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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarck und der Generalgouvemeur von Hannover

Bühne und enthält bei allem Überfluß an allgemein Philosophischen auch wieder
reichlich viele Kunstgespräche, und nur erst der zweite, "Druth", wagt sich ins
eigentliche Leben hinaus, in die Betrachtung österreichischer Zustände. Aber in
der Unsicherheit, dem Schwanken ihres eigenen Wesens nehmen es die
Menschen in "Druth" gewiß mit denen der beiden Geschwisterromane auf.
Man könnte an eine Bilderfibel zum Satze vom "unrettbaren Ich" denken,
wenn man die Rahl betrachtet und den Kammersänger aus "O Mensch", der
sich wandelt wie jene Kollegin, nur daß er bei Tage nicht ausgelöscht, sondern
ein breiter bäuerischer Philister ist, und den Bezirkshauptmann Clemens und
Druth, seine Geliebte, die beide so völlig ihrem ursprünglichen Wesen zuwider¬
handeln. Und doch schimmert durch all diese Wirrnis und dieses beängstigende
Wechseln eines in ruhiger Stetigkeit hindurch: der unwandelbare Kern in
Hermann Bahrs Wesen. Es ist nicht nur derselbe geistvolle Erzähler, der das
Bedeutendste gibt, wo er ganz essayistisch plaudert, nicht nur der gleiche in
seiner impressionistischen Kunst unübertreffliche Porträtmaler, derselbe witzige
Mann, der in mancher guten Stunde über den Witz hinaus zum Humor
gelangt, sondern der Patriot, der Mann des leidenschaftlichen vaterländischen
Liebens und Zürnens. Der Österreicher Hermann Bahr ist überall in diesen
Büchern gegenwärtig. Man kann den allgemeinen Weltbildern, die Bahr
angekündigt hat, vielleicht mit Skepsis entgegenblicken, den weiteren öster¬
reichischen mit desto freudigerer Erwartung. Man kann sich bei ihm noch vieler
Wandlungen versehen; den liebenswerten Kern seiner Persönlichkeit wird man
in allen finden.




Fürst Bismarck und der
Generalgouvemeur von Hannover v. Voigts-Rhetz
von Heinrich v, poschinger

(Nachdruck verboten)

s ist schade, daß die Korrespondenz Bismarcks in Fragen der inneren
Politik bisher nur bruchstückweise bekannt ist, andernfalls würde
man es leichter begreifen, wie der Kriegsminister v. Roon einmal
dazu kam, Bismarck in allem Ernste dazu zu raten, er möchte zu
I dem Amte des Ministerpräsidenten das des Ministers des Innern
übernehmen und das des Äußern irgendeinem seiner Marionetten anvertrauen.
Daß Bismarck das Zeug zu einem schneidigen, ich sage nicht liberalen
oder konservativen, aber freikonservativen Minister des Innern in hohem Grade
besaß, ersehen wir aus den Grundsätzen, die er nach dem Kriege von 1866
dem annektierten Königreich Hannover gegenüber zur Anwendung brachte. Die
Provinz Hannover hatte durch Allerhöchsten Erlaß mit Gegenzeichnung Bismarcks


Fürst Bismarck und der Generalgouvemeur von Hannover

Bühne und enthält bei allem Überfluß an allgemein Philosophischen auch wieder
reichlich viele Kunstgespräche, und nur erst der zweite, „Druth", wagt sich ins
eigentliche Leben hinaus, in die Betrachtung österreichischer Zustände. Aber in
der Unsicherheit, dem Schwanken ihres eigenen Wesens nehmen es die
Menschen in „Druth" gewiß mit denen der beiden Geschwisterromane auf.
Man könnte an eine Bilderfibel zum Satze vom „unrettbaren Ich" denken,
wenn man die Rahl betrachtet und den Kammersänger aus „O Mensch", der
sich wandelt wie jene Kollegin, nur daß er bei Tage nicht ausgelöscht, sondern
ein breiter bäuerischer Philister ist, und den Bezirkshauptmann Clemens und
Druth, seine Geliebte, die beide so völlig ihrem ursprünglichen Wesen zuwider¬
handeln. Und doch schimmert durch all diese Wirrnis und dieses beängstigende
Wechseln eines in ruhiger Stetigkeit hindurch: der unwandelbare Kern in
Hermann Bahrs Wesen. Es ist nicht nur derselbe geistvolle Erzähler, der das
Bedeutendste gibt, wo er ganz essayistisch plaudert, nicht nur der gleiche in
seiner impressionistischen Kunst unübertreffliche Porträtmaler, derselbe witzige
Mann, der in mancher guten Stunde über den Witz hinaus zum Humor
gelangt, sondern der Patriot, der Mann des leidenschaftlichen vaterländischen
Liebens und Zürnens. Der Österreicher Hermann Bahr ist überall in diesen
Büchern gegenwärtig. Man kann den allgemeinen Weltbildern, die Bahr
angekündigt hat, vielleicht mit Skepsis entgegenblicken, den weiteren öster¬
reichischen mit desto freudigerer Erwartung. Man kann sich bei ihm noch vieler
Wandlungen versehen; den liebenswerten Kern seiner Persönlichkeit wird man
in allen finden.




Fürst Bismarck und der
Generalgouvemeur von Hannover v. Voigts-Rhetz
von Heinrich v, poschinger

(Nachdruck verboten)

s ist schade, daß die Korrespondenz Bismarcks in Fragen der inneren
Politik bisher nur bruchstückweise bekannt ist, andernfalls würde
man es leichter begreifen, wie der Kriegsminister v. Roon einmal
dazu kam, Bismarck in allem Ernste dazu zu raten, er möchte zu
I dem Amte des Ministerpräsidenten das des Ministers des Innern
übernehmen und das des Äußern irgendeinem seiner Marionetten anvertrauen.
Daß Bismarck das Zeug zu einem schneidigen, ich sage nicht liberalen
oder konservativen, aber freikonservativen Minister des Innern in hohem Grade
besaß, ersehen wir aus den Grundsätzen, die er nach dem Kriege von 1866
dem annektierten Königreich Hannover gegenüber zur Anwendung brachte. Die
Provinz Hannover hatte durch Allerhöchsten Erlaß mit Gegenzeichnung Bismarcks


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/190>, abgerufen am 29.12.2024.