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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Gesichtspunkt darzustellen, daß vom armen
Schiller nicht mehr im Ton des Mitleids
gesprochen werde, sondern daß sein Gedächtnis
uns erscheine als das Bild des heldenhaften
Überwinders leidvoller Schicksale. Mit solchen
"leitenden Gedanken" ist es bei biographischen
Darstellungen noch mehr als anderwärts eine
recht mißliche Sache. Ganz abgesehen davon,
daß dies nicht Grund genug ist, eine neue
Schillerbiographie zu schreiben, ist auch bei
einem so starr vorgefaßten Gesichtspunkt, der
fast eine Tendenz zu nennen ist, die Gefahr
zu groß, alle Einzelheiten eines reichen und
großen Lebens willkürlich für die eigene Achse
zurecht zu biegen.

Man kann sich keine Schicht des deutschen
Volkes denken, dessen spezifischem Bildungs¬
grad dieses Werk entspräche. Hofgeschichten
und Häuslichkeiten sind mit einer Ausführ¬
lichkeit herangezogen, die eines philologischen
Quellenwerkes würdig wären, wichtige Pro¬
bleme, z. B. die Psyche desHistorikersSchillers,
vernachlässigt. Alles Wichtige ist mit der leichten
Handbewegung des Rezensenten, alles Neben¬
sächliche mit der Breite und Ausführlichkeit des
Historikers, des Fachmanns gehandhabt. Der
innere, unterhalb der Oberfläche liegende Gehalt
der Werke ist kaum berührt. Das eigentliche
Problem einer Schillerbiographie, des Dichters
lebendiger Anteil an unserm Sein und Schaffen,
ist in keiner Hinsicht gelöst. Ein Bilderbuch mit
Text über Schillers Leben und seine Freunde
R. M. stellt das Werk dar.

Kulturgeschichte

Nochmals die Vermutung betreffend Rübe¬
zahl. Meine unausgesprochene, aber Wohl aus
der ganzen Haltung des kleinen Aufsatzes in
Ur. 42 der Grenzboten hervorgehende Erwar¬
tung, daß ein Bergkundiger sich dazu äußern
werde, hat sich nach einer gewissen Richtung
erfüllt. Eine Zuschrift macht darauf aufmerk¬
sam, daß der Federbusch des Bergknappen sehr
Wohl praktischen Zweck habe bezüglicherweise
hatte, denn er wirke beim Niedrigerwerden des
Ganges wie ein Fühlhorn, wohingegen dem
"Rübenzagel" die Elastizität gefehlt hätte.

[Spaltenumbruch]

