Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Reichsspiegel Reichsspiegel Innere Politik Das Verfassungsgesetz für Elsaß-Lothringen Delbrück und die Sozialdemokratie -- Stantserhaltende Sozialdemokratie -- Die Reichsversicherungsordnung In fünfter (!) Lesung hat die Kommission des Reichstags das Ver¬ Wenn das Gesetz noch zustande kommen sollte, so darf sich der Herr Reichsspiegel Reichsspiegel Innere Politik Das Verfassungsgesetz für Elsaß-Lothringen Delbrück und die Sozialdemokratie — Stantserhaltende Sozialdemokratie — Die Reichsversicherungsordnung In fünfter (!) Lesung hat die Kommission des Reichstags das Ver¬ Wenn das Gesetz noch zustande kommen sollte, so darf sich der Herr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318667"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> </div> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Innere Politik</head><lb/> <note type="argument"> Das Verfassungsgesetz für Elsaß-Lothringen Delbrück und die Sozialdemokratie —<lb/> Stantserhaltende Sozialdemokratie — Die Reichsversicherungsordnung</note><lb/> <p xml:id="ID_1693"> In fünfter (!) Lesung hat die Kommission des Reichstags das Ver¬<lb/> fassungsgesetz für Elsaß-Lothringen ebenso angenommen wie vorher<lb/> das Wahlgesetz. Geschehen Freitag, den .19. Mai, nach langwierigen Vor¬<lb/> verhandlungen. Über die Tragweite der neuen Gesetze selbst wollen wir uns<lb/> an dieser Stelle erst wieder äußern, wenn die Entscheidung auch im Plenum<lb/> gefallen sein wird. Mit absoluter Sicherheit darf auf eine unveränderte Annahme<lb/> der Gesetze durch das Plenum noch nicht gerechnet werden, wenn auch eine gewisse<lb/> Wahrscheinlichkeit dafür spricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1694"> Wenn das Gesetz noch zustande kommen sollte, so darf sich der Herr<lb/> Reichskanzler dafür in erster Linie bei dem Staatssekretär des Innern,<lb/> Herrn Dr. Delbrück, bedanken. Besonders während der jüngsten Besprechungen<lb/> hat Delbrück eine Schnelligkeit in der Auffassung und ein staatsmünnisches Geschick<lb/> bewiesen, das ihn stchtbarlich aus dem herrschenden politischen Nebel empor¬<lb/> gehoben hat. Abgesehen von kleineren Erfolgen, die er der Kommission abgerungen<lb/> hat, darf man sein Hauptverdienst darin erkennen, daß es ihm gelang, die Sozial¬<lb/> demokratie zur praktischen Mitarbeit an dem Gesetz zu bewegen. Das<lb/> Gelingen zeugt von einer tieferen Kenntnis der Bedeutung des vierten Standes<lb/> für den deutschen Nationalstaat, als wie es z. B. in der agrarischen Deutschen<lb/> Tageszeitung herrscht. Ich meine, da nun das Gesetz überhaupt zustande kommen<lb/> soll, ist es für das Reich besser, daß die Führer der breiten Massen neben den<lb/> Vertretern des nationalen Bürgertums mit hinter dein Gesetz stehen, als wenn<lb/> die Mehrheit aus Fmnzöslingen und Ultramontanen bestünde. Wir können<lb/> viel eher von der Sozialdemokratie erwarten, daß sie reichsdeutsch-staatsbürgerlich<lb/> denkt, als von Zentrumsabgeordneter, die jenseits der Berge den Angelpunkt<lb/> ihrer staatlichen Interessen suchen. Der vierte Stand wird gerade dadurch, daß<lb/> er sich auf den Boden einer rein materialistischen Weltanschauung stellt, gezwungen,<lb/> das Neichsganze im Auge zu behalten und für dessen Gesamtwohl einzutreten.