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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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sich bei Unterschriften der Lateinschrift bedienen,
(Sehr richtig!) Goethe hat, darin hat Herr
Dr, Stresenmnn recht, gelegentlich die Antiqua
gebraucht, wenn er etwas ganz langsam aus¬
gefeilt niederschrieb. Aber das meiste von
ihm, was ans Flusz und Guß herauskommt,
ist in deutschen Lettern geschrieben. In dem
Bericht der Kommission finde ich den Satz,
daß die Erfolge unseres achtjährigen Volks¬
schulunterrichts trotz all der aufgewandten
Mühe geradezu kläglich sind. Der Bericht
sagt: Wieviel besser würden wir unsere
orthographischen Schwierigkeiten überwinden,
wenn wir eS nnr mit einer Schreibweise zu
tun hätten. Der Durchschnittstyp des Fran¬
zosen und Jtalieners schreibt aber nicht
orthographischer, als der Deutsche in der
gleichen Schrift. Die Lateinschrift verführt
wegen ihres einfacheren Bildes aber auch zu
weniger deutlichem Schreiben. Wie oft
klagen unsere Kaufleute darüber, daß sie bei
Briefen, die sie aus Frankreich bekommen,
kaum wissen, was in diesen geschlungenen
Zügen wirklich steht. In bezug auf Hand¬
werks- und Handtüchtigkeit sind die Völker
der komplizierten Schriften nicht die schlechtesten
gewesen, denn Schreiben mit der Hand und
Tüchtigkeit in der Arbeit haben einen gewissen
inneren Zusammenhang. Es ist eine be¬
merkenswerte Tatsache, daß anch die deutschen
Zeitungen in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika nicht in Antiqua gedruckt werden.
Was nun das Knnstgobiet anlangt, so meine
ich: alle Nachahmer der vorhandenen be¬
währten, in ihrer Art vollendeten Renaissance
der romanischen Völker werden wir nie als
Deutsche auf dem Weltmärkte gewinnen, weil
hier eine Stilübung und Verfeinerung vor¬
liegt, die wir nur annähernd erreichen, nicht
überbieten können. Wenn wir auf diesem
Gebiete vorwärts wollen, und wir haben
diesen Willen ja durch unseren Versuch in
Brüssel an den Tag gelegt, so müssen wir
den Versuch machen, unsere eigenen Elemente
aus unserem Wesen herauszuholen. Wir
müssen an diejenigen Elemente unsere Elemente
anknüpfen, bei denen wir nicht in dem großen
Kielwasser der Renaissanceformen schwimmen.
In dieser Zeit, wo unsere gewerbliche Richtung
sich von der Antiqua mit Bewußtsein ab¬
wendet, dürfen wir nicht gleichzeitig eine

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Zuwendung an die Antiquaschrift machen.
Die Antiqua ist für die englische Sprache in
viel höherem Maße der richtige Ausdruck
wegen der großen Quantität abgeschliffener
romanischer Elemente, die in ihr enthalten
sind. Das Bild unserer Sprache ist diejenige
Schrift, in der Wir sie bis jetzt hineintun,
eine etwas spitzige und eckige, für die anderen
harte und schwere, aber charakteristische und
erziehuugsreiche Schrift. Auch Wilhelm Grimm
hat sich der deutschen Schrift bedient. (Wider¬
spruch.) Mag sein, daß er in einem Briefe
sich auch einmal der Antiqua bedient hat, wie
wir draußen in den Listen. Wenn Goethe
seine Werke einmal in Antiqua hat drucken
lassen, so sieht diese Ausgabe aber auch so
weltfremd aus, daß Bater Goethe selbst sie
sicher nicht weiter kaufen, sondern sich mit
uns an die deutsche Sammelausgabe halten
würde. Es ist auch bemerkenswert, daß im
Buchdruckertarif die Antiquaschrift teurer be¬
wertet wird als die deutsche Schrift, was
wahrscheinlich nicht nur auf einem Gefühls¬
urteil beruht, sondern einem Arbeitsergebnis
der Buchdrucker. Wenn sich mit der Antiqua
sehr viel leichter arbeiten ließe, wie viele
findige Unternehmer würden uns dann schon
jeden Abend in Berlin auf der Friedrichstraße
und Unter den Linden Zeitungen in Antiqua
darbieten. Sie tun es nicht, weil sie als
Praktische Menschen sich sagen: die deutsche
Sprache hat ihr eigenes Kleid, und das soll
sie behalten. (Stürmischer Beifall.)

