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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Rcichsspiegel

Als Kuriosum, das aber schlaglichtartig beleuchtet, welch ein Rattenkönig
unangenehmer Fragen mit der Lösung des Balkanproblems zusammenhängt, sei
noch registriert, daß Österreichs katholisches Sonntagsblatt ebenso wie die Zeit¬
schrift des Grafen Oppersdorff "Wahrheit und Klarheit" an die Habsbnrgische
Monarchie ganz ernsthaft die Aufforderung richten, das Schwert zu ziehen und
di G, Li, e Hagia Sofia dem römischen Katholizismus zurückzuerobern!


Aur Polenfrage

Eine Polendebatte im Landtage -- Mängel des Enteignungsgesetzes -- Polnische
Agitation

Die abgelaufene Woche hat im preußischen Landtage so etwas ähnliches
wie eine Polendebatte gebracht. Den Anlaß dazu bot eine Jnterpellation
des Abgeordneten Korfanty und Genossen über die sogenannte Anwendung des
Enteignungsgesetzes vom Jahre 1908. Die Polen suchen aus diesem Gesetz für
ihre nationalen Ziele Kapital zu schlagen und man sollte sich darüber nicht
wundern. Denn die eigenartige Begründung des Gesetzes von 1908 und vor
allen Dingen die Begründung, die es durch die Reden des Herren- und Ab¬
geordnetenhauses seinerzeit erfahren hat, gibt den Polen das schönste Agitations¬
mittel in die Hand, um die nationale Glut lebendig zu erhalten. Ich hatte
seinerzeit als Petersburger Mitarbeiter der Grenzboten nicht die Möglichkeit,
in dieser Zeitschrift selbst meine Ansichten über die Einbringung des Ent¬
eignungsgesetzes zu veröffentlichen, sondern mußte mich mit einem protestierenden
Brief begnügen. Was ich damals gegen das Gesetz anführte, beginnt sich nach
und nach einzustellen. Das ganze Gesetz hat durch die Form seiner Einbringung
den Charakter einer nationalen Angriffswnffe gegen die Polen erhalten, obwohl
es doch nur eine wirtschaftliche Abwehrmaßregel gegen das Überhand¬
nehmen der Bodenspekulation in unserer Ostmark sein konnte und wollte.

Diese Auffassung wird am besten bestätigt durch den erstmaligen Gebrauch,
den die Regierung von deur Gesetz gemacht hat. Sie hat nicht alt-polnischen
Besitz als solchen enteignet, sondern hat lediglich Grundstücke, die seit mehreren
Jahren besonders lebhaft der Bodenspekulation dienstbar waren, und in¬
folgedessen von Hand zu Hand gehend eine ungesunde Steigerung der Boden¬
preise in ihrer Gegend bewirkten, durch Enteignung dem Verkehr entzogen.
Die Regierung mußte sich bei dieser Maßnahme auf das schlechte Gesetz von
1908 stützen, da es andere Gesetze leider nicht gibt, die einen Eingriff gestatten
in wirtschaftliche Auswüchse, wie eben die Bodenspekulation einer ist.

Ich gebe zu, daß Parteikonstellation und Agitation des Ostmarkenvereins
seinerzeit die Regierung in die gefährliche Richtung gedrängt haben; das
Gesetz mag infolge einer Zwangslage gegenüber dem liberalen Prinzip vom
freien Spiel der Kräfte und gegenüber der konservativen Besorgnis vor dem
generellen Enteignungsprinzip mit dem nationalistischen Mäntelchen behängt
worden sein. Um so mehr wird die heutige Regierung auch in Zukunft danach


Rcichsspiegel

Als Kuriosum, das aber schlaglichtartig beleuchtet, welch ein Rattenkönig
unangenehmer Fragen mit der Lösung des Balkanproblems zusammenhängt, sei
noch registriert, daß Österreichs katholisches Sonntagsblatt ebenso wie die Zeit¬
schrift des Grafen Oppersdorff „Wahrheit und Klarheit" an die Habsbnrgische
Monarchie ganz ernsthaft die Aufforderung richten, das Schwert zu ziehen und
di G, Li, e Hagia Sofia dem römischen Katholizismus zurückzuerobern!


Aur Polenfrage

Eine Polendebatte im Landtage — Mängel des Enteignungsgesetzes — Polnische
Agitation

Die abgelaufene Woche hat im preußischen Landtage so etwas ähnliches
wie eine Polendebatte gebracht. Den Anlaß dazu bot eine Jnterpellation
des Abgeordneten Korfanty und Genossen über die sogenannte Anwendung des
Enteignungsgesetzes vom Jahre 1908. Die Polen suchen aus diesem Gesetz für
ihre nationalen Ziele Kapital zu schlagen und man sollte sich darüber nicht
wundern. Denn die eigenartige Begründung des Gesetzes von 1908 und vor
allen Dingen die Begründung, die es durch die Reden des Herren- und Ab¬
geordnetenhauses seinerzeit erfahren hat, gibt den Polen das schönste Agitations¬
mittel in die Hand, um die nationale Glut lebendig zu erhalten. Ich hatte
seinerzeit als Petersburger Mitarbeiter der Grenzboten nicht die Möglichkeit,
in dieser Zeitschrift selbst meine Ansichten über die Einbringung des Ent¬
eignungsgesetzes zu veröffentlichen, sondern mußte mich mit einem protestierenden
Brief begnügen. Was ich damals gegen das Gesetz anführte, beginnt sich nach
und nach einzustellen. Das ganze Gesetz hat durch die Form seiner Einbringung
den Charakter einer nationalen Angriffswnffe gegen die Polen erhalten, obwohl
es doch nur eine wirtschaftliche Abwehrmaßregel gegen das Überhand¬
nehmen der Bodenspekulation in unserer Ostmark sein konnte und wollte.

