Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Aleist und Luise Wieland von Prof. Dr. Bernhard Seuffert us der Schweiz war Heinrich v. Kleist mit Wielands ältestem Da trat Kleist bei ihm ein, vom Sohne, zu dessen Talent und Urteil der Aleist und Luise Wieland von Prof. Dr. Bernhard Seuffert us der Schweiz war Heinrich v. Kleist mit Wielands ältestem Da trat Kleist bei ihm ein, vom Sohne, zu dessen Talent und Urteil der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319921"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341893_319600/figures/grenzboten_341893_319600_319921_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Aleist und Luise Wieland<lb/><note type="byline"> von Prof. Dr. Bernhard Seuffert</note></head><lb/> <p xml:id="ID_1322"> us der Schweiz war Heinrich v. Kleist mit Wielands ältestem<lb/> Sohne, dem unsteten Ludwig, nach Deutschland heimgereist und<lb/> dem Vater zugeführt worden. Nicht zur glücklichsten Stunde. Der<lb/> bald siebzigjährige trauerte der vor Jahresfrist gestorbenen Gattin<lb/> nach, sein Landgut in Osmcmstätt, ihm seit ihrem Tode verleidet,<lb/> sollte, auch zur Erleichterung der wirtschaftlichen Lage, veräußert werden. Die<lb/> treue Muse wurde angerufen, den Sinn von der bedrückten Gegenwart abzulenken<lb/> und goldenen Lohn zu spenden. Der allzeit bewegliche Dichter gab hart nach<lb/> dem Abschluß des meisterhaft stilisierten, aber in: Wesen altmodischen Brief¬<lb/> romanes „Aristipp" wirksame Anregung zu neuer Novellendichtung und bewies<lb/> noch einmal, daß Antikes und Gegenwärtiges, Klassisches und Romantisches den<lb/> gleichen Platz in seiner Bildung, in seiner Neigung inne hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1323" next="#ID_1324"> Da trat Kleist bei ihm ein, vom Sohne, zu dessen Talent und Urteil der<lb/> Vater jetzt neues Zutrauen gewann, als Genius angekündigt und darum will¬<lb/> kommen. Gewiß war Kleists Zurückhaltung der erste Grund, daß es nicht<lb/> sogleich zu offener Aussprache über dessen dichterische Pläne kam. Der große<lb/> Wurf sollte geschehen, der Aufstrebende scheute das Gericht des reifen Künstlers,<lb/> bevor er sich selbst genug getan. Aber auch Wielands eigene Verstimmung und<lb/> ablenkende Geschäftigkeit mögen Mitschuld haben, daß der Freund des Sohnes<lb/> zunächst mehr der Jugend im Hause überlassen blieb. Doch der Milde und<lb/> immer Teilnehmende konnte sein Herz nicht dauernd verschließen, da er den<lb/> Gast bedrückt sah. Und die beredte Liebenswürdigkeit seiner Natur umschmeichelte<lb/> Kleist wie alle Besucher: er verriet das Geheimnis vom Guiskard. Nicht nur<lb/> die Augenblicksbegeisterung, die Wieland in dankbarer Erinnerung an Bodmers<lb/> fördernde Aufnahme dichtenden Anfängern oft entgegenbrachte, entlockte das<lb/> eifrige Lob, das Tränen der Freude in Kleists Augen trieb. Wieland, der einst<lb/> auch das Genie des ursprünglich so weit von ihm entfernten Goethe sicher und<lb/> willig erkannt und anerkannt hatte, mochte spüren, daß die Mischung von<lb/> Klassizität und Romantik, die sein eigenes Wesen in wechselnden Farben erscheinen<lb/> macht, hier in natürlicher Einheit ihm entgegentrat, er ahnte die Größe Kleists,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
[Abbildung]
Aleist und Luise Wieland
von Prof. Dr. Bernhard Seuffert
us der Schweiz war Heinrich v. Kleist mit Wielands ältestem
Sohne, dem unsteten Ludwig, nach Deutschland heimgereist und
dem Vater zugeführt worden. Nicht zur glücklichsten Stunde. Der
bald siebzigjährige trauerte der vor Jahresfrist gestorbenen Gattin
nach, sein Landgut in Osmcmstätt, ihm seit ihrem Tode verleidet,
sollte, auch zur Erleichterung der wirtschaftlichen Lage, veräußert werden. Die
treue Muse wurde angerufen, den Sinn von der bedrückten Gegenwart abzulenken
und goldenen Lohn zu spenden. Der allzeit bewegliche Dichter gab hart nach
dem Abschluß des meisterhaft stilisierten, aber in: Wesen altmodischen Brief¬
romanes „Aristipp" wirksame Anregung zu neuer Novellendichtung und bewies
noch einmal, daß Antikes und Gegenwärtiges, Klassisches und Romantisches den
gleichen Platz in seiner Bildung, in seiner Neigung inne hatten.
Da trat Kleist bei ihm ein, vom Sohne, zu dessen Talent und Urteil der
Vater jetzt neues Zutrauen gewann, als Genius angekündigt und darum will¬
kommen. Gewiß war Kleists Zurückhaltung der erste Grund, daß es nicht
sogleich zu offener Aussprache über dessen dichterische Pläne kam. Der große
Wurf sollte geschehen, der Aufstrebende scheute das Gericht des reifen Künstlers,
bevor er sich selbst genug getan. Aber auch Wielands eigene Verstimmung und
ablenkende Geschäftigkeit mögen Mitschuld haben, daß der Freund des Sohnes
zunächst mehr der Jugend im Hause überlassen blieb. Doch der Milde und
immer Teilnehmende konnte sein Herz nicht dauernd verschließen, da er den
Gast bedrückt sah. Und die beredte Liebenswürdigkeit seiner Natur umschmeichelte
Kleist wie alle Besucher: er verriet das Geheimnis vom Guiskard. Nicht nur
die Augenblicksbegeisterung, die Wieland in dankbarer Erinnerung an Bodmers
fördernde Aufnahme dichtenden Anfängern oft entgegenbrachte, entlockte das
eifrige Lob, das Tränen der Freude in Kleists Augen trieb. Wieland, der einst
auch das Genie des ursprünglich so weit von ihm entfernten Goethe sicher und
willig erkannt und anerkannt hatte, mochte spüren, daß die Mischung von
Klassizität und Romantik, die sein eigenes Wesen in wechselnden Farben erscheinen
macht, hier in natürlicher Einheit ihm entgegentrat, er ahnte die Größe Kleists,
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