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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Eine neue Linhoitsstcnographie für Deutschland

Da will einer seinem Freunde einen letzten Liebesdienst tun und holt aus
der Stallnische Striegel, Fett und Bürstchen, streicht dein Tier das glänzende Fell
und schmiert auf die Hufe das gelbe Fett. Da wird die Maserung des Hornes
schön deutlich und sieht aus wie Achat. Und bei der ganzen Arbeit bleibt Karl
tief gebückt oder wendet wenigstens daS Gesicht ab. Denn aus der Wehmut des
Trennungsschmerzes tropfen ihm leise Tränen, die die anderen nicht sehen sollen;
nicht einmal die Tante. Als die Arbeit beendet ist, sagt er:

„So, jetzert macht euch fort, ihr zwei!"

Der Bursche klopft dem Tiere noch einmal die Schenkel, wirft seine Arme
stürmisch um deu Pferdchals und trägt die Putzutensilien in den Stall zurück.

„Tante Seelchen, mach du das Tor auf!"

Er will im Stalle bleiben, bis das Tier fort ist; er kann ihm nicht nach¬
sehen. Nein, nein, das ist zu hart! Und so bleibt er im leeren Pferdestall, bis
im Hose wieder alles stille ist und Tante Seelchen ihn ruft. Als sie in der
Küche sind, glänzen keine Tränen mehr in seinen Augenwinkeln.

Tante Seelchen deckt den Tisch zum Nachtessen. Sie holt zwei Teller von
dem Brett herunter — Karl denkt mit Schmerz: sonst warens vier — nimmt aus
der Schublade Gabeln und Messer und stellt das Geschirr aus den Tisch, dessen
Platte Karl zuvor mit einem auf einen Stock aufgerollten Wachstuch bedeckt hat.
Dann schöpft sie die größten Kartoffeln aus der auf dem Herde stehenden Pfanne
und Eier und Salat aus einer Schüssel auf die Teller. Danach stellen sich die
beiden Menschen hinter die Stühle, bekreuzen sich und beten, die gefalteten Hände
auf den Stuhllehnen. Still und ohne Gespräch essen sie. Landleute sind das so
gewohnt; man hat keine Zeit, beim Essen anderes zu tun als zu essen.

Nach dem Mahle sagt .Karl:

„Tante Seelchen, was ist's jetzert so still bei uns. Fast unheimlich still!"

„Nur keine Angst haben, lieber Bub, jetzert Spuk ich das Geschirr, da klapperts
und rappelts!"

Beim Geschirrspülen sagt sie dann mit ihrer reifen, beruhigenden Stimme:

„Da setz dich mal neben mich, Bub. Ich hab dir noch verschiedenes zu sagen l"

(Fortsetzung folgt)




Gine neue Ginheitsstenographie für Deutschland
als „Hchul- und Verkehrsschrift"
Max Lonradi- Von Landtagsstenograph

in 29. und 30. April d. Is. haben im preußischen Kultusministerium
Verhandlungen eines aus dreiundzwanzig Mitgliedern bestehenden
Sachverständigenausschusses stattgefunden, um an Stelle der mit¬
einander streitenden Systeme eine Einheitsstenographie zu schaffen.
Mit der Leitung der Verhandlungen hatte der Reichskanzler den
Geheimen Regierungsrat und vortragenden Rat im Kultusministerium Klatt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/46>, abgerufen am 22.01.2025.