Diese Auffassung wird am besten bestätigt durch den erstmaligen Gebrauch,
den die Regierung von deur Gesetz gemacht hat. Sie hat nicht alt-polnischen
Besitz als solchen enteignet, sondern hat lediglich Grundstücke, die seit mehreren
Jahren besonders lebhaft der Bodenspekulation dienstbar waren, und in¬
folgedessen von Hand zu Hand gehend eine ungesunde Steigerung der Boden¬
preise in ihrer Gegend bewirkten, durch Enteignung dem Verkehr entzogen.
Die Regierung mußte sich bei dieser Maßnahme auf das schlechte Gesetz von
1908 stützen, da es andere Gesetze leider nicht gibt, die einen Eingriff gestatten
in wirtschaftliche Auswüchse, wie eben die Bodenspekulation einer ist.

Ich gebe zu, daß Parteikonstellation und Agitation des Ostmarkenvereins
seinerzeit die Regierung in die gefährliche Richtung gedrängt haben; das
Gesetz mag infolge einer Zwangslage gegenüber dem liberalen Prinzip vom
freien Spiel der Kräfte und gegenüber der konservativen Besorgnis vor dem
generellen Enteignungsprinzip mit dem nationalistischen Mäntelchen behängt
worden sein. Um so mehr wird die heutige Regierung auch in Zukunft danach


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[0295] Rcichsspiegel Als Kuriosum, das aber schlaglichtartig beleuchtet, welch ein Rattenkönig unangenehmer Fragen mit der Lösung des Balkanproblems zusammenhängt, sei noch registriert, daß Österreichs katholisches Sonntagsblatt ebenso wie die Zeit¬ schrift des Grafen Oppersdorff „Wahrheit und Klarheit" an die Habsbnrgische Monarchie ganz ernsthaft die Aufforderung richten, das Schwert zu ziehen und di G, Li, e Hagia Sofia dem römischen Katholizismus zurückzuerobern! Aur Polenfrage Eine Polendebatte im Landtage — Mängel des Enteignungsgesetzes — Polnische Agitation Die abgelaufene Woche hat im preußischen Landtage so etwas ähnliches wie eine Polendebatte gebracht. Den Anlaß dazu bot eine Jnterpellation des Abgeordneten Korfanty und Genossen über die sogenannte Anwendung des Enteignungsgesetzes vom Jahre 1908. Die Polen suchen aus diesem Gesetz für ihre nationalen Ziele Kapital zu schlagen und man sollte sich darüber nicht wundern. Denn die eigenartige Begründung des Gesetzes von 1908 und vor allen Dingen die Begründung, die es durch die Reden des Herren- und Ab¬ geordnetenhauses seinerzeit erfahren hat, gibt den Polen das schönste Agitations¬ mittel in die Hand, um die nationale Glut lebendig zu erhalten. Ich hatte seinerzeit als Petersburger Mitarbeiter der Grenzboten nicht die Möglichkeit, in dieser Zeitschrift selbst meine Ansichten über die Einbringung des Ent¬ eignungsgesetzes zu veröffentlichen, sondern mußte mich mit einem protestierenden Brief begnügen. Was ich damals gegen das Gesetz anführte, beginnt sich nach und nach einzustellen. Das ganze Gesetz hat durch die Form seiner Einbringung den Charakter einer nationalen Angriffswnffe gegen die Polen erhalten, obwohl es doch nur eine wirtschaftliche Abwehrmaßregel gegen das Überhand¬ nehmen der Bodenspekulation in unserer Ostmark sein konnte und wollte. Diese Auffassung wird am besten bestätigt durch den erstmaligen Gebrauch, den die Regierung von deur Gesetz gemacht hat. Sie hat nicht alt-polnischen Besitz als solchen enteignet, sondern hat lediglich Grundstücke, die seit mehreren Jahren besonders lebhaft der Bodenspekulation dienstbar waren, und in¬ folgedessen von Hand zu Hand gehend eine ungesunde Steigerung der Boden¬ preise in ihrer Gegend bewirkten, durch Enteignung dem Verkehr entzogen. Die Regierung mußte sich bei dieser Maßnahme auf das schlechte Gesetz von 1908 stützen, da es andere Gesetze leider nicht gibt, die einen Eingriff gestatten in wirtschaftliche Auswüchse, wie eben die Bodenspekulation einer ist. Ich gebe zu, daß Parteikonstellation und Agitation des Ostmarkenvereins seinerzeit die Regierung in die gefährliche Richtung gedrängt haben; das Gesetz mag infolge einer Zwangslage gegenüber dem liberalen Prinzip vom freien Spiel der Kräfte und gegenüber der konservativen Besorgnis vor dem generellen Enteignungsprinzip mit dem nationalistischen Mäntelchen behängt worden sein. Um so mehr wird die heutige Regierung auch in Zukunft danach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/295>, abgerufen am 15.01.2025.