jubiläum dahin¬<lb/> geschiedenen hervorragenden Hebbelforscher in<lb/> B. Behrs Verlag, Berlin-Steglitz, heraus¬<lb/> gegebene Säkularausgabe von Fr. Hebbels<lb/> Werken ist bis zum 14. Band einschließlich</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
führen. Solchen Verzicht können sich nur die
Reichen leisten. Die gute Stadt Pforzheim
bekommt um 1600 Händel rin ihrem Fürsten,
dem Markgrafen Ernst Friedrich von Baden.
Der Fürst ist kalvinisch, die Pforzheimer
lutherisch: Bürgersinn und Herrscherwille, mit
allem was hüben und drüben klein und groß,
erhaben und lächerlich, dumm-klug und Ilug-
dumm der Zeiten lebendiges Kleid webt,
heitert und düstere unser Herz da durch¬
einander. Daß den Gardehauptmann Gößlin
— auch der Schneider kreise oder der Teufel
hole: so einen Kerl kriegt man nicht bald los,
selbst wenn man kein siebzehnjähriges „stiesel¬
braunes Maidelein" ist — wie Strauß es
liebt. Wie der in seinem lutherischen süd¬
deutschen Pforzheim seine und stammt und
wurzelt, das ahnen die Pforzheimer nicht,
die den Fürstenknochi in ihm schinden, und der
Fürst nicht, sein Jugendfreund. Ja was weiß
der Mensch, was er in einem Moment tun wird.
Er reitet ja mit dem Fürst gegen Pforzheim.
Und er, Gößlin, führtBrand, Tod, Vernichtung
an, gegen Pforzheim. Es ist Abend. Die
Lichter leuchten: „Markgraf, hier beginnt
Pforzheim" und der Säbel fliegt ihm aus
der Scheide: „Wehre dich." Aber den Mark¬
graf hat ein Schlagfluß erlöst — vor Kampf
und Schuld. Übrigens ist das gar nicht so
wichtig im Buch, wie sichs hier anhört, steht
auch bloß ganz zuletzt. Viel wichtiger ist,
wie der Apotheker seine junge Frau aus¬
schmollen läßt und das Brett drei Tage lang
im Bette stehen läßt, das sie nach der Hoch¬
zeit hineingestellt, und überhaupt ist es äußerst
wichtig, wie die zwei miteinander fertig
werden, oder auch wie der Herr Obcrvogt
aus seinem offenen Fenster hinaussingt: „Herr,
red du in unsere Seelen", und wie er schlie߬
lich zur Stadt hinauszieht. An solchen Werken
ist nichts weiter zu besprechen, sie sind, durch
sich, gut und schlecht, zwei- und tausendseitig
nach allen Richtungen, wie das Organische,
R. M. das Lebendige.
R. M. Werner, Die vondem wenige
Wochen vor dem Hebbel-Jubiläum dahin¬
geschiedenen hervorragenden Hebbelforscher in
B. Behrs Verlag, Berlin-Steglitz, heraus¬
gegebene Säkularausgabe von Fr. Hebbels
Werken ist bis zum 14. Band einschließlich
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