Nationale Gewerkschaften, nationale Ar¬

beiterpartei.

Unser ganzes Staatsleben steht
im Zeichen der Arbeiterbewegung. Nichts
würde verkehrter sein, als sie aufhalten zu
wollen. Ein solcher Versuch würde nur zu
einem großen Kladderadatsch führen. Was
hätten wir auch davon! Im Gegenteil gilt
es, die Bewegung zu fördern. Dazu ist es
aber in erster Linie notwendig, daß wir sie
aus den falschen Gleisen, in die die Sozial¬
demokratie sie geführt hat, befreien. Die Be¬
wegung kann nur gedeihen, wenn die Gegen¬
sätze zwischen arm und reich überbrückt
und nicht, wie die Sozialdemokratie es tut,
vertieft werden. ES gilt, die Arbeiter, die
dem sozialdemokratischen Wahn verfallen sind,
von diesem loszureißen und die, welche es

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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sich bei Unterschriften der Lateinschrift bedienen,
(Sehr richtig!) Goethe hat, darin hat Herr
Dr, Stresenmnn recht, gelegentlich die Antiqua
gebraucht, wenn er etwas ganz langsam aus¬
gefeilt niederschrieb. Aber das meiste von
ihm, was ans Flusz und Guß herauskommt,
ist in deutschen Lettern geschrieben. In dem
Bericht der Kommission finde ich den Satz,
daß die Erfolge unseres achtjährigen Volks¬
schulunterrichts trotz all der aufgewandten
Mühe geradezu kläglich sind. Der Bericht
sagt: Wieviel besser würden wir unsere
orthographischen Schwierigkeiten überwinden,
wenn wir eS nnr mit einer Schreibweise zu
tun hätten. Der Durchschnittstyp des Fran¬
zosen und Jtalieners schreibt aber nicht
orthographischer, als der Deutsche in der
gleichen Schrift. Die Lateinschrift verführt
wegen ihres einfacheren Bildes aber auch zu
weniger deutlichem Schreiben. Wie oft
klagen unsere Kaufleute darüber, daß sie bei
Briefen, die sie aus Frankreich bekommen,
kaum wissen, was in diesen geschlungenen
Zügen wirklich steht. In bezug auf Hand¬
werks- und Handtüchtigkeit sind die Völker
der komplizierten Schriften nicht die schlechtesten
gewesen, denn Schreiben mit der Hand und
Tüchtigkeit in der Arbeit haben einen gewissen
inneren Zusammenhang. Es ist eine be¬
merkenswerte Tatsache, daß anch die deutschen
Zeitungen in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika nicht in Antiqua gedruckt werden.
Was nun das Knnstgobiet anlangt, so meine
ich: alle Nachahmer der vorhandenen be¬
währten, in ihrer Art vollendeten Renaissance
der romanischen Völker werden wir nie als
Deutsche auf dem Weltmärkte gewinnen, weil
hier eine Stilübung und Verfeinerung vor¬
liegt, die wir nur annähernd erreichen, nicht
überbieten können. Wenn wir auf diesem
Gebiete vorwärts wollen, und wir haben
diesen Willen ja durch unseren Versuch in
Brüssel an den Tag gelegt, so müssen wir
den Versuch machen, unsere eigenen Elemente
aus unserem Wesen herauszuholen. Wir
müssen an diejenigen Elemente unsere Elemente
anknüpfen, bei denen wir nicht in dem großen
Kielwasser der Renaissanceformen schwimmen.
In dieser Zeit, wo unsere gewerbliche Richtung
sich von der Antiqua mit Bewußtsein ab¬
wendet, dürfen wir nicht gleichzeitig eine

