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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottland

Leute fragt, die es wirklich wissen könnten und müßten, was Baron Ganthas für
Pläne hat, wenn die Ausgleichsverhandlungen scheitern sollten, so erhält man die
sehr bestimmt klingende Antwort: überhaupt keine. Und jeder, der Ganthas als
Politiker kennt, wird es gerne glauben.

Inzwischen vergeht wieder kostbare Zeit; alles wird hinausgeschoben. Die
nächsten Monate werden ganz der Agitation wegen der Teuerung gehören und
der Weizen der Sozialdemokraten blüht. Die Regierung wird weder etwas Energisches
gegen die Teuerung tun, noch wird sie die Agitation energisch in ihre Grenzen
zurückweisen können. Ungeheure Redeströme werden sich im Parlament über den
Gegenstand ergießen, da natürlich auch die bürgerlichen Parteien nicht hinter den
Sozialdemokraten zurückbleiben wollen. Nach einigen Monaten wird das Mini¬
sterium Ganthas abgewirtschaftet haben und man erörtert schon -- übrigens seit
dem Augenblick, wo Ganthas das Ministerium übernahm -- die Frage der Nach¬
folgerschaft. Der frühere Finanzminister Bninski scheint die meisten Aussichten zu
haben: Pole, ein bißchen "verwienert" (eine besondere Spielart der Germanisation),
ebenso klug wie frivol. Er ist natürlich auch nicht der Mann, Österreichs Schäden
zu heilen, weil die Frivolität doch schließlich nicht den Mut der eigenen Meinung
ersetzen kann (obwohl sie manchmal damit eine äußere Ähnlichkeit hat). Es heißt,
daß der Thronfolger mit der Rückkehr Bienerths rechne, wogegen dieser sich freilich
selbst am meisten sträuben würde. Aber Bienerth hat nur eine Eigenschaft, die
ein Staatsmann wohl brauchen kann: gute Nerven; und die brachten es immerhin
mit sich, daß er sich wenigstens nicht vor seinem eigenen Schatten gefürchtet hat.
Zwei Dinge haben ihm aber gleichermaßen gefehlt: das "heilige Feuer" der
Schaffensfreudigkeit und, als Voraussetzung dazu, der Gedankenreichtum, der dieses
heilige Feuer erst entzündet.

Bis auf weiteres bedeuten Namen in der österreichischen Politik nichts; man
kann höchstens bedauern, wenn Leute, die noch Pulver zu verschießen haben sich
,
-- i -- unnütz verbrauchen.




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
von Julius R. Kaarhaus IV.

In diesem Jahre hielt der Freiherr v. Friemersheim darauf, daß der Sommer¬
weizen, wie es eine alte Bauernregel fordert, in der Marterwoche gesät wurde.
Und dabei fiel das Osterfest erst auf den 23. April. Früher hatte er immer nur
gelacht, wenn ihn der alte Gerhard bei der Frühjahrsbestellung an die bewährte
Regel erinnert hatte, aber diesmal meinte er selbst, er müsse doch einmal ver¬
suchen, ob was Wahres daran sei, und da er ja nicht viel Dünger zu ver¬
schwenden habe, so wolle er dem Weizen wenigstens den Segen zugute kommen


Das Glück des Hauses Rottland

Leute fragt, die es wirklich wissen könnten und müßten, was Baron Ganthas für
Pläne hat, wenn die Ausgleichsverhandlungen scheitern sollten, so erhält man die
sehr bestimmt klingende Antwort: überhaupt keine. Und jeder, der Ganthas als
Politiker kennt, wird es gerne glauben.

Inzwischen vergeht wieder kostbare Zeit; alles wird hinausgeschoben. Die
nächsten Monate werden ganz der Agitation wegen der Teuerung gehören und
der Weizen der Sozialdemokraten blüht. Die Regierung wird weder etwas Energisches
gegen die Teuerung tun, noch wird sie die Agitation energisch in ihre Grenzen
zurückweisen können. Ungeheure Redeströme werden sich im Parlament über den
Gegenstand ergießen, da natürlich auch die bürgerlichen Parteien nicht hinter den
Sozialdemokraten zurückbleiben wollen. Nach einigen Monaten wird das Mini¬
sterium Ganthas abgewirtschaftet haben und man erörtert schon — übrigens seit
dem Augenblick, wo Ganthas das Ministerium übernahm — die Frage der Nach¬
folgerschaft. Der frühere Finanzminister Bninski scheint die meisten Aussichten zu
haben: Pole, ein bißchen „verwienert" (eine besondere Spielart der Germanisation),
ebenso klug wie frivol. Er ist natürlich auch nicht der Mann, Österreichs Schäden
zu heilen, weil die Frivolität doch schließlich nicht den Mut der eigenen Meinung
ersetzen kann (obwohl sie manchmal damit eine äußere Ähnlichkeit hat). Es heißt,
daß der Thronfolger mit der Rückkehr Bienerths rechne, wogegen dieser sich freilich
selbst am meisten sträuben würde. Aber Bienerth hat nur eine Eigenschaft, die
ein Staatsmann wohl brauchen kann: gute Nerven; und die brachten es immerhin
mit sich, daß er sich wenigstens nicht vor seinem eigenen Schatten gefürchtet hat.
Zwei Dinge haben ihm aber gleichermaßen gefehlt: das „heilige Feuer" der
Schaffensfreudigkeit und, als Voraussetzung dazu, der Gedankenreichtum, der dieses
heilige Feuer erst entzündet.

