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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Südafrikanische Lindrücke

gegraben worden: zwei Kilometer lang, einen Kilometer breit, hundert Meter
tief. Unten schimmert der Grund blaugrau, scharf sich absehend von dem
rötlich-gelblichen Gestein der Seitenwände. Auf dem blau-grauen Boden wimmelt
es, wie in einem Ameisenhaufen. Dort arbeiten achttausend Schwarze ununter?
brochen, Tag und Nacht, wochentags und Sonntags; hauen das Gestein ab,
beladen kleine Wagen damit, bringen sie an die Seilbahn. Und in unend¬
licher Reihe laufen diese Wagen den Berg hinauf, hinein in gewaltige Fabrik¬
anlagen. Dort werden sie in Mörser entladen, die das Gestein in kleine Teile
zermalmen. Noch einmal wird es zerkleinert, dann wieder durch Wasser über
Siebe getrieben. So gehen in jedem Monat über eine Million dieser kleinen
Wagen den Berg hinauf und werden verarbeitet; so schnell verarbeitet, daß die
Diamanten, die am Morgen noch tief im Gestein geschlummert haben, schon
am Nachmittag vom Sortierer in kleine Säckchen gepackt werden. Und dieses
ganze, in sich abgeschlossene, aufs äußerste durchgebildete Verfahren mit all
seinen verschiedenartigen Maschinen und Vorrichtungen ist in zehn Jahren
geschaffen worden; geschaffen worden, obwohl nichts Ähnliches ihm als Vorbild
dienen konnte, obwohl jedes Verfahren, jede Maschine neu erprobt werden
mußte. Noch im Jahre 1902 ließ hier ein Bur sein Vieh zur Weide gehen
und sich aus dem kümmerlichen Gras der Steppe seine Nahrung suchen.

Es ist ein eigentümlicher Gedanke, daß all dieses eines Tages verschwinden,
überflüssig werden könnte: daß diese Werke, die, wie die Debeers-Minen, jetzt
täglich für 400000 Mark Werte schaffen, zum Stillstand verurteilt werden
könnten. Es brauchte nur einem Gelehrten zu gelingen, den genügenden Druck
zu erzeugen, um statt der winzigen Splitter, die er bis jetzt erzeugte, größere
Diamanten aus der Kohle zu kristallisieren. Es brauchte nur der Mode, also
der Gesamtheit der Frauen, zu gefallen, sich mit kleinen Muscheln oder mit
Schwefelkies zu schmücken -- und all das. was hier aus dem Nichts gezaubert
worden ist, würde wieder in das Nichts versinken.


5. Der Rand

Die Gegend zwischen Kimberley und Johannesburg ist keineswegs erfreu¬
licher als anderswo in Südafrika: womöglich noch flacher, trockener, reizloser
als sonst. Man achtet kaum darauf, daß der Zug in einer kleinen Senkung --
Tal kann man es nicht nennen -- entlang fährt. Wenige Kilometer zur Rechten
und zur Linken hebt sich das Gelände wieder zu flachen Hügeln. Erst wenn
man aus der Erde unvermittelt hier und da steile, vielleicht 20 Meter hohe
Hügel aus blendend weißem Gestein emporsteigen sieht, daneben langgestreckte
Fabrikanlagen mit Förderschächten und rauchenden Schornsteinen, dann durchzuckt
den Reisenden das Gefühl: jetzt sind wir im Lande des Goldes.

In der Tat: unter dieser nüchternen, kahlen Oberfläche birgt die Erde die
reichsten Goldvorräte, die bisher gefunden worden sind. Mitten durch die un¬
fruchtbare Ebene zieht sich ein hundert Kilometer langer, wenige tausend Meter


Südafrikanische Lindrücke

gegraben worden: zwei Kilometer lang, einen Kilometer breit, hundert Meter
tief. Unten schimmert der Grund blaugrau, scharf sich absehend von dem
rötlich-gelblichen Gestein der Seitenwände. Auf dem blau-grauen Boden wimmelt
es, wie in einem Ameisenhaufen. Dort arbeiten achttausend Schwarze ununter?
brochen, Tag und Nacht, wochentags und Sonntags; hauen das Gestein ab,
beladen kleine Wagen damit, bringen sie an die Seilbahn. Und in unend¬
licher Reihe laufen diese Wagen den Berg hinauf, hinein in gewaltige Fabrik¬
anlagen. Dort werden sie in Mörser entladen, die das Gestein in kleine Teile
zermalmen. Noch einmal wird es zerkleinert, dann wieder durch Wasser über
Siebe getrieben. So gehen in jedem Monat über eine Million dieser kleinen
Wagen den Berg hinauf und werden verarbeitet; so schnell verarbeitet, daß die
Diamanten, die am Morgen noch tief im Gestein geschlummert haben, schon
am Nachmittag vom Sortierer in kleine Säckchen gepackt werden. Und dieses
ganze, in sich abgeschlossene, aufs äußerste durchgebildete Verfahren mit all
seinen verschiedenartigen Maschinen und Vorrichtungen ist in zehn Jahren
geschaffen worden; geschaffen worden, obwohl nichts Ähnliches ihm als Vorbild
dienen konnte, obwohl jedes Verfahren, jede Maschine neu erprobt werden
mußte. Noch im Jahre 1902 ließ hier ein Bur sein Vieh zur Weide gehen
und sich aus dem kümmerlichen Gras der Steppe seine Nahrung suchen.

