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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

jedenfalls. Die Ähnlichkeit mit Nietzsche geht
aber noch weiter: wie jener haßt er das "Fein
niedrig sein", die Feigheit gewisser Christen.
Königlich und frei soll der Christ sein Haupt
tragen, weil er sich der schöpferischen Gottheit
verwandt weiß, und was für den Christen
überhaupt gilt, gilt für den deutschen Christen
ganz besonders. Der Grieche fragte: "Wie
verkläre ich die Welt?" Der Demsche fragt:
"Wie herrsche ich über die Welt?" In der
ersten der vier Schriften, die den Gesamt¬
titel "Zur religiösen Krisis" tragen, gibt er
diesem Gedanken in glänzender Weise Aus¬
druck. Sie ist betitelt "Zur Germanisierung
des Christentums" (Jena 1911, Eugen Die-
derichs). Fort mit wissenschaftlicher, philo¬
sophischer und ästhetischer Weltanschauung, fort
überhaupt mit jeder "Anschauung"! Nicht an¬
schauen, schaffen sollen wir, mit Leidenschaft,
mit Verzweiflung, aber nicht feige dem Kampf¬
gewühl des Lebens "vom Bagagewagen aus"
zusehen. Das Gine hat der Darwinismus,
daß er uns das Lebensgesstz des Kampfes
gelehrt hat. Immer höher hinauf soll sich der
Mensch entwickeln; ungeahnte Kräfte schlum¬
mern in seiner Seele. Es sind die höchsten:
die religiösen. Wissenschaft, Philosophie und
Kunst sind gut an ihrem Platze: mit der Neu¬
schöpfung des Menschen haben sie nichts zu tun.
Diese kann nur aus einem leidenschaftlichen
Wollen über sich hinaus stammen. Sünden¬
gefühl sollen wir nicht mehr hegen: das ist
des königlichen Germanen nicht würdig. Die
spekulativ-dogmatische Religion hellenistischen
Gepräges, die wir jetzt Christentum nennen,
ist im Gefühl des Grauens vor dem nahen
Weltunterganze entstanden. Diese zeitlich be¬
dingte Weltanschauung ist für uns Kinder der
neuen Zeit nicht mehr bindend. Das sind
etwa die Kerngedanken jener glühenden Kampf¬
schrift. In seinem neuesten Werke "Vom neuen
Mythos" bewegt sich Borns in ähnlichen Ge¬
dankengängen, nur daß er seine Willensreligion
nicht mehr ethnologisch, sondern Philosophisch
(voluntaristisch) fundiert. "Mythos" nennt er
seine Jdealreligion, um sie von Wissenschaft
und Philosophie möglichst weit abzurücken.
Am nächsten steht sie der Kunst, aber auch
diese überflügelt sie mit Adlersschwingen, weil
sie aus dem Ewigkeitswillen stammt. So gewiß
der Wille die Ureigenschaft des Kosmos ist,

[Spaltenumbruch]

so gewiß steht Religion tausendfach höher als
Wissenschaft und Philosophie. Vieles vom
Christentum wird der neue "Mythos" hinüber¬
nehmen können, vor allem die wundervolle Ge¬
stalt Christi selber, der das Ewigkeitsbewußt¬
sein des Religiösen am reinsten in sich aus¬
geprägt hat, aber jede dogmatische Einengung
muß fallen. Lieber auf erdgewachsenem, ur¬
altem Volksaberglauben soll sich der neue
"Mythos" aufbauen als auf intellektualisti-
scher Grundlage, die ihn verfälschen könnte.
Beiden Büchern gemeinsam ist eben dieser
brennende Haß gegen den kühlen Intellektua¬
lismus und ÄsthetizismuS. Lieber noch ist
Borns der starre Orthodoxe als der flache
Freigeist. Jener ist doch wenigstens im
religiösen Strome, wenn er auch darin er¬
trinkt, dieser ahnt überhaupt nichts von reli¬
giöser Leidenschaft. -- Man mag Borns einen
paradoxen Kopf nennen, der bisweilen selbst
die sophistische Spitzfindigkeit, ja den Wortwitz
nichtverschinäht(vergleichewiederum Nietzschel):
als ein überaus geistreicher Schriftsteller und
ein religiöser Mensch von dämonischer Leiden¬
schaft verdient er von vielen gelesen zu werden.
Richt umsonst hat er jahrelang in der islän¬
dischen Sagenwelt gelebt: eine urgermanische
Frische und ein wilder Wikingerzorn leben in
Dr. Hansemann diesen Büchern.