Heute, und schon lange, sei übrigens der spitze
Schachthut in Gebrauch, der Federbusch bei der
Arbeit in Abgang gekommen. -- Ich gestehe
nunmehr gern ein, daß ich nicht nur diesen,
sondern mehrere andere Gesichtspunkte um der
lieben wissenschaftlichen Vorsicht willen ganz
bewußt aus dem Spiele ließ. So z. B. die
Frage, ob der Volksmund etwa mit absichtlicher
Hindeutung fast überall "Schachtelhalm" statt
Schaftelhalm sagt. Und den Nutzen von
Krähen- oder Gänsefedern, die über dem Hut¬
deckel vertikal emporragen, hatte ich in Höhlen¬
gängen selbst ausprobiert. Desto mehr setzte
es mich in Verwunderung, daß der Parade¬
busch, soweit die mir zugängigen Abbildungen
erkennen ließen, gar keine elastischen Federn
enthält, sondern ziemlich durchweg eine "Pci-
nache" darstellt, also eher einer verkürzten
Ausgabe der Hängebüsche aus den Generals¬
hüten verschiedener Armeen gleicht. Es wäre
mithin sehr wünschenswert, wenn die Genesis
des Bergmannsfederbusches vom sozusagen
berghistorischen Standpunkte einmal kurz er¬
läutert würde. Völlig ohne überlieferte An¬
haltspunkte wird man hier gewiß nicht sein. --
Bei dieser Gelegenheit wäre noch einmal auf
die Struktur aller Wunderblumensagen hin¬
zuweisen. Wer die Blume findet und aufsteckt,
sieht auf der Stelle die Schatzhöhle mit oder
ohne Tür, nach der ihr Besitz hinleitet. Wer
sie aber beim Raffen drinnen verliert, ist ent¬
weder sogleich deS Todes, oder er bezahlt
den Gewinn mit dem Verlust eines Gliedes.
Die Blume ist also Wegweiser und Schutz¬
amulett zu gleicher Zeit, und es wird kaum
zu leugnen sein, daß hier ein spezifisch bergmän¬
nisches Sagenmotiv aus primitiven Epochen
der Mutung vorliegt. Der tückische Berg¬
dämon ist an sein Pflanzensymbol gebunden,
aber er wirft den Zwang zur Duldung des
Menschen im Berginnern sofort jählings ab,
wenn der Eindringling sich von dem Amulete
trennt. Dieser klare Zusammenhang in der
alten Vorstellung schien mir zu erlauben, an
den Nachweis des "Rübenzagels" auch als
eines Pflanzeunamens eine kongruente Hypo¬
Lark Niebuhr these anzuknüpfen.

[Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Gesichtspunkt darzustellen, daß vom armen
Schiller nicht mehr im Ton des Mitleids
gesprochen werde, sondern daß sein Gedächtnis
uns erscheine als das Bild des heldenhaften
Überwinders leidvoller Schicksale. Mit solchen
„leitenden Gedanken" ist es bei biographischen
Darstellungen noch mehr als anderwärts eine
recht mißliche Sache. Ganz abgesehen davon,
daß dies nicht Grund genug ist, eine neue
Schillerbiographie zu schreiben, ist auch bei
einem so starr vorgefaßten Gesichtspunkt, der
fast eine Tendenz zu nennen ist, die Gefahr
zu groß, alle Einzelheiten eines reichen und
großen Lebens willkürlich für die eigene Achse
zurecht zu biegen.

Man kann sich keine Schicht des deutschen
Volkes denken, dessen spezifischem Bildungs¬
grad dieses Werk entspräche. Hofgeschichten
und Häuslichkeiten sind mit einer Ausführ¬
lichkeit herangezogen, die eines philologischen
Quellenwerkes würdig wären, wichtige Pro¬
bleme, z. B. die Psyche desHistorikersSchillers,
vernachlässigt. Alles Wichtige ist mit der leichten
Handbewegung des Rezensenten, alles Neben¬
sächliche mit der Breite und Ausführlichkeit des
Historikers, des Fachmanns gehandhabt. Der
innere, unterhalb der Oberfläche liegende Gehalt
der Werke ist kaum berührt. Das eigentliche
Problem einer Schillerbiographie, des Dichters
lebendiger Anteil an unserm Sein und Schaffen,
ist in keiner Hinsicht gelöst. Ein Bilderbuch mit
Text über Schillers Leben und seine Freunde
R. M. stellt das Werk dar.

Kulturgeschichte

Nochmals die Vermutung betreffend Rübe¬
zahl. Meine unausgesprochene, aber Wohl aus
der ganzen Haltung des kleinen Aufsatzes in
Ur. 42 der Grenzboten hervorgehende Erwar¬
tung, daß ein Bergkundiger sich dazu äußern
werde, hat sich nach einer gewissen Richtung
erfüllt. Eine Zuschrift macht darauf aufmerk¬
sam, daß der Federbusch des Bergknappen sehr
Wohl praktischen Zweck habe bezüglicherweise
hatte, denn er wirke beim Niedrigerwerden des
Ganges wie ein Fühlhorn, wohingegen dem
„Rübenzagel" die Elastizität gefehlt hätte.