<lb/> Denn für ihn ist eben das Reich das Werkzeug zur Erkämpfung besserer Lebens-<lb/> bedingungen. Utopien, die darauf ausgehen, dies Werkzeug unbrauchbar zu<lb/> machen, die dahin streben, an die Stelle des mächtigen Einheitsstaates eine<lb/> schwächliche Föderation zu setzen, spuken wohl noch in den Köpfen der Theoretiker,<lb/> nicht aber im Hirn der politischen Führer des vierten Standes. Dabei unter¬<lb/> schätze ich die demagogische Ausnutzung von Schlagworten durchaus nicht. Es<lb/> wird auch im konservativen Lager in der Hitze des Gefechts manche Wendung<lb/> gebraucht, für die kein konservativer Mann eintreten möchte, der Anspruch<lb/> darauf erhebt, politisch ernst genommen zu werden.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0384]
Reichsspiegel
Reichsspiegel
Innere Politik
Das Verfassungsgesetz für Elsaß-Lothringen Delbrück und die Sozialdemokratie —
Stantserhaltende Sozialdemokratie — Die Reichsversicherungsordnung
In fünfter (!) Lesung hat die Kommission des Reichstags das Ver¬
fassungsgesetz für Elsaß-Lothringen ebenso angenommen wie vorher
das Wahlgesetz. Geschehen Freitag, den .19. Mai, nach langwierigen Vor¬
verhandlungen. Über die Tragweite der neuen Gesetze selbst wollen wir uns
an dieser Stelle erst wieder äußern, wenn die Entscheidung auch im Plenum
gefallen sein wird. Mit absoluter Sicherheit darf auf eine unveränderte Annahme
der Gesetze durch das Plenum noch nicht gerechnet werden, wenn auch eine gewisse
Wahrscheinlichkeit dafür spricht.
Wenn das Gesetz noch zustande kommen sollte, so darf sich der Herr
Reichskanzler dafür in erster Linie bei dem Staatssekretär des Innern,
Herrn Dr. Delbrück, bedanken. Besonders während der jüngsten Besprechungen
hat Delbrück eine Schnelligkeit in der Auffassung und ein staatsmünnisches Geschick
bewiesen, das ihn stchtbarlich aus dem herrschenden politischen Nebel empor¬
gehoben hat. Abgesehen von kleineren Erfolgen, die er der Kommission abgerungen
hat, darf man sein Hauptverdienst darin erkennen, daß es ihm gelang, die Sozial¬
demokratie zur praktischen Mitarbeit an dem Gesetz zu bewegen. Das
Gelingen zeugt von einer tieferen Kenntnis der Bedeutung des vierten Standes
für den deutschen Nationalstaat, als wie es z. B. in der agrarischen Deutschen
Tageszeitung herrscht. Ich meine, da nun das Gesetz überhaupt zustande kommen
soll, ist es für das Reich besser, daß die Führer der breiten Massen neben den
Vertretern des nationalen Bürgertums mit hinter dein Gesetz stehen, als wenn
die Mehrheit aus Fmnzöslingen und Ultramontanen bestünde. Wir können
viel eher von der Sozialdemokratie erwarten, daß sie reichsdeutsch-staatsbürgerlich
denkt, als von Zentrumsabgeordneter, die jenseits der Berge den Angelpunkt
ihrer staatlichen Interessen suchen. Der vierte Stand wird gerade dadurch, daß
er sich auf den Boden einer rein materialistischen Weltanschauung stellt, gezwungen,
das Neichsganze im Auge zu behalten und für dessen Gesamtwohl einzutreten.
Denn für ihn ist eben das Reich das Werkzeug zur Erkämpfung besserer Lebens-
bedingungen. Utopien, die darauf ausgehen, dies Werkzeug unbrauchbar zu
machen, die dahin streben, an die Stelle des mächtigen Einheitsstaates eine
schwächliche Föderation zu setzen, spuken wohl noch in den Köpfen der Theoretiker,
nicht aber im Hirn der politischen Führer des vierten Standes. Dabei unter¬
schätze ich die demagogische Ausnutzung von Schlagworten durchaus nicht. Es
wird auch im konservativen Lager in der Hitze des Gefechts manche Wendung
gebraucht, für die kein konservativer Mann eintreten möchte, der Anspruch
darauf erhebt, politisch ernst genommen zu werden.
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