[Spaltenumbruch]

Zuwendung an die Antiquaschrift machen.
Die Antiqua ist für die englische Sprache in
viel höherem Maße der richtige Ausdruck
wegen der großen Quantität abgeschliffener
romanischer Elemente, die in ihr enthalten
sind. Das Bild unserer Sprache ist diejenige
Schrift, in der Wir sie bis jetzt hineintun,
eine etwas spitzige und eckige, für die anderen
harte und schwere, aber charakteristische und
erziehuugsreiche Schrift. Auch Wilhelm Grimm
hat sich der deutschen Schrift bedient. (Wider¬
spruch.) Mag sein, daß er in einem Briefe
sich auch einmal der Antiqua bedient hat, wie
wir draußen in den Listen. Wenn Goethe
seine Werke einmal in Antiqua hat drucken
lassen, so sieht diese Ausgabe aber auch so
weltfremd aus, daß Bater Goethe selbst sie
sicher nicht weiter kaufen, sondern sich mit
uns an die deutsche Sammelausgabe halten
würde. Es ist auch bemerkenswert, daß im
Buchdruckertarif die Antiquaschrift teurer be¬
wertet wird als die deutsche Schrift, was
wahrscheinlich nicht nur auf einem Gefühls¬
urteil beruht, sondern einem Arbeitsergebnis
der Buchdrucker. Wenn sich mit der Antiqua
sehr viel leichter arbeiten ließe, wie viele
findige Unternehmer würden uns dann schon
jeden Abend in Berlin auf der Friedrichstraße
und Unter den Linden Zeitungen in Antiqua
darbieten. Sie tun es nicht, weil sie als
Praktische Menschen sich sagen: die deutsche
Sprache hat ihr eigenes Kleid, und das soll
sie behalten. (Stürmischer Beifall.)

Nationale Gewerkschaften, nationale Ar¬

beiterpartei.

Unser ganzes Staatsleben steht
im Zeichen der Arbeiterbewegung. Nichts
würde verkehrter sein, als sie aufhalten zu
wollen. Ein solcher Versuch würde nur zu
einem großen Kladderadatsch führen. Was
hätten wir auch davon! Im Gegenteil gilt
es, die Bewegung zu fördern. Dazu ist es
aber in erster Linie notwendig, daß wir sie
aus den falschen Gleisen, in die die Sozial¬
demokratie sie geführt hat, befreien. Die Be¬
wegung kann nur gedeihen, wenn die Gegen¬
sätze zwischen arm und reich überbrückt
und nicht, wie die Sozialdemokratie es tut,
vertieft werden. ES gilt, die Arbeiter, die
dem sozialdemokratischen Wahn verfallen sind,
von diesem loszureißen und die, welche es