Es ist ein eigentümlicher Gedanke, daß all dieses eines Tages verschwinden,
überflüssig werden könnte: daß diese Werke, die, wie die Debeers-Minen, jetzt
täglich für 400000 Mark Werte schaffen, zum Stillstand verurteilt werden
könnten. Es brauchte nur einem Gelehrten zu gelingen, den genügenden Druck
zu erzeugen, um statt der winzigen Splitter, die er bis jetzt erzeugte, größere
Diamanten aus der Kohle zu kristallisieren. Es brauchte nur der Mode, also
der Gesamtheit der Frauen, zu gefallen, sich mit kleinen Muscheln oder mit
Schwefelkies zu schmücken — und all das. was hier aus dem Nichts gezaubert
worden ist, würde wieder in das Nichts versinken.


5. Der Rand

Die Gegend zwischen Kimberley und Johannesburg ist keineswegs erfreu¬
licher als anderswo in Südafrika: womöglich noch flacher, trockener, reizloser
als sonst. Man achtet kaum darauf, daß der Zug in einer kleinen Senkung —
Tal kann man es nicht nennen — entlang fährt. Wenige Kilometer zur Rechten
und zur Linken hebt sich das Gelände wieder zu flachen Hügeln. Erst wenn
man aus der Erde unvermittelt hier und da steile, vielleicht 20 Meter hohe
Hügel aus blendend weißem Gestein emporsteigen sieht, daneben langgestreckte
Fabrikanlagen mit Förderschächten und rauchenden Schornsteinen, dann durchzuckt
den Reisenden das Gefühl: jetzt sind wir im Lande des Goldes.

In der Tat: unter dieser nüchternen, kahlen Oberfläche birgt die Erde die
reichsten Goldvorräte, die bisher gefunden worden sind. Mitten durch die un¬
fruchtbare Ebene zieht sich ein hundert Kilometer langer, wenige tausend Meter


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[0378] Südafrikanische Lindrücke gegraben worden: zwei Kilometer lang, einen Kilometer breit, hundert Meter tief. Unten schimmert der Grund blaugrau, scharf sich absehend von dem rötlich-gelblichen Gestein der Seitenwände. Auf dem blau-grauen Boden wimmelt es, wie in einem Ameisenhaufen. Dort arbeiten achttausend Schwarze ununter? brochen, Tag und Nacht, wochentags und Sonntags; hauen das Gestein ab, beladen kleine Wagen damit, bringen sie an die Seilbahn. Und in unend¬ licher Reihe laufen diese Wagen den Berg hinauf, hinein in gewaltige Fabrik¬ anlagen. Dort werden sie in Mörser entladen, die das Gestein in kleine Teile zermalmen. Noch einmal wird es zerkleinert, dann wieder durch Wasser über Siebe getrieben. So gehen in jedem Monat über eine Million dieser kleinen Wagen den Berg hinauf und werden verarbeitet; so schnell verarbeitet, daß die Diamanten, die am Morgen noch tief im Gestein geschlummert haben, schon am Nachmittag vom Sortierer in kleine Säckchen gepackt werden. Und dieses ganze, in sich abgeschlossene, aufs äußerste durchgebildete Verfahren mit all seinen verschiedenartigen Maschinen und Vorrichtungen ist in zehn Jahren geschaffen worden; geschaffen worden, obwohl nichts Ähnliches ihm als Vorbild dienen konnte, obwohl jedes Verfahren, jede Maschine neu erprobt werden mußte. Noch im Jahre 1902 ließ hier ein Bur sein Vieh zur Weide gehen und sich aus dem kümmerlichen Gras der Steppe seine Nahrung suchen. Es ist ein eigentümlicher Gedanke, daß all dieses eines Tages verschwinden, überflüssig werden könnte: daß diese Werke, die, wie die Debeers-Minen, jetzt täglich für 400000 Mark Werte schaffen, zum Stillstand verurteilt werden könnten. Es brauchte nur einem Gelehrten zu gelingen, den genügenden Druck zu erzeugen, um statt der winzigen Splitter, die er bis jetzt erzeugte, größere Diamanten aus der Kohle zu kristallisieren. Es brauchte nur der Mode, also der Gesamtheit der Frauen, zu gefallen, sich mit kleinen Muscheln oder mit Schwefelkies zu schmücken — und all das. was hier aus dem Nichts gezaubert worden ist, würde wieder in das Nichts versinken. 5. Der Rand Die Gegend zwischen Kimberley und Johannesburg ist keineswegs erfreu¬ licher als anderswo in Südafrika: womöglich noch flacher, trockener, reizloser als sonst. Man achtet kaum darauf, daß der Zug in einer kleinen Senkung — Tal kann man es nicht nennen — entlang fährt. Wenige Kilometer zur Rechten und zur Linken hebt sich das Gelände wieder zu flachen Hügeln. Erst wenn man aus der Erde unvermittelt hier und da steile, vielleicht 20 Meter hohe Hügel aus blendend weißem Gestein emporsteigen sieht, daneben langgestreckte Fabrikanlagen mit Förderschächten und rauchenden Schornsteinen, dann durchzuckt den Reisenden das Gefühl: jetzt sind wir im Lande des Goldes. In der Tat: unter dieser nüchternen, kahlen Oberfläche birgt die Erde die reichsten Goldvorräte, die bisher gefunden worden sind. Mitten durch die un¬ fruchtbare Ebene zieht sich ein hundert Kilometer langer, wenige tausend Meter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/378>, abgerufen am 15.01.2025.