[Spaltenumbruch]

Heute, und schon lange, sei übrigens der spitze
Schachthut in Gebrauch, der Federbusch bei der
Arbeit in Abgang gekommen. — Ich gestehe
nunmehr gern ein, daß ich nicht nur diesen,
sondern mehrere andere Gesichtspunkte um der
lieben wissenschaftlichen Vorsicht willen ganz
bewußt aus dem Spiele ließ. So z. B. die
Frage, ob der Volksmund etwa mit absichtlicher
Hindeutung fast überall „Schachtelhalm" statt
Schaftelhalm sagt. Und den Nutzen von
Krähen- oder Gänsefedern, die über dem Hut¬
deckel vertikal emporragen, hatte ich in Höhlen¬
gängen selbst ausprobiert. Desto mehr setzte
es mich in Verwunderung, daß der Parade¬
busch, soweit die mir zugängigen Abbildungen
erkennen ließen, gar keine elastischen Federn
enthält, sondern ziemlich durchweg eine „Pci-
nache" darstellt, also eher einer verkürzten
Ausgabe der Hängebüsche aus den Generals¬
hüten verschiedener Armeen gleicht. Es wäre
mithin sehr wünschenswert, wenn die Genesis
des Bergmannsfederbusches vom sozusagen
berghistorischen Standpunkte einmal kurz er¬
läutert würde. Völlig ohne überlieferte An¬
haltspunkte wird man hier gewiß nicht sein. —
Bei dieser Gelegenheit wäre noch einmal auf
die Struktur aller Wunderblumensagen hin¬
zuweisen. Wer die Blume findet und aufsteckt,
sieht auf der Stelle die Schatzhöhle mit oder
ohne Tür, nach der ihr Besitz hinleitet. Wer
sie aber beim Raffen drinnen verliert, ist ent¬
weder sogleich deS Todes, oder er bezahlt
den Gewinn mit dem Verlust eines Gliedes.
Die Blume ist also Wegweiser und Schutz¬
amulett zu gleicher Zeit, und es wird kaum
zu leugnen sein, daß hier ein spezifisch bergmän¬
nisches Sagenmotiv aus primitiven Epochen
der Mutung vorliegt. Der tückische Berg¬
dämon ist an sein Pflanzensymbol gebunden,
aber er wirft den Zwang zur Duldung des
Menschen im Berginnern sofort jählings ab,
wenn der Eindringling sich von dem Amulete
trennt. Dieser klare Zusammenhang in der
alten Vorstellung schien mir zu erlauben, an
den Nachweis des „Rübenzagels" auch als
eines Pflanzeunamens eine kongruente Hypo¬
Lark Niebuhr these anzuknüpfen.

