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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

bringen weiß, was recht verworren und viel¬
fach verschlungen in Gebieten wurzelt, die
Engel nicht erreichbar sind. Diese Kunst, die
an Engels Literaturgeschichten wirklich heil¬
lose Früchte gezeitigt hat, hat ihm hier ge¬
nützt: er weiß das Gute überall zu finden,
hat einen sicheren, zwar etwas einseitigen
Geschmack und besitzt eine staunenswerte Be¬
lesenheit. Daß man auch hier über die Aus¬
wahl von Stücken der Meister, die man
besonders kennt, sehr erstaunt sein muß, darf
man wohl kaum auf Engels Rechnung setzen;
jedem gerecht zu werden, ist unmöglich, und
obwohl die Stücke von Kleist, Brentano und
Wackenroder sicher ungünstig gewählt sind,
steht dem soviel Gutes gegenüber, daß die
Kritik an dieser Stelle Halt macht.

Engels übertriebene Abneigung gegen
Fremdwörter darf einer, der selbst im Dienste
der Sprachreinigung steht, gewiß noch kurz
beleuchten. Wir alle wissen, was wir dem
Allgemeinen Deutschen Sprachverein ver¬
danken; alle Reinigungsversuche früherer
Zeiten haben nicht ein Tausendstel von dem
erreicht, was der Sprachverein in 25 Jahren
gewirkt hat. Aber gerade darum darf man
doch einen Schriftsteller wie Ranke nicht von
den Meistern der deutschen Prosa ausschließen,
weil er viele Fremdwörter gebraucht. Als
Ranke anfing zu schreiben, war die Sprache
der Politik durchaus französisch, und für die
neuen Begriffe, die er schuf, wählte er nach
dem Gebrauch der Zeit wissenschaftliche
Termini aus griechischem und lateinischen
Sprachgut. DaS war allgemein Sitte;
Wilhelm dem Ersten ist in seinen Briefen und
militärischen Schriften oft der französische
Ausdruck viel näher als der deutsche, Bis-
marck geht es ganz ähnlich. Warum sind sie
nicht ausgeschlossen! Auch aus Ranke hätte
man manch schönes fremdwortarmes Stück
aussuchen können. Ich ergreife aufs Gerate¬
wohl einen Band der Neun Bücher preu¬
ßischer Geschichte und finde, da ich den zweiten
Band gefaßt habe, auf Seite 45 ff. eine
lebhafte, Packende Schilderung von Friedrichs
des Zweiten Stimmung nach dem Tode des
Vaters; in den ersten vier Seiten, die man
zum Abdruck vorschlagen könnte, kommt kein
entbehrliches Fremdwort vor; man müßte
denn "Autorität" rügen wollen.

[Spaltenumbruch]

Es scheint mir grundverkehrt, von Ranke
Sprachreinheit in dem heutigen hochgespann¬
ter Sinne zu verlangen, der in demselben
Jahre gestorben ist, in dem der Sprachverein
gegründet wurde. Dann müßten wir auch
nach Ausbildung der naturwissenschaftlich be¬
gründeten Lautlehre Jakob Grimm als
deutschen Grammatiker ablehnen I Ranke bleibt
trotz seiner Fremdwörter einer der größten
deutschen Prosaschriftsteller, wie Jakob Grimm
trotz seiner Abneigung gegen die wissen¬
schaftliche Phonetik immer der große Sprach¬
forscher bleiben wird. Genau so verhält es
sich mit Rudolf Haym, den Engel auch wegen
mangelnder Sprachremheit ausgewiesen hat

Engels Stellung ist meines Erachtens für
den Sprachverein nicht vorteilhaft z die Sprach¬
remheit als beherrschendes Kennzeichen des
deutschen Stiles hinzustellen, ist eng und
verrät Mangel an historischem Sinn.

Zum Schluß noch uneingeschränktes Lob
der Reichhaltigkeit der Auswahl, der Auf¬
nahme einiger allzuoft vergessener Meister,
der Ausstattung des Buches und der Wieder¬
gabe von Tischbeins schönem Lessingbildnis.