Geschichte

Die noch fehlende Geschichte der Se"de
Berlin. Erst kürzlich hat Geh. Rat Dr. Flügge
in einer Zuschrift an den Berliner Lokal-
Anzeiger -- allerdings, an diesen -- nach
Männern gerufen, die Zeit hätten, eine Be¬
schreibung der Geschichte Berlins zu unter¬
nehmen. Nicht nach Art des von Fidicin,
Streckfuß, Schwebe! und Clauswitz Gegebenen,
sondern ein allgemein lesbares Werk auf der
Grundlage strengster Wissenschaftlichkeit. Wie-
derholentlich betont Geh. Rat Flügge, daß
sehr viel Zeit dafür die entscheidende Vor¬
bedingung sei; es sieht fast aus, als solle der
kundige Leser von selbst die algebraische
Gleichung "Zeit ist Geld" zur Vervollständi¬
gung des Ansatzes einfügen. Dann aber
würde sich immer noch fragen, mit wessen
Geld. Die Scylla lähmender Wohlhabenheit
eines Autors liegt da der Charybdis einer
"hochherzigen Spende" aus Kreisen gegen-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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jedenfalls. Die Ähnlichkeit mit Nietzsche geht
aber noch weiter: wie jener haßt er das „Fein
niedrig sein", die Feigheit gewisser Christen.
Königlich und frei soll der Christ sein Haupt
tragen, weil er sich der schöpferischen Gottheit
verwandt weiß, und was für den Christen
überhaupt gilt, gilt für den deutschen Christen
ganz besonders. Der Grieche fragte: „Wie
verkläre ich die Welt?" Der Demsche fragt:
„Wie herrsche ich über die Welt?" In der
ersten der vier Schriften, die den Gesamt¬
titel „Zur religiösen Krisis" tragen, gibt er
diesem Gedanken in glänzender Weise Aus¬
druck. Sie ist betitelt „Zur Germanisierung
des Christentums" (Jena 1911, Eugen Die-
derichs). Fort mit wissenschaftlicher, philo¬
sophischer und ästhetischer Weltanschauung, fort
überhaupt mit jeder „Anschauung"! Nicht an¬
schauen, schaffen sollen wir, mit Leidenschaft,
mit Verzweiflung, aber nicht feige dem Kampf¬
gewühl des Lebens „vom Bagagewagen aus"
zusehen. Das Gine hat der Darwinismus,
daß er uns das Lebensgesstz des Kampfes
gelehrt hat. Immer höher hinauf soll sich der
Mensch entwickeln; ungeahnte Kräfte schlum¬
mern in seiner Seele. Es sind die höchsten:
die religiösen. Wissenschaft, Philosophie und
Kunst sind gut an ihrem Platze: mit der Neu¬
schöpfung des Menschen haben sie nichts zu tun.
Diese kann nur aus einem leidenschaftlichen
Wollen über sich hinaus stammen. Sünden¬
gefühl sollen wir nicht mehr hegen: das ist
des königlichen Germanen nicht würdig. Die
spekulativ-dogmatische Religion hellenistischen
Gepräges, die wir jetzt Christentum nennen,
ist im Gefühl des Grauens vor dem nahen
Weltunterganze entstanden. Diese zeitlich be¬
dingte Weltanschauung ist für uns Kinder der
neuen Zeit nicht mehr bindend. Das sind
etwa die Kerngedanken jener glühenden Kampf¬
schrift. In seinem neuesten Werke „Vom neuen
Mythos" bewegt sich Borns in ähnlichen Ge¬
dankengängen, nur daß er seine Willensreligion
nicht mehr ethnologisch, sondern Philosophisch
(voluntaristisch) fundiert. „Mythos" nennt er
seine Jdealreligion, um sie von Wissenschaft
und Philosophie möglichst weit abzurücken.
Am nächsten steht sie der Kunst, aber auch
diese überflügelt sie mit Adlersschwingen, weil
sie aus dem Ewigkeitswillen stammt. So gewiß
der Wille die Ureigenschaft des Kosmos ist,

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so gewiß steht Religion tausendfach höher als
Wissenschaft und Philosophie. Vieles vom
Christentum wird der neue „Mythos" hinüber¬
nehmen können, vor allem die wundervolle Ge¬
stalt Christi selber, der das Ewigkeitsbewußt¬
sein des Religiösen am reinsten in sich aus¬
geprägt hat, aber jede dogmatische Einengung
muß fallen. Lieber auf erdgewachsenem, ur¬
altem Volksaberglauben soll sich der neue
„Mythos" aufbauen als auf intellektualisti-
scher Grundlage, die ihn verfälschen könnte.
Beiden Büchern gemeinsam ist eben dieser
brennende Haß gegen den kühlen Intellektua¬
lismus und ÄsthetizismuS. Lieber noch ist
Borns der starre Orthodoxe als der flache
Freigeist. Jener ist doch wenigstens im
religiösen Strome, wenn er auch darin er¬
trinkt, dieser ahnt überhaupt nichts von reli¬
giöser Leidenschaft. — Man mag Borns einen
paradoxen Kopf nennen, der bisweilen selbst
die sophistische Spitzfindigkeit, ja den Wortwitz
nichtverschinäht(vergleichewiederum Nietzschel):
als ein überaus geistreicher Schriftsteller und
ein religiöser Mensch von dämonischer Leiden¬
schaft verdient er von vielen gelesen zu werden.
Richt umsonst hat er jahrelang in der islän¬
dischen Sagenwelt gelebt: eine urgermanische
Frische und ein wilder Wikingerzorn leben in
Dr. Hansemann diesen Büchern.

Geschichte

Die noch fehlende Geschichte der Se»de
Berlin. Erst kürzlich hat Geh. Rat Dr. Flügge
in einer Zuschrift an den Berliner Lokal-
Anzeiger — allerdings, an diesen — nach
Männern gerufen, die Zeit hätten, eine Be¬
schreibung der Geschichte Berlins zu unter¬
nehmen. Nicht nach Art des von Fidicin,
Streckfuß, Schwebe! und Clauswitz Gegebenen,
sondern ein allgemein lesbares Werk auf der
Grundlage strengster Wissenschaftlichkeit. Wie-
derholentlich betont Geh. Rat Flügge, daß
sehr viel Zeit dafür die entscheidende Vor¬
bedingung sei; es sieht fast aus, als solle der
kundige Leser von selbst die algebraische
Gleichung „Zeit ist Geld" zur Vervollständi¬
gung des Ansatzes einfügen. Dann aber
würde sich immer noch fragen, mit wessen
Geld. Die Scylla lähmender Wohlhabenheit
eines Autors liegt da der Charybdis einer
„hochherzigen Spende" aus Kreisen gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/540>, abgerufen am 29.06.2024.