Bis auf weiteres bedeuten Namen in der österreichischen Politik nichts; man
kann höchstens bedauern, wenn Leute, die noch Pulver zu verschießen haben sich
,
— i — unnütz verbrauchen.




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
von Julius R. Kaarhaus IV.

In diesem Jahre hielt der Freiherr v. Friemersheim darauf, daß der Sommer¬
weizen, wie es eine alte Bauernregel fordert, in der Marterwoche gesät wurde.
Und dabei fiel das Osterfest erst auf den 23. April. Früher hatte er immer nur
gelacht, wenn ihn der alte Gerhard bei der Frühjahrsbestellung an die bewährte
Regel erinnert hatte, aber diesmal meinte er selbst, er müsse doch einmal ver¬
suchen, ob was Wahres daran sei, und da er ja nicht viel Dünger zu ver¬
schwenden habe, so wolle er dem Weizen wenigstens den Segen zugute kommen


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[0036] Das Glück des Hauses Rottland Leute fragt, die es wirklich wissen könnten und müßten, was Baron Ganthas für Pläne hat, wenn die Ausgleichsverhandlungen scheitern sollten, so erhält man die sehr bestimmt klingende Antwort: überhaupt keine. Und jeder, der Ganthas als Politiker kennt, wird es gerne glauben. Inzwischen vergeht wieder kostbare Zeit; alles wird hinausgeschoben. Die nächsten Monate werden ganz der Agitation wegen der Teuerung gehören und der Weizen der Sozialdemokraten blüht. Die Regierung wird weder etwas Energisches gegen die Teuerung tun, noch wird sie die Agitation energisch in ihre Grenzen zurückweisen können. Ungeheure Redeströme werden sich im Parlament über den Gegenstand ergießen, da natürlich auch die bürgerlichen Parteien nicht hinter den Sozialdemokraten zurückbleiben wollen. Nach einigen Monaten wird das Mini¬ sterium Ganthas abgewirtschaftet haben und man erörtert schon — übrigens seit dem Augenblick, wo Ganthas das Ministerium übernahm — die Frage der Nach¬ folgerschaft. Der frühere Finanzminister Bninski scheint die meisten Aussichten zu haben: Pole, ein bißchen „verwienert" (eine besondere Spielart der Germanisation), ebenso klug wie frivol. Er ist natürlich auch nicht der Mann, Österreichs Schäden zu heilen, weil die Frivolität doch schließlich nicht den Mut der eigenen Meinung ersetzen kann (obwohl sie manchmal damit eine äußere Ähnlichkeit hat). Es heißt, daß der Thronfolger mit der Rückkehr Bienerths rechne, wogegen dieser sich freilich selbst am meisten sträuben würde. Aber Bienerth hat nur eine Eigenschaft, die ein Staatsmann wohl brauchen kann: gute Nerven; und die brachten es immerhin mit sich, daß er sich wenigstens nicht vor seinem eigenen Schatten gefürchtet hat. Zwei Dinge haben ihm aber gleichermaßen gefehlt: das „heilige Feuer" der Schaffensfreudigkeit und, als Voraussetzung dazu, der Gedankenreichtum, der dieses heilige Feuer erst entzündet. Bis auf weiteres bedeuten Namen in der österreichischen Politik nichts; man kann höchstens bedauern, wenn Leute, die noch Pulver zu verschießen haben sich , — i — unnütz verbrauchen. Das Glück des Hauses Rottland Roman von Julius R. Kaarhaus IV. In diesem Jahre hielt der Freiherr v. Friemersheim darauf, daß der Sommer¬ weizen, wie es eine alte Bauernregel fordert, in der Marterwoche gesät wurde. Und dabei fiel das Osterfest erst auf den 23. April. Früher hatte er immer nur gelacht, wenn ihn der alte Gerhard bei der Frühjahrsbestellung an die bewährte Regel erinnert hatte, aber diesmal meinte er selbst, er müsse doch einmal ver¬ suchen, ob was Wahres daran sei, und da er ja nicht viel Dünger zu ver¬ schwenden habe, so wolle er dem Weizen wenigstens den Segen zugute kommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/36>, abgerufen am 03.07.2024.