Traugott Friedemann (Fritz Tychow)
Pinsk, Dr. Carl: "Hypnose, Suggestion
und Erziehung." Verlag von Dr. Werner
Klinkhardt, Leipzig 1913. Preis geh. 2 M.

Die vorliegende Schrift lehnt sich in ihrem
gedanklichen Gehalt eng, wenn auch durchaus
nicht kritiklos, an den französischen Forscher
Jean Marie Guyau an, insofern dieser der
suggestiven Beeinflussung des Kindes zu er¬
ziehlichen Zwecken eifrig dos Wort geredet
hat. Es liegt nahe, die Herrschaft, die der
Hypnotiseur über den Hpnotisierten gewinnt,
dazu zu benutzen, schlimme Neigungen des
Zöglings zu unterdrücken und gute in ihrer
Entstehung und Entwicklung zu fördern.
Tatsächlich sollen sich auf diesem Wege Er¬
folge erzielen lassen: Stehlsucht, Naschhaftig¬
keit, Furchtsamkeit usw. sind durch suggestiven
Einfluß in der Hypnose beseitigt worden,
aber besonders interessant ist es, daß es auch
gelungen ist, den Charakter günstig zu beein¬
flussen, etwa Fleiß und Ehrlichkeit zu wecken.
Während aber die hypnotische Suggestion
doch nur in Ausnahmefällen anzuwenden ist,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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bringen weiß, was recht verworren und viel¬
fach verschlungen in Gebieten wurzelt, die
Engel nicht erreichbar sind. Diese Kunst, die
an Engels Literaturgeschichten wirklich heil¬
lose Früchte gezeitigt hat, hat ihm hier ge¬
nützt: er weiß das Gute überall zu finden,
hat einen sicheren, zwar etwas einseitigen
Geschmack und besitzt eine staunenswerte Be¬
lesenheit. Daß man auch hier über die Aus¬
wahl von Stücken der Meister, die man
besonders kennt, sehr erstaunt sein muß, darf
man wohl kaum auf Engels Rechnung setzen;
jedem gerecht zu werden, ist unmöglich, und
obwohl die Stücke von Kleist, Brentano und
Wackenroder sicher ungünstig gewählt sind,
steht dem soviel Gutes gegenüber, daß die
Kritik an dieser Stelle Halt macht.

Engels übertriebene Abneigung gegen
Fremdwörter darf einer, der selbst im Dienste
der Sprachreinigung steht, gewiß noch kurz
beleuchten. Wir alle wissen, was wir dem
Allgemeinen Deutschen Sprachverein ver¬
danken; alle Reinigungsversuche früherer
Zeiten haben nicht ein Tausendstel von dem
erreicht, was der Sprachverein in 25 Jahren
gewirkt hat. Aber gerade darum darf man
doch einen Schriftsteller wie Ranke nicht von
den Meistern der deutschen Prosa ausschließen,
weil er viele Fremdwörter gebraucht. Als
Ranke anfing zu schreiben, war die Sprache
der Politik durchaus französisch, und für die
neuen Begriffe, die er schuf, wählte er nach
dem Gebrauch der Zeit wissenschaftliche
Termini aus griechischem und lateinischen
Sprachgut. DaS war allgemein Sitte;
Wilhelm dem Ersten ist in seinen Briefen und
militärischen Schriften oft der französische
Ausdruck viel näher als der deutsche, Bis-
marck geht es ganz ähnlich. Warum sind sie
nicht ausgeschlossen! Auch aus Ranke hätte
man manch schönes fremdwortarmes Stück
aussuchen können. Ich ergreife aufs Gerate¬
wohl einen Band der Neun Bücher preu¬
ßischer Geschichte und finde, da ich den zweiten
Band gefaßt habe, auf Seite 45 ff. eine
lebhafte, Packende Schilderung von Friedrichs
des Zweiten Stimmung nach dem Tode des
Vaters; in den ersten vier Seiten, die man
zum Abdruck vorschlagen könnte, kommt kein
entbehrliches Fremdwort vor; man müßte
denn „Autorität" rügen wollen.

[Spaltenumbruch]

Es scheint mir grundverkehrt, von Ranke
Sprachreinheit in dem heutigen hochgespann¬
ter Sinne zu verlangen, der in demselben
Jahre gestorben ist, in dem der Sprachverein
gegründet wurde. Dann müßten wir auch
nach Ausbildung der naturwissenschaftlich be¬
gründeten Lautlehre Jakob Grimm als
deutschen Grammatiker ablehnen I Ranke bleibt
trotz seiner Fremdwörter einer der größten
deutschen Prosaschriftsteller, wie Jakob Grimm
trotz seiner Abneigung gegen die wissen¬
schaftliche Phonetik immer der große Sprach¬
forscher bleiben wird. Genau so verhält es
sich mit Rudolf Haym, den Engel auch wegen
mangelnder Sprachremheit ausgewiesen hat

Engels Stellung ist meines Erachtens für
den Sprachverein nicht vorteilhaft z die Sprach¬
remheit als beherrschendes Kennzeichen des
deutschen Stiles hinzustellen, ist eng und
verrät Mangel an historischem Sinn.

Zum Schluß noch uneingeschränktes Lob
der Reichhaltigkeit der Auswahl, der Auf¬
nahme einiger allzuoft vergessener Meister,
der Ausstattung des Buches und der Wieder¬
gabe von Tischbeins schönem Lessingbildnis.

Traugott Friedemann (Fritz Tychow)
Pinsk, Dr. Carl: „Hypnose, Suggestion
und Erziehung." Verlag von Dr. Werner
Klinkhardt, Leipzig 1913. Preis geh. 2 M.

Die vorliegende Schrift lehnt sich in ihrem
gedanklichen Gehalt eng, wenn auch durchaus
nicht kritiklos, an den französischen Forscher
Jean Marie Guyau an, insofern dieser der
suggestiven Beeinflussung des Kindes zu er¬
ziehlichen Zwecken eifrig dos Wort geredet
hat. Es liegt nahe, die Herrschaft, die der
Hypnotiseur über den Hpnotisierten gewinnt,
dazu zu benutzen, schlimme Neigungen des
Zöglings zu unterdrücken und gute in ihrer
Entstehung und Entwicklung zu fördern.
Tatsächlich sollen sich auf diesem Wege Er¬
folge erzielen lassen: Stehlsucht, Naschhaftig¬
keit, Furchtsamkeit usw. sind durch suggestiven
Einfluß in der Hypnose beseitigt worden,
aber besonders interessant ist es, daß es auch
gelungen ist, den Charakter günstig zu beein¬
flussen, etwa Fleiß und Ehrlichkeit zu wecken.
Während aber die hypnotische Suggestion
doch nur in Ausnahmefällen anzuwenden ist,

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[0593] Maßgebliches und Unmaßgebliches bringen weiß, was recht verworren und viel¬ fach verschlungen in Gebieten wurzelt, die Engel nicht erreichbar sind. Diese Kunst, die an Engels Literaturgeschichten wirklich heil¬ lose Früchte gezeitigt hat, hat ihm hier ge¬ nützt: er weiß das Gute überall zu finden, hat einen sicheren, zwar etwas einseitigen Geschmack und besitzt eine staunenswerte Be¬ lesenheit. Daß man auch hier über die Aus¬ wahl von Stücken der Meister, die man besonders kennt, sehr erstaunt sein muß, darf man wohl kaum auf Engels Rechnung setzen; jedem gerecht zu werden, ist unmöglich, und obwohl die Stücke von Kleist, Brentano und Wackenroder sicher ungünstig gewählt sind, steht dem soviel Gutes gegenüber, daß die Kritik an dieser Stelle Halt macht. Engels übertriebene Abneigung gegen Fremdwörter darf einer, der selbst im Dienste der Sprachreinigung steht, gewiß noch kurz beleuchten. Wir alle wissen, was wir dem Allgemeinen Deutschen Sprachverein ver¬ danken; alle Reinigungsversuche früherer Zeiten haben nicht ein Tausendstel von dem erreicht, was der Sprachverein in 25 Jahren gewirkt hat. Aber gerade darum darf man doch einen Schriftsteller wie Ranke nicht von den Meistern der deutschen Prosa ausschließen, weil er viele Fremdwörter gebraucht. Als Ranke anfing zu schreiben, war die Sprache der Politik durchaus französisch, und für die neuen Begriffe, die er schuf, wählte er nach dem Gebrauch der Zeit wissenschaftliche Termini aus griechischem und lateinischen Sprachgut. DaS war allgemein Sitte; Wilhelm dem Ersten ist in seinen Briefen und militärischen Schriften oft der französische Ausdruck viel näher als der deutsche, Bis- marck geht es ganz ähnlich. Warum sind sie nicht ausgeschlossen! Auch aus Ranke hätte man manch schönes fremdwortarmes Stück aussuchen können. Ich ergreife aufs Gerate¬ wohl einen Band der Neun Bücher preu¬ ßischer Geschichte und finde, da ich den zweiten Band gefaßt habe, auf Seite 45 ff. eine lebhafte, Packende Schilderung von Friedrichs des Zweiten Stimmung nach dem Tode des Vaters; in den ersten vier Seiten, die man zum Abdruck vorschlagen könnte, kommt kein entbehrliches Fremdwort vor; man müßte denn „Autorität" rügen wollen. Es scheint mir grundverkehrt, von Ranke Sprachreinheit in dem heutigen hochgespann¬ ter Sinne zu verlangen, der in demselben Jahre gestorben ist, in dem der Sprachverein gegründet wurde. Dann müßten wir auch nach Ausbildung der naturwissenschaftlich be¬ gründeten Lautlehre Jakob Grimm als deutschen Grammatiker ablehnen I Ranke bleibt trotz seiner Fremdwörter einer der größten deutschen Prosaschriftsteller, wie Jakob Grimm trotz seiner Abneigung gegen die wissen¬ schaftliche Phonetik immer der große Sprach¬ forscher bleiben wird. Genau so verhält es sich mit Rudolf Haym, den Engel auch wegen mangelnder Sprachremheit ausgewiesen hat Engels Stellung ist meines Erachtens für den Sprachverein nicht vorteilhaft z die Sprach¬ remheit als beherrschendes Kennzeichen des deutschen Stiles hinzustellen, ist eng und verrät Mangel an historischem Sinn. Zum Schluß noch uneingeschränktes Lob der Reichhaltigkeit der Auswahl, der Auf¬ nahme einiger allzuoft vergessener Meister, der Ausstattung des Buches und der Wieder¬ gabe von Tischbeins schönem Lessingbildnis. Traugott Friedemann (Fritz Tychow) Pinsk, Dr. Carl: „Hypnose, Suggestion und Erziehung." Verlag von Dr. Werner Klinkhardt, Leipzig 1913. Preis geh. 2 M. Die vorliegende Schrift lehnt sich in ihrem gedanklichen Gehalt eng, wenn auch durchaus nicht kritiklos, an den französischen Forscher Jean Marie Guyau an, insofern dieser der suggestiven Beeinflussung des Kindes zu er¬ ziehlichen Zwecken eifrig dos Wort geredet hat. Es liegt nahe, die Herrschaft, die der Hypnotiseur über den Hpnotisierten gewinnt, dazu zu benutzen, schlimme Neigungen des Zöglings zu unterdrücken und gute in ihrer Entstehung und Entwicklung zu fördern. Tatsächlich sollen sich auf diesem Wege Er¬ folge erzielen lassen: Stehlsucht, Naschhaftig¬ keit, Furchtsamkeit usw. sind durch suggestiven Einfluß in der Hypnose beseitigt worden, aber besonders interessant ist es, daß es auch gelungen ist, den Charakter günstig zu beein¬ flussen, etwa Fleiß und Ehrlichkeit zu wecken. Während aber die hypnotische Suggestion doch nur in Ausnahmefällen anzuwenden ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/593>, abgerufen am 22.07.2024.