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[0290] Maßgebliches und Unmaßgebliches sich bei Unterschriften der Lateinschrift bedienen, (Sehr richtig!) Goethe hat, darin hat Herr Dr, Stresenmnn recht, gelegentlich die Antiqua gebraucht, wenn er etwas ganz langsam aus¬ gefeilt niederschrieb. Aber das meiste von ihm, was ans Flusz und Guß herauskommt, ist in deutschen Lettern geschrieben. In dem Bericht der Kommission finde ich den Satz, daß die Erfolge unseres achtjährigen Volks¬ schulunterrichts trotz all der aufgewandten Mühe geradezu kläglich sind. Der Bericht sagt: Wieviel besser würden wir unsere orthographischen Schwierigkeiten überwinden, wenn wir eS nnr mit einer Schreibweise zu tun hätten. Der Durchschnittstyp des Fran¬ zosen und Jtalieners schreibt aber nicht orthographischer, als der Deutsche in der gleichen Schrift. Die Lateinschrift verführt wegen ihres einfacheren Bildes aber auch zu weniger deutlichem Schreiben. Wie oft klagen unsere Kaufleute darüber, daß sie bei Briefen, die sie aus Frankreich bekommen, kaum wissen, was in diesen geschlungenen Zügen wirklich steht. In bezug auf Hand¬ werks- und Handtüchtigkeit sind die Völker der komplizierten Schriften nicht die schlechtesten gewesen, denn Schreiben mit der Hand und Tüchtigkeit in der Arbeit haben einen gewissen inneren Zusammenhang. Es ist eine be¬ merkenswerte Tatsache, daß anch die deutschen Zeitungen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika nicht in Antiqua gedruckt werden. Was nun das Knnstgobiet anlangt, so meine ich: alle Nachahmer der vorhandenen be¬ währten, in ihrer Art vollendeten Renaissance der romanischen Völker werden wir nie als Deutsche auf dem Weltmärkte gewinnen, weil hier eine Stilübung und Verfeinerung vor¬ liegt, die wir nur annähernd erreichen, nicht überbieten können. Wenn wir auf diesem Gebiete vorwärts wollen, und wir haben diesen Willen ja durch unseren Versuch in Brüssel an den Tag gelegt, so müssen wir den Versuch machen, unsere eigenen Elemente aus unserem Wesen herauszuholen. Wir müssen an diejenigen Elemente unsere Elemente anknüpfen, bei denen wir nicht in dem großen Kielwasser der Renaissanceformen schwimmen. In dieser Zeit, wo unsere gewerbliche Richtung sich von der Antiqua mit Bewußtsein ab¬ wendet, dürfen wir nicht gleichzeitig eine Zuwendung an die Antiquaschrift machen. Die Antiqua ist für die englische Sprache in viel höherem Maße der richtige Ausdruck wegen der großen Quantität abgeschliffener romanischer Elemente, die in ihr enthalten sind. Das Bild unserer Sprache ist diejenige Schrift, in der Wir sie bis jetzt hineintun, eine etwas spitzige und eckige, für die anderen harte und schwere, aber charakteristische und erziehuugsreiche Schrift. Auch Wilhelm Grimm hat sich der deutschen Schrift bedient. (Wider¬ spruch.) Mag sein, daß er in einem Briefe sich auch einmal der Antiqua bedient hat, wie wir draußen in den Listen. Wenn Goethe seine Werke einmal in Antiqua hat drucken lassen, so sieht diese Ausgabe aber auch so weltfremd aus, daß Bater Goethe selbst sie sicher nicht weiter kaufen, sondern sich mit uns an die deutsche Sammelausgabe halten würde. Es ist auch bemerkenswert, daß im Buchdruckertarif die Antiquaschrift teurer be¬ wertet wird als die deutsche Schrift, was wahrscheinlich nicht nur auf einem Gefühls¬ urteil beruht, sondern einem Arbeitsergebnis der Buchdrucker. Wenn sich mit der Antiqua sehr viel leichter arbeiten ließe, wie viele findige Unternehmer würden uns dann schon jeden Abend in Berlin auf der Friedrichstraße und Unter den Linden Zeitungen in Antiqua darbieten. Sie tun es nicht, weil sie als Praktische Menschen sich sagen: die deutsche Sprache hat ihr eigenes Kleid, und das soll sie behalten. (Stürmischer Beifall.) Nationale Gewerkschaften, nationale Ar¬ beiterpartei. Unser ganzes Staatsleben steht im Zeichen der Arbeiterbewegung. Nichts würde verkehrter sein, als sie aufhalten zu wollen. Ein solcher Versuch würde nur zu einem großen Kladderadatsch führen. Was hätten wir auch davon! Im Gegenteil gilt es, die Bewegung zu fördern. Dazu ist es aber in erster Linie notwendig, daß wir sie aus den falschen Gleisen, in die die Sozial¬ demokratie sie geführt hat, befreien. Die Be¬ wegung kann nur gedeihen, wenn die Gegen¬ sätze zwischen arm und reich überbrückt und nicht, wie die Sozialdemokratie es tut, vertieft werden. ES gilt, die Arbeiter, die dem sozialdemokratischen Wahn verfallen sind, von diesem loszureißen und die, welche es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/290>, abgerufen am 22.07.2024.