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[0104] Maßgebliches und Unmaßgebliches Gesichtspunkt darzustellen, daß vom armen Schiller nicht mehr im Ton des Mitleids gesprochen werde, sondern daß sein Gedächtnis uns erscheine als das Bild des heldenhaften Überwinders leidvoller Schicksale. Mit solchen „leitenden Gedanken" ist es bei biographischen Darstellungen noch mehr als anderwärts eine recht mißliche Sache. Ganz abgesehen davon, daß dies nicht Grund genug ist, eine neue Schillerbiographie zu schreiben, ist auch bei einem so starr vorgefaßten Gesichtspunkt, der fast eine Tendenz zu nennen ist, die Gefahr zu groß, alle Einzelheiten eines reichen und großen Lebens willkürlich für die eigene Achse zurecht zu biegen. Man kann sich keine Schicht des deutschen Volkes denken, dessen spezifischem Bildungs¬ grad dieses Werk entspräche. Hofgeschichten und Häuslichkeiten sind mit einer Ausführ¬ lichkeit herangezogen, die eines philologischen Quellenwerkes würdig wären, wichtige Pro¬ bleme, z. B. die Psyche desHistorikersSchillers, vernachlässigt. Alles Wichtige ist mit der leichten Handbewegung des Rezensenten, alles Neben¬ sächliche mit der Breite und Ausführlichkeit des Historikers, des Fachmanns gehandhabt. Der innere, unterhalb der Oberfläche liegende Gehalt der Werke ist kaum berührt. Das eigentliche Problem einer Schillerbiographie, des Dichters lebendiger Anteil an unserm Sein und Schaffen, ist in keiner Hinsicht gelöst. Ein Bilderbuch mit Text über Schillers Leben und seine Freunde R. M. stellt das Werk dar. Kulturgeschichte Nochmals die Vermutung betreffend Rübe¬ zahl. Meine unausgesprochene, aber Wohl aus der ganzen Haltung des kleinen Aufsatzes in Ur. 42 der Grenzboten hervorgehende Erwar¬ tung, daß ein Bergkundiger sich dazu äußern werde, hat sich nach einer gewissen Richtung erfüllt. Eine Zuschrift macht darauf aufmerk¬ sam, daß der Federbusch des Bergknappen sehr Wohl praktischen Zweck habe bezüglicherweise hatte, denn er wirke beim Niedrigerwerden des Ganges wie ein Fühlhorn, wohingegen dem „Rübenzagel" die Elastizität gefehlt hätte. Heute, und schon lange, sei übrigens der spitze Schachthut in Gebrauch, der Federbusch bei der Arbeit in Abgang gekommen. — Ich gestehe nunmehr gern ein, daß ich nicht nur diesen, sondern mehrere andere Gesichtspunkte um der lieben wissenschaftlichen Vorsicht willen ganz bewußt aus dem Spiele ließ. So z. B. die Frage, ob der Volksmund etwa mit absichtlicher Hindeutung fast überall „Schachtelhalm" statt Schaftelhalm sagt. Und den Nutzen von Krähen- oder Gänsefedern, die über dem Hut¬ deckel vertikal emporragen, hatte ich in Höhlen¬ gängen selbst ausprobiert. Desto mehr setzte es mich in Verwunderung, daß der Parade¬ busch, soweit die mir zugängigen Abbildungen erkennen ließen, gar keine elastischen Federn enthält, sondern ziemlich durchweg eine „Pci- nache" darstellt, also eher einer verkürzten Ausgabe der Hängebüsche aus den Generals¬ hüten verschiedener Armeen gleicht. Es wäre mithin sehr wünschenswert, wenn die Genesis des Bergmannsfederbusches vom sozusagen berghistorischen Standpunkte einmal kurz er¬ läutert würde. Völlig ohne überlieferte An¬ haltspunkte wird man hier gewiß nicht sein. — Bei dieser Gelegenheit wäre noch einmal auf die Struktur aller Wunderblumensagen hin¬ zuweisen. Wer die Blume findet und aufsteckt, sieht auf der Stelle die Schatzhöhle mit oder ohne Tür, nach der ihr Besitz hinleitet. Wer sie aber beim Raffen drinnen verliert, ist ent¬ weder sogleich deS Todes, oder er bezahlt den Gewinn mit dem Verlust eines Gliedes. Die Blume ist also Wegweiser und Schutz¬ amulett zu gleicher Zeit, und es wird kaum zu leugnen sein, daß hier ein spezifisch bergmän¬ nisches Sagenmotiv aus primitiven Epochen der Mutung vorliegt. Der tückische Berg¬ dämon ist an sein Pflanzensymbol gebunden, aber er wirft den Zwang zur Duldung des Menschen im Berginnern sofort jählings ab, wenn der Eindringling sich von dem Amulete trennt. Dieser klare Zusammenhang in der alten Vorstellung schien mir zu erlauben, an den Nachweis des „Rübenzagels" auch als eines Pflanzeunamens eine kongruente Hypo¬ Lark Niebuhr these anzuknüpfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/104>, abgerufen am 29.06.2024.