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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Zur Rechtfertigung des Krieges

den man mit weit größerem Recht einen modernen Chopin nennen könnte als
Eduard Grieg trotz des überstarken nationalen Einschlags in seinen Kompositionen.
Und das andere Band, das Chopin mit der deutschen Musik verknüpft, heißt
-- Bach. Er spricht in den Briefen nie über ihn aber wir wissen von anderer
Seite, wie eng sein Verhältnis zu dem Altmeister war. An Bach ist er durch
seinen Lehrer Elsner geschult worden, ihm verdankt er die strenge künstlerische
Disziplin, an Bach gemahnt auf Schritt und Tritt die Polyphonie seiner
Schreibweise und Bach spielte er, wenn er sich auf ein Konzert vorbereitete.

So haben also auch wir einen gewissen Anteil an ihm. Es gibt wohl
kein deutsches Haus, wo gute Musik gepflegt wird, in dem nicht der größte
polnische Tondichter seinen herzbezwingenden Zauber ausübte, in seinen
Harmonien den die Völker trennenden Gegensatz auflösend in den Frieden, der
höher ist als selbst die Vernunft, den sein ruheloses, armes Herz auf Erden
vergeblich gesucht hat.




Zur Rechtfertigung des Arieges
Dr. Wilhelm Stapel- von

! arna gilt den Menschen der Völkerfriede als eins der höchsten
Entwicklungsziele der Menschheit? Weil es, wie man sagt, ein¬
leuchtet, daß er von der Zweckmäßigkeit, der Moral und der
Religion gefordert wird.

^ Von der Zweckmäßigkeit: kein Krieg ohne Menschen- und
Gütervernichtung, ohne Vernichtung stofflicher und geistiger Werte. ES mag
zwar Fälle geben, in denen ein solches Vertilgen in kleinerem oder größerem
Umfange für die Entwicklung zweckmäßig ist. Das ließe sich aber besser syste¬
matisch nach Gesetzen regeln als durch den Krieg; denn der vernichtet ja doch
nur blind Faules und Gesundes, Schwaches und Starkes zugleich, oft genug
uur das Gesunde und Starke. Wie aber, wenn man fragt: wonach wäre zu
entscheiden, was vertilgt werden muß? Wir halten heute den Untergang der
antiken Welt zumeist für notwendig und durch die folgende Entwicklung gerecht¬
fertigt. Man kann freilich auch da zweifeln: tun wir es mit Recht? Genug,
wir tun es. Aber man setze: nicht die rohe Kraft von Barbarenhorden, sondern
Seneca hätte darüber zu entscheiden gehabt, ob die Ausrottung der griechisch¬
römischen Kultur bis an die Wurzeln nötig wart -- -- Wer will heute sagen,
ob nicht eine höhere Zweckmäßigkeit die Vernichtung der gegenwärtig herrschenden


Zur Rechtfertigung des Krieges

den man mit weit größerem Recht einen modernen Chopin nennen könnte als
Eduard Grieg trotz des überstarken nationalen Einschlags in seinen Kompositionen.
Und das andere Band, das Chopin mit der deutschen Musik verknüpft, heißt
— Bach. Er spricht in den Briefen nie über ihn aber wir wissen von anderer
Seite, wie eng sein Verhältnis zu dem Altmeister war. An Bach ist er durch
seinen Lehrer Elsner geschult worden, ihm verdankt er die strenge künstlerische
Disziplin, an Bach gemahnt auf Schritt und Tritt die Polyphonie seiner
Schreibweise und Bach spielte er, wenn er sich auf ein Konzert vorbereitete.

So haben also auch wir einen gewissen Anteil an ihm. Es gibt wohl
kein deutsches Haus, wo gute Musik gepflegt wird, in dem nicht der größte
polnische Tondichter seinen herzbezwingenden Zauber ausübte, in seinen
Harmonien den die Völker trennenden Gegensatz auflösend in den Frieden, der
höher ist als selbst die Vernunft, den sein ruheloses, armes Herz auf Erden
vergeblich gesucht hat.




Zur Rechtfertigung des Arieges
Dr. Wilhelm Stapel- von

! arna gilt den Menschen der Völkerfriede als eins der höchsten
Entwicklungsziele der Menschheit? Weil es, wie man sagt, ein¬
leuchtet, daß er von der Zweckmäßigkeit, der Moral und der
Religion gefordert wird.

^ Von der Zweckmäßigkeit: kein Krieg ohne Menschen- und
Gütervernichtung, ohne Vernichtung stofflicher und geistiger Werte. ES mag
zwar Fälle geben, in denen ein solches Vertilgen in kleinerem oder größerem
Umfange für die Entwicklung zweckmäßig ist. Das ließe sich aber besser syste¬
matisch nach Gesetzen regeln als durch den Krieg; denn der vernichtet ja doch
nur blind Faules und Gesundes, Schwaches und Starkes zugleich, oft genug
uur das Gesunde und Starke. Wie aber, wenn man fragt: wonach wäre zu
entscheiden, was vertilgt werden muß? Wir halten heute den Untergang der
antiken Welt zumeist für notwendig und durch die folgende Entwicklung gerecht¬
fertigt. Man kann freilich auch da zweifeln: tun wir es mit Recht? Genug,
wir tun es. Aber man setze: nicht die rohe Kraft von Barbarenhorden, sondern
Seneca hätte darüber zu entscheiden gehabt, ob die Ausrottung der griechisch¬
römischen Kultur bis an die Wurzeln nötig wart — — Wer will heute sagen,
ob nicht eine höhere Zweckmäßigkeit die Vernichtung der gegenwärtig herrschenden


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[0575] Zur Rechtfertigung des Krieges den man mit weit größerem Recht einen modernen Chopin nennen könnte als Eduard Grieg trotz des überstarken nationalen Einschlags in seinen Kompositionen. Und das andere Band, das Chopin mit der deutschen Musik verknüpft, heißt — Bach. Er spricht in den Briefen nie über ihn aber wir wissen von anderer Seite, wie eng sein Verhältnis zu dem Altmeister war. An Bach ist er durch seinen Lehrer Elsner geschult worden, ihm verdankt er die strenge künstlerische Disziplin, an Bach gemahnt auf Schritt und Tritt die Polyphonie seiner Schreibweise und Bach spielte er, wenn er sich auf ein Konzert vorbereitete. So haben also auch wir einen gewissen Anteil an ihm. Es gibt wohl kein deutsches Haus, wo gute Musik gepflegt wird, in dem nicht der größte polnische Tondichter seinen herzbezwingenden Zauber ausübte, in seinen Harmonien den die Völker trennenden Gegensatz auflösend in den Frieden, der höher ist als selbst die Vernunft, den sein ruheloses, armes Herz auf Erden vergeblich gesucht hat. Zur Rechtfertigung des Arieges Dr. Wilhelm Stapel- von ! arna gilt den Menschen der Völkerfriede als eins der höchsten Entwicklungsziele der Menschheit? Weil es, wie man sagt, ein¬ leuchtet, daß er von der Zweckmäßigkeit, der Moral und der Religion gefordert wird. ^ Von der Zweckmäßigkeit: kein Krieg ohne Menschen- und Gütervernichtung, ohne Vernichtung stofflicher und geistiger Werte. ES mag zwar Fälle geben, in denen ein solches Vertilgen in kleinerem oder größerem Umfange für die Entwicklung zweckmäßig ist. Das ließe sich aber besser syste¬ matisch nach Gesetzen regeln als durch den Krieg; denn der vernichtet ja doch nur blind Faules und Gesundes, Schwaches und Starkes zugleich, oft genug uur das Gesunde und Starke. Wie aber, wenn man fragt: wonach wäre zu entscheiden, was vertilgt werden muß? Wir halten heute den Untergang der antiken Welt zumeist für notwendig und durch die folgende Entwicklung gerecht¬ fertigt. Man kann freilich auch da zweifeln: tun wir es mit Recht? Genug, wir tun es. Aber man setze: nicht die rohe Kraft von Barbarenhorden, sondern Seneca hätte darüber zu entscheiden gehabt, ob die Ausrottung der griechisch¬ römischen Kultur bis an die Wurzeln nötig wart — — Wer will heute sagen, ob nicht eine höhere Zweckmäßigkeit die Vernichtung der gegenwärtig herrschenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/575>, abgerufen am